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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

drolligen Bonbonverse, die darunter standen. Nach und nach verödete diese Beschäftigung zu einer mechanischen Tagelöhnerarbeit. Nun, es ließ sich aber so hübsch plaudern, während der Pinsel fast mit der kunstlosen Eintönigkeit eines Besens sein Werk verrichtete, und die Schmetterlinge der Gedanken konnten so ungehindert ins Weite flattern. Papa saß ihr dabei gegenüber an demselben Tische und brütete im Angesicht der dicken Stiftungsakten über einem Referat – oder war es nur das Gefühl, daß er nicht hinter seiner Heldin zurückbleiben wollte, was ihn seine Peinlichkeit verdoppeln hieß?

Welche Freude, wenn am ersten des Monats der Kassendiener der Firma Belzig das Honorar brachte! Nicht viel, aber es reichte doch aus, die Miethe zu bezahlen, und im Lauf der Jahre gab es eine Steigerung, als der Verlag zur Herausgabe seiner neuen Puppentheater („unverbrennbar“ natürlich) nebst Textbüchern schritt, die eine Zeit lang in der Spielwaarenbranche Sensation machten.

Einmal kam eine Zeit, wo die Sonne des Humors, die den Kolorirtisch so freundlich beschien, nicht mehr recht leuchten wollte – Monate lang. Es war während des deutsch-französischen Krieges; mit wenigen Wochen Abstand meldete die lakonische Kürze der Verlustliste den Heldentod der beiden Söhne. Der alte Gamlingen war wie gebrochen; aber auch nachdem die Zeit das erste bittere Weh gestillt, blieb eine schmerzhafte Narbe zurück: wenn ihm die Gnade Gottes doch nur einen der prächtigen Jungen bewahrt hätte – nur einen, der den alten Namen der Gamlingen vor dem Erlöschen schützen konnte! So aber würde dieser Name, der die Jahrhunderte kräftig und glanzvoll überdauert, dereinst mit Olgas Verheirathung, mit seinem eigenen Tode, wie ein welkes Blatt verweht werden.

Ist denn nicht der – Dritte da? Da erst erfuhr Olga Näheres über die Irrsale des Verlorenen. Ah, nicht er wäre berufen und befugt, den Namen stolz wie eine Standarte durch die Zeiten dahinzutragen! Und dann, wo war er? Seine Spur war plötzlich, vor Jahren schon, abgerissen. Dann brachte ein Zufall, der Auszug aus dem Schiffsrapport eines Atlantic, die Nachricht seines Todes; er war auf der Rückfahrt nach Europa verstorben. Wenn es die Ehre des Namens galt, so mußte dieser Tod fast willkommen geheißen werden. –

Ja, es war nicht viel Freudiges, was der Spiegelglanz des messingenen Schildes dem Alten beim Vorüberschreiten ins Gedächtniß rief. Aber es wäre Unrecht, ja Undankbarkeit gewesen, wenn er dem Schilde gegrollt hätte. Das geschäftliche Verhältniß zu den Belzig’s hatte sich im Laufe der Jahre zu einem freundschaftlichen gestaltet. Besonders Olga hatte viel dort im Hause verkehrt; Frau Belzig gefiel sich darin, dem Freifräulein eine hätschelnde Mutter abzugeben; Olga war klein und zierlich geblieben und wollte aus dem Backfisch nicht herauswachsen, den großen blitzenden Augen zum Trotz, die so resolut in die Welt hineinschauten. Die Tochter eines Pensionirten – hatte sie denn ein Anrecht, mehr von dem festlichen Lichterglanz des Lebens kennen zu lernen, als den Schein, der von den hellen Fenstern in das Dämmer der Straße fällt? Nun aber durften die kleinen Hände zuweilen selbst in die Zweige greifen und sich ihr bescheiden Theil Naschwerk vom Baume herabholen.

„Zu unserem Bedauern hatten wir in der letzten Zeit nicht die Freude, Ihr Fräulein Tochter zu sehen, Herr Oberstlieutenant,“ sagte der höfliche Eff, als die Herren gemeinsam das Haus verließen.

„Ich danke ergebenst. Ein einseitiger Kopfschmerz – hat Nichts zu bedeuten! A propos, verlautet denn Nichts über die Neubesetzung des Metzer Gouvernements?“ Immer noch das Steckenpferd!

Ein nervöser Kopfschmerz – nun ja, die Kleine hatte ihren Vater gebeten, sie bei den Belzig’s zu entschuldigen, sie wäre nicht im Stande, ein vernünftiges Wort zu reden. Der gute Papa merkte nicht, wie sie in der letzten Zeit mehrmals einen Vorwand suchte, um an einer Einladung bei den Belzig’s vorbeizuschlüpfen. Und der gute Eff hätte sich gewiß nicht träumen lassen, was ihn und die Anderen der Freude beraubte; es war jedenfalls ein aufrichtiges Bedauern, wie auch die Freude aufrichtig gewesen wäre.

