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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Prinz Wilhelm von Preußen auf der Bärenjagd.0 Nach dem Oelgemälde von Jul. Falat.
Mit Genehmigung der Photographischen Gesellschaft in Berlin.


Sie hatte es ganz vergessen; nun konnte sie ihm zugleich Mittheilung machen von dem Telegramm; es war doch schließlich seine Angelegenheit, Hortense vorzubereiten.

Er erwartete sie in seinem Zimmer. Die dunkelgrünen schweren Dekorationen machten es schon dämmerig, obgleich draußen noch das letzte Abendroth am Himmel schwamm; gespensterhaft leuchteten die Gesichter der Reiterinnen und Jäger auf den Gobelins in dem grauen Zwielicht. Der weiche Teppich machte die Schritte des Mannes, der vor dem Kamin auf- und abwandelte, ganz unhörbar. Nun blieb er stehen.

„Ich habe eine Bitte an Sie,“ begann er, „eine große Bitte –“ er sprach langsam, „morgen früh schieße ich mich mit Rostau – und –“

Ein leiser Schreckensruf antwortete ihm.

„Ruhig!“ fuhr er noch leiser fort. „Sie wissen, weßhalb. Ihrer Diskretion bin ich versichert. Hier in meinem Schreibtisch, im Schube rechts, liegt mein Testament und ein Brief an Hortense, für den Fall, daß – Sie verstehen mich wohl. Hier übergebe ich Ihnen den Schlüssel. Ich habe nur noch die innige Bitte an Sie: verlassen Sie das arme Wesen nicht; sie wird Ihrer Freundschaft bedürftiger sein, denn je! Ich habe ihr gesagt, daß ich zu einer Abendgesellschaft geladen bin, an die sich morgen eine Hühnerjagd anschließen wird, habe auch bereits Abschied von ihr genommen. Sie ahnt ja nichts, sie hat mir nicht einmal die Hand gedrückt. In dem Briefe dort –“ er brach ab – „auch Sie, Lucie, sagen Sie es ihr später noch einmal, daß ich sie sehr geliebt habe.“

Er hatte des Mädchens Hand ergriffen und zog sie an seine Lippen.

„Leben Sie wohl, Lucie, vielen Dank! Der Wagen wartet; Gott gebe uns ein Wiedersehen!“

Er ergriff hastig Hut und Ueberzieher und verließ eilends die Stube.

Lucie, die einen Augenblick regungslos gestanden, eilte jetzt zur Thür des Ankleidezimmers hinüber, welches sich neben der Schlafstube befand, sie wußte nun, daß sie Hortense nicht einen Augenblick allein lassen dürfe; alles Andere war vergessen. Betroffen wich sie zurück, hinter den Vorhängen stand – Hortense.

„Ich habe Dich erschreckt?“ fragte die junge Frau unheimlich ruhig. „Verzeih!“

„Einen Augenblick nur, Hortense. Gott sei Dank, daß es Dir besser geht!“

„Komm her,“ sprach die junge Frau und faßte Luciens Hand, „setze Dich da, neben mich –“ sie drückte das bebende Mädchen auf einen Divan. „Ich will Dich um etwas bitten.“

„Bitte, Hortense.“

„Geh fort von hier – wenn es Dich nicht schon zuviel kostet, sonst – will ich es thun,“ stieß sie hervor.

„Ich verstehe Dich nicht, Hortense, bis auf das Eine, daß ich Woltersdorf verlassen soll.“

Die junge Frau in ihrem weißen Morgenkleide bebte an allen Gliedern. „Lucie, Du sagtest immer, Du habest mich lieb. Wäre es wahr gewesen, müßtest Du schon lange –“

„Gegangen sein?“ schrie das Mädchen auf.

„Ja, Du mußtest sehen, wie ich litt.“

„O, war ich denn blind bisher?“ jammerte Lucie. „Hortense, was verbrach ich nur, daß Du mir dies anthust, daß Du mir das Schlechteste zutraust, was man von einem Mädchen glauben kann, daß Du mir nachschleichst, um –“ Sie war plötzlich auf den Füßen. „Leb’ wohl, ich gehe!“

„Bleib’; ich bin noch nicht fertig, Lucie, Du sollst erst wissen –“

„Ich will nichts wissen, Du hast mich auf den Tod beleidigt!“

„Luz! Nein, bei Gott, ich bin Dir nicht nachgeschlichen!“ rief Hortense. „Ich denke nicht schlecht von Dir! Ich wollte Waldemar Adieu sagen; mich trieb es mit sonderbarer Angst zu ihm, und da – o Luz, Du kannst ja nicht dafür, er mußte Dich ja lieb gewinnen, Du bist der Sonnenschein im Hause, das einzig Lichte für ihn. Ich – wenn Du nicht gewesen, wer weiß, ob er es so lange ertragen hätte mit mir!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_228.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)