Seite:Die Gartenlaube (1887) 245.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Schubart’schen Angedenkens, und weiterhin das bestimmte Profil des Wunnensteins, wo einst der „gleißend Wolf“ gehaust; rechts aber, von der blauen Kette der schwäbischen Alb herüber, zwischen Hohenzollern und Achalm, glänzt die Perle des schwäbischen Landes, der poesieverklärte Lichtenstein.

Das Besondere Stuttgarts ist eben die schwesterliche Beziehung der Stadt zur Natur, zum frischen Schmuck ihrer Berge, an die sie sich so traulich anschmiegt. Stuttgart ist darum auch das eigentliche Dorado für den Freund friedlicher Naturspaziergänge: wo immer er die Stadt verlassen mag, steht ihm eine Fülle von genußreichen Pfaden offen, und wie lange er auch Tag um Tag in der Umgegend herumgewandert sei, immer noch hat er die Freude, einen hübschen Berg, eine malerische Partie, einen entzückenden Ausblick zu entdecken.

Auch der Stift unseres Zeichners, den wir nun auf seinen Wanderungen zu begleiten uns anschicken, ist durch manchen schönen Punkt in der Umgebung der schwäbischen Hauptstadt gefesselt und zu liebenswürdig gewandter Wiedergabe aufgefordert worden.

Das königliche Residenzschloß und die Jubiläumssäule in Stuttgart.
Originalzeichnung von R. Püttner.

Von der Höhe des Schützenhauses, von wo er das wohlgetroffene Gesammtbild der Stadt vor uns ausbreitet (vergl. S. 240 und 241), steigen wir zunächst mit ihm zum Schloßgarten hinab, zu dem reizvollen obern See, wo zwischen den uralten Baumriesen der Kastanien, die ihn in weitem Rund umgeben, die eine Front des königlichen Schlosses den Hintergrund abschließt, wo die Schaumwolken der großen Fontaine auf die bewegte Fläche mit den schaukelnden Schwänen und Enten niederstäuben, wo die herrliche Nymphengruppe, eines der edelsten Werke Dannecker’s, und erlesene Marmorkopien antiker Statuen im See sich spiegeln. Wir folgen ihm weiter durch das grandiose Laubgewölbe der Platanenallee zu dem Kolossaldenkmal, das vor wenigen Jahren König Karl der treuen Anhänglichkeit des württembergischen Volkes an das angestammte Fürstenhaus aufgerichtet hat: Graf Eberhard nach Kerner’s bekanntem Gedicht im Schoß eines Hirten ruhend.

Die langen Baumgänge des Schloßgartens führen uns von selbst über das Lustschloß Rosenstein (vergl. S. 246) zur Wilhelma (S. 240 u. 241) bei Cannstatt, jener ganz eigenartigen Schöpfung des verstorbenen Königs, welche die maurische Wunderpracht der Alhambra in großartig reichen Bauwerken und die zauberhafte Ueppigkeit der südlichen Pflanzenwelt in einer unendlichen Flucht von herrlichen Gewächshäusern und weitgedehnten Gärten wiedergiebt.

Ein kurzer Gang über die Neckarbrücke und durch die freundliche Bäderstadt Cannstatt führt uns zu den Anlagen am Sulzerrain über dem Kursaal. Da mögen wir uns gerne unter dem köstlich kühlen Schattendach zur Seite der plätschernden Fontaine niederlassen und zwischen den Bäumen und Sträuchern durch auf Cannstatt und Stuttgart und die wunderbar reiche und weiche Fülle dieser gesegneten Gegend hinausblicken. Oder, noch besser, wir suchen das stille Plätzchen am obern Rande der Anlagen auf, das ein schlichter Stein neben der von wilden Rosen umwachsenen Ruhebank als „Freiligrathsblick“ bezeichnet. Dort ruhte er am liebsten, der edle Dichter, der nach manchem Sturm den milden Lebensabend hier in Cannstatt verbracht hat, und erfreute sich an dem Blick auf das grüne Neckarthal mit seinen Pappeln und Erlen, auf das freundliche Untertürkheim und die Grabkapelle des Rothenbergs (vergl. S. 247) und die ferne Kette der Alb. Dort mag auch das schöne Lied zu Hölderlin’s hundertjährigem Geburtstag entstanden sein, in dem er so stimmungsvoll die stillen Reize dieses „wonnigen Landes“ und „seines Flusses blaue Wogen“ preist. Dort sehen wir auch ganz nahe unter uns den traulich schlichten Thurm des uralten „Uffkirchleins“ über die Kirchhofmauer sich erheben, an dessen Seite Freiligrath seit zehn Jahren im Grabe ruht, das sein mächtiges Haupt, von Donndorf’s Meisterhand geformt, in schimmerndem Erz bezeichnet.

Der Weg zur Stadt zurück führt uns an der königlichen Villa bei Berg vorüber (vergl. Vignette S. 247). Vor nun schon vierzig Jahren von Leins erdacht und ausgeführt, ist dieser Prachtbau eines der frühesten und maßvoll edelsten Muster der wiedererstandenen italienischen Renaissance in Deutschland und darum von dauerndem Werth für unsere Kunstgeschichte, besonders ansprechend durch die Mannigfaltigkeit der feinsten geistigen Durchbildung und durch einen unaussprechlichen Hauch von ewiger Jugend. Dazu die entzückende Lage auf beherrschender Höhe über dem Stuttgarter und Cannstatter Thal und die herrliche Pracht der musterhaft gehaltenen Gärten, welche den ganzen Hügel und seine Abhänge bedecken, fürwahr ein Kleinod höchster Art unter den deutschen Fürstensitzen!

Wollen wir nun dem Künstler nach der entgegengesetzten Richtung folgen, so thun wir am besten, vom Hauptbahnhof mitten in der Stadt zum Hasenbergbahnhof zu fahren. Das ist wohl eine lange Fahrt in weitausgezogenem Bogen, aber vom mannigfaltigsten Genuß durch den Ausblick auf das Stadtbild unter uns und die Höhen gegenüber und die farbenreiche Landschaft in der Ferne, mit jeder Minute wechselnd und immer neue Gruppirungen vor das Auge stellend.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_245.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)