Unter einem großen vergoldeten Stiefel, der neben einem Portal in der Derfflingerstraße wie eine Laterne leuchtete, empfahl sich der Pensionär.

„Gute Besserung wünschend, Herr Oberstlieutenant!“ rief Mühüller.

„Wünsche gleichfalls von Herzen!“ fügte Eff hinzu.

„Ze … ze … ze …“

War es die Verlegenheit der anstoßenden, oft über die gleichgültigsten Dinge stolpernden Zunge, die den alten Herrn die Hand des Generalstäblers länger als zu einem gewöhnlichen Abschiedsgruß in der seinen halten ließ? Und mit welch seltsam lauerndem Blinzeln die wasserhellen Aeuglein in Eff’s Antlitz forschten! Aber nichts weiter als das hilflose: „Ze … ze… ze …“ und der militärische Gruß der Hand an der Pelzmütze, die ihre Abstammung von dem ehemaligen Husaren nicht verleugnen konnte.

Die scharfe Januarkälte hieß die beiden Officiere ausschreiten. Nach einem kurzen Schweigen warf Mühüller aus der Vermummung des hochgezogenen Mantelkragens die Bemerkung hin: „Ich weiß nicht, Eff, ich würde zugreifen! Brrr! diese Kälte!“

„Wieso?“ fragte Eff zerstreut.

Mühüller zuckte mit den Schultern: er ist verliebt; er hat ein Recht, zerstreut zu sein; man muß ihn in Ruhe lassen!

Nach ein paar trippelnden Schritten begann er dennoch von Neuem:

„Na, ich weiß nicht – ich würde mir einfach diesen neuen Paletot anschaffen und ihn anziehen. Er wird Sie pompös kleiden; er wird Sie warm halten; das müssen selbst Sie einsehen, trotz Ihrem Generalstab! Ein verteufelt guter Name! Alle Wetter!“

Eff machte kurz Halt. Mühüller, der noch ein paar Schritte weiter gelaufen war, vollführte eine rasche Kehrtwendung: „Nun?“

„Ich weiß wirklich nicht, wie Sie das meinen, Mühüller! Ich dächte, es wäre genug darüber gescherzt worden!“

Es war nicht die geringste Heuchelei bei dieser fast strengen Abweisung.

„Mein heiligster Ernst!“ krähte Mühüller. „Kommen Sie, man friert an. – Sie sehen nicht, Sie hören nicht, Sie sind kein Praktikus! Sie sind zwar vom Generalstab (ein ganz winziger verzeihlicher Neid, der sich immer wieder Luft machte – ‚das Ponceauroth des Generalstabs reizt auch die frömmsten Thierchen,‘ meinte er gelegentlich). Nun, Sie brauchen sich weder zu empören noch erstaunt zu thun. Ich habe es von Perkisch. Es ist vor ein paar Tagen in aller Unverfrorenheit davon die Rede gewesen – ein einfaches Geschäft: der Alte ist durchaus nicht abgeneigt, seinen Namen neu aufzupfropfen – na, ich bitte Sie, es lohnt sich doch! Und Melitta’s Mama muß wohl ihre Gründe haben, daß sie sich so uneigennützig um anderer Leute Namen kümmert. Das heute Abend war nur der erste Vortrupp; Perkisch wird das Gros kommandiren. Sie werden ihn in ein paar Tagen mit einer Offerte antreten sehen. Er wird das Ding von einem Namen eben so in Entreprise nehmen, wie er die Heirath seines Grafen in Entreprise genommen hat …“

„Ah, aber Mühüller, ich bitte, sich zu menagiren! Sie wollten doch nicht behaupten …?“ fiel Eff entrüstet ein.

„Ich sehe, was ich sehe. Ich weiß, was ich weiß. Bin ich ein Schlauberger oder bin ich keiner? Wer ist der Graf? Und wer ist Perkisch? Und wie kamen sie zusammen?“

Ueber Eff’s erstaunte Miene hätte Mühüller fast laut aufgelacht, aber er bezwang sich.

„Na, à part das! Es geht uns ja nichts an! Wohl dem, der kopfhoch in Illusionen steckt – man soll ihn nicht gewaltsam herausreißen! Mancher liebt kalte Douchen, Mancher nicht. Ich weiß, was ich weiß!“ schmunzelte er in sich hinein. Und er ließ noch einmal in Gedanken alle Faktoren des hübschen Rechenexempels Revue passiren: den verschuldeten Grafen und seinen Goldhunger, Perkisch’s außerordentliche Bemühungen, ihn bei Belzig’s zu produciren, den Adelshunger dieser Damen, wenigstens der Mama – die Töchter mochten ja immerhin ein paar gute harmlose Kinder sein – es war wirklich reizend, wie nett das Alles zusammentraf!

Mühüller spitzte die Lippen und fing an, vor sich hin zu pfeifen.

„Ich verstehe Sie nicht!“ unterbrach ihn Eff ungeduldig.

„Na, denken Sie, was Sie wollen, lieber Eff! Am besten vielleicht, Sie denken gar nicht darüber nach. Wollte Ihnen nur

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_239.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)