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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Ihre Bemühungen bei dem französischen Direktorium trugen um so mehr Früchte, als ein Mitglied dieser Behörde, der Elsässer Reubel, einst als Advokat einen Proceß in Bern verloren hatte und bei diesem Anlasse auf die gefüllten Schatzkammern der Berner Regierung aufmerksam geworden war. Mit ihm verabredeten zwei Schweizer, der intrigante gewesene Stadtschreiber Ochs aus Basel und der antik-ideal angehauchte Waadtländer Laharpe, vorher russischer Prinzenerzieher, die Invasion ihres Vaterlandes und dessen Verwandelung in die „eine und untheilbare helvetische Republik“: ein Schritt, wie er gegenüber dem ganzen Gange der Geschichte natur- und vernunftwidriger sich nicht denken ließ und daher auch von den Ereignissen und dem Schweizervolke selbst in entschiedenster Weise verurtheilt worden ist.

Den im Frühjahre 1798 von Seite der französischen radikalen gegen die schweizerischen konservativen Republikaner geführten Krieg zu schildern, liegt außerhäln der Aufgabe dieser Zeilen.

Schon gleich nach dem Einzuge der Franzosen in Bern begannen die Schandthaten, welche die sogenannten Befreier des Schweizervolkes in dessen Gedächtniß unsterblich hätten machen müssen, wenn dasselbe nicht zu gutmüthig wäre, um erlittenes Unrecht den Feinden lange nachzutragen.

Das schöne und große Dorf Münsingen zwischen Bern und Thun wurde von den Kämpfern für Freiheit und Gleichheit in Brand gesteckt und die Einwohner von ihren „Befreiern“ mit Säbelhieben vom heimischen Herde weggetrieben. In der nächsten Umgebung Berns waren 500 Familien von den Franzosen aller Habseligkeiten beraubt worden und besaßen weder Geräthschaften, noch Vieh, weder Speisen noch Geld mehr; ihre Wohnungen hatten weder Fenster noch Thüren, ihre Zimmer keine Betten mehr; sie waren dem Hunger und der Kälte preisgegeben und der Verführung ausgesetzt zu Diebstahl und Raub zu greifen. Im „Bremgartenwalde“ bei Bern lag eine Menge unter unsagbaren Umständen gemordeter Frauen! Das eigentliche Ziel des französischen Einbruches war aber der Staatsschatz von Bern. Nachdem man ihn unter Siegel gelegt, sprengte man erst die öffentlichen Kassen, plünderte dann die Zeughäuser, sandte 130 Kanonen und 60000 Flinten nach Frankreich und raubte schließlich den Staatsschatz selbst aus, in dem sich nach der geringsten Angabe 7, nach der höchsten (und zwar einer französischen!) 26 Millionen Livres französischer Währung befanden. Von diesem Gelde wurden etwa 5 Millionen Frankem für die Expedition ausgegeben, welche der aufstrebende korsische Adler noch in demselben Jahre nach dem Lande der Pharaonen führte, und man soll noch lange nachher am Fuße der Pyramiden Berner Thaler und Doublonen getroffen haben. Sogar die drei lebenden Bären, den Stolz Berns, führten die Helden gefangen nach Paris!

Der Haupträuber, Gehilfe des französischen Oberkriegskommissärs in der Schweiz, später Agent der französischen Regierung, war ein gewisser Rapinat, Schwager des Kriegsministers Reubel, und ein gelungenes Witzwort sagte damals von demselben: man wisse nicht, ob Rapinat von rapine (Raub) oder rapine von Rapinat abzuleiten sei. Den Kantonen Bern, Freiburg, Solothurn, Luzern und Zürich wurde eine Kriegssteuer von fünfzehn Millionen, der katholischen Geistlichkeit eine solche von einer Million Franken auferlegt. Erstere Summe sollte binnen drei Monaten von Seiten der früher regierungsberechtigten Familien entrichtet werden, und mehrere Mitglieder derselben wurden als Geiseln nach der französischen Festung Hüningen oder nach Straßburg geschleppt. Alle Kassen der Schweiz wurden geplündert, so daß die neuen „helvetischen“ Behörden nicht wußten, wie sie ihre Pflichten erfüllen sollten. Umsonst suchte Laharpe, der später in das helvetische Direktorium gelangte, seine Unbesonnenheit, mit der er die Franzosen in das Land gerufen, dadurch gut zu machen, daß er gegen jene Erpressungen protestirte und die Schändlichkeiten der Blutsauger unerbittllch aufdeckte. Innerhalb eines Monats erpreßte der General Brune, welcher die Truppen aus dem Waadtlande nach Bern geführt hatte, von den Schweizern etwa 200000 Franken für seine „guten Dienste“, wie er es nannte, und als er dann abberufen wurde, verließ er Bern in einer geraubten Kutsche, die aber wegem Ueberladung mit gestohlenem Gelde auf der Straße zusammenbrach.

