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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

setzte Frau Belzig mit einem Seufzer hinzu, der aus einer reservirten Ecke ihres Mutterherzens zu kommen schien. „Friedrich, meinen Kaffee in das rothe Boudoir!“

Die Verkleinerung des linken Auges hatte bei Friedrich nunmehr ihren höchsten Grad erreicht.

Gleich darauf erscholl im Nebenzimmer das laut krächzende Gelächter des Papageis. „N’tag, Hans! N’tag, Hansi!“ riefen die lachenden Mädchenstimmen. Der Vogel stellte sich ganz ungeberdig, und der ganze Käfig wankte und schwankte unter der Freudenwuth seiner Sprünge. Ein Fältchen der Ungeduld zog sich zwischen Frau Belzig’s energischen schwarzen Brauen zusammen; das Gelächter und die Fröhlichkeit fiel ihr wie ein Vorwurf aufs Herz, und Solches paßte durchaus nicht in die Situation.

Dann, in dem breiten Rahmen der Schiebethür, die Friedrich lautlos aus einander gleiten ließ, erschienen Lo und Melitta. Es war wie die Wirkung eines Sonnenscheins, der jubelnd aus dem Regengrau der Wolken bricht: alle die Tümpel und Pfützen der schlammigen Landstraße wie Goldplatten erglänzend und die häßliche Oede der versumpften Landstrecken zu farbiger Heiterkeit verklärt.

Ein paar Augenblicke hielten die beiden Gestalten in der Thür, als gälte es, den Eltern dort am Tische mit dem Bilde ihrer Erscheinung eine Freude zu bereiten. Das mit kostbarem Pelz verbrämte Eiskostüm kleidete sie „zum Entzücken“ – oft genug, während sie über die mit feinem weißen Krystallstaub bedeckte Fläche dahinsausten, war ihnen das Wort mit anderen Rufen der Bewunderung an den Köpfen vorbeigehuscht. Sie waren noch in der hellen Begeisterung des herrlichen Sportes, ihre Gesichter mit blühender Röthe bedeckt und die dunkelrothen Lippen halb geöffnet von der Erregung des Athmens; ihr ganzes Wesen in Leben und Bewegung. Ein so würziger Hauch stählender Winterkälte wehte von ihnen aus.

„Was? noch bei Tische?“ rief Melitta.

„Wie könnt Ihr nur in der häßlichen Stube sitzen!“ rief Lo zu gleicher Zeit. „Ein Verbrechen, nicht draußen zu sein! Alle Welt ist draußen!“

„Ihr habt keine Ahnung, wie herrlich es ist!“

„Ganz wundervoll! – Wir kommen wohl viel zu früh? Wie schade!“

Es war zum Nachmittag ein gemeinsamer Besuch angesetzt worden; eine wichtige Nothwendigkeit. Was sollen die Leute denken, wenn man sich nicht bald blicken läßt! Diese Leute waren aber auch nichts Gewöhnlicheres als eine aktive Generalsfamilie.

„Es wird heute leider nichts aus dem Besuch, Ihr dürft ruhig ablegen,“ sagte Frau Belzig, mit der unbefangensten Miene in der Fruchtschale suchend.

„O, da hätten wir wohl noch bleiben können?“

„Nein, es ist gut, daß Ihr da seid – Papa und ich haben mit Euch zu sprechen.“

Es klang so schwer, so feierlich, fast streng. Plötzlich, mit einer nachdrücklichen Gebärde, preßte Frau Belzig die Serviette auf den Tisch, stand auf und legte ihre Arme, die so rundlich von der enganschließenden Seide umspannt waren, um die Taillen der beiden Mädchen. „Nun, seid Ihr auch nicht zu echauffirt? Seid Ihr auch nicht zu wild gewesen?“ Es war gar kein Uebergang von jener Feierlichkeit zu diesem besorgt zärtlichen Ton. Ihre weiche, warme Hand strich ihnen nach einander uber das Oval der Wangen. „Ich stehe immer eine Todesangst aus, und ich bin wie erlöst, wenn Ihr zurück seid.“

„Du kleine närrische Mama!“ lachte Lolo. Und sie umschlang den Nacken der Mutter und bedeckte deren Wangen mit ein paar herzigen Küssen.

„Du erstickst mich noch, Du Wilde!“ rief Frau Belzig, etwas erzwungen lachend und sich wohlig unter der Liebkosung hin- und herwindend. Dann mit neckischer Gewaltsamkeit löste sie sich aus den Fesseln von Lolo’s Armen, und nun fiel sie mit einem seltsam stürmischen Ausdruck uber Melitta her, deren Hand in den beiden streichelnden Händen des Vaters geruht hatte. – Was war den Eltern beiden? Melitta schrak fast zurück vor dieser Heftigkeit.

„Komm her, Du bist mein gutes, braves Kind, nicht wahr?“

Melitta’s ahnungslose Braunaugen forschten verwundert in dem Antlitz der Mutter. Warum wich ihr diese mit den Blicken aus, während ihre Worte so auf sie einstürmten? Warum die Gezwungenheit ihres Lächelns? Was war geschehen? Ein plötzlicher unerklärlicher Schreck krampfte ihr Herz zusammen.

Welch eine Thorheit! Was sollte, was konnte Böses von dieser Seite drohen? Doch in einer Vorahnung, daß sie vielleicht zum letzten Mal Schutz zu suchen hätte an dem Herzen ihrer Mutter fügte sie sich hingebend in deren Liebkosung. „Liebe Mama …“

Die ganze Scene sah ja fast wie ein Abschied zu einer längeren Reise aus.

„Ihr werdet kalt sein. Ihr werdet nach Eurem Thee verlangen. Friedrich, den Samowar in die rothe Stube!“ befahl Frau Belzig.

Sie hatte ihre Fassung wiedererlangt. Durfte ihr Gewissen nicht in ungetrübter Reinheit strahlen? Und sie reckte sich auch körperlich aus der Enge ihres Mieders heraus. Wie ihr die süßen Wesen ins Herz gewachsen sind! Wie sie ja keinen andern Gedanken hat, als das Glück und das Wohl ihrer Lieblinge!

„Kommt!“ Und die Arme abermals um die Taillen ihrer Beiden geschlungen, rauschte sie mit ihnen davon, nach der rothen Stube hin. –

Die rothe Stube … es klingt fast ominös. So pflegt in einem mit Geheimnissen und Furchterlichkeiteu gefüllten Kolportageroman irgend ein Kapitel überschrieben zu werden, in dem das Blut eines unschuldigen Opfers fließen wird.

Bah, nur eine kleine Operation, die an Melitta’s Herzen vorgenommen werden muß. Mit ein paar