Zwei Monate nach dem Falle Berns, zu Ende April 1798, war erst die ebene Schweiz für das künstliche Gebilde der helvetischen Republik gewonnen. Dagegen leistete ihr noch das gesammte Gebirgsland im Innern der Schweiz ernsten Widerstand. Man wollte sich dort, wo es keine Aristokratie gab, die alte Freiheit der Kantone mit ihren echt germanischen Landsgemeinden[1] nicht rauben lassen, und schloß einen Bund der Vertheidigung gegen neumodisch demokratische, in Wirklichkeit bureaukratische und französische Zustände, die den Bürgern wider ihren Willen aufgedrängt werden sollten.

Schwyz stand an der Spitze dieses altschweizerischen Gebirgsbundes und hatte den kühnen Plan, mit seinen Bundesgenossen die Schweiz zurückzuerobern und die alte Eidgenossenschaft, doch ohne Unterthanenlande, wieder herzustellen. Die helvetische Regierung sah sich durch die Umstände gezwungen, die fremden Heere gegen ihre eigenen Landsleute in Anspruch zu nehmen, und ungeachtet eines der alten Schweizer würdigen Heldenmuthes, durch welchen auf dem klassischen Boden von Morgarten unter Anführung des edeln Aloys Reding die Franzosen zurückgeschlagen wurden, siegte doch zuletzt deren gewaltige Uebermacht über die seit langer Zeit krlegsungeübten Gebirgssöhne, und ihr altes freies Land wurde von den fremden Scharen überschwemmt und grauenhaft mißhandelt. An der Stelle der Nachkommen der Männer vom Rütli regierte jetzt der scheußliche Rapinat am wundervollen Vierwaldstättersee. Er und seine Raubgesellen stahlen die Kassen der armen Waldkantone ebenso wie sie das reiche Bern geplündert hatten, und da das Geld ihnen zu wenig war, raubten sie auch die Rüstungen ünd Waffen, mit denen einst die Freiheit erkämpft worden war, aus den Zeughäusern. Was den armen Landleuten noch geblieben, fraßen die französischen Soldaten und ihre Pferde auf, und das die Bewohner nährende Vieh wurde zum Unterhalte der fremden Truppen, die man nicht gerufen hatte, geschlachtet. Um Geld zu erpressen, schossen die Franzosen in die Häuser, verjagten die Einwohner und plünderten dann ihre Habe. Umsonst machte die schwache helvetische Regierung, welche doch selbst die Fremden in das Gebirge gesandt hatte, durch das Elend ihrer Landsleute erschreckt, Vorstellungen in Paris. Das französische Direktorium antwortete höhnend: diese Klagen seien nur Folgen der Intrigen des englischen Gesandten! Umsonst auch bemühte sich der französische General Schauenburg (ein Lothringer), welcher über den Jura her in die Schweiz gezogen war, die Ausschweifungen seiner zuchtlosen Mannschaft zu zügeln.

Edelgesinnte Schweizer, namentlich der aus Preußen eingewanderte, damals hochgeschätzte Schriftsteller Heinrich Zschokke, sammelten im In- und Auslande für die so schwer heimgesuchten Urkantone. In der That kamen aus der ebenen und reicheren Schweiz, aus Deutschland, selbst aus Dänemark, Spanien, Italien und England ansehnliche Unterstützungen – nur Frankreich, welches das Elend angerichtet hatte, verweigerte jede Hilfe.

Es muß indessen zugestanden werden, daß in der nunmehr über die ganze Schweiz (Graubünden einstweilen ausgenommen) ausgebreiteten helvetischen Republik, allerdings durch die modern gesinnten Schweizer, nicht durch die Franzosen, höchst zweckmäßige Verbesserungen eingeführt wurden, deren sich die Schweizer heute noch erfreuen. Die helvetischen Behörden waren, soweit es ihre Schwäche gegenüber den Franzosen gestattete, von den besten Absichten beseelt, und es wurden großartige Ideen ausgesprochen, die heute noch nicht durchgeführt sind, wie z. B Rechtseinheit. Aber was fruchtete dies? Die helvetische Regierung ordnete an; Rapinat aber befahl „im Namen des französischen Direktoriums“, plünderte und raubte nach Belieben, ja setzte sogar eigenmächtig, auf die Bajonette seiner Landsleute gestützt, Regierungsmitglieder ab und ein! Und dabei gab es leider immer noch Schweizer, welche so servil waren, das von den Franzosen Verfügte zu beklatschen!

Die entsetzlichsten Scenen, welche die „Freundschaft“ Frankreichs für die „Schwesterrepublik“ zur Folge hatte, sollten aber erst noch kommen. Am 12. Juli 1798 beschloß die helvetische Regierung unkluger und überflüssiger Weise, von allen Staatsbürgern des Landes einen sogenannten Bürgereid zu verlangen und diejenigen, die denselben verweigern würden, mit dem Verluste des Bürgerrechts zu bestrafen! Wurde nun diese gehässige Maßregel schon in jenen Gegenden, welche sich der neuen Verfassung freiwillig gefügt hatten, mit Mißtrauen, Hohn und

  1. Siehe von dem Verfasser dieses Artikels „Die Landsgemeinde von Appenzell-Innerroden“ im Jahrgang 1868 (S. 393) und „Die Landsgemeinde von Uri“ im Jahrgang 1882 (S. 434) der „Gartenlaube“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_222.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2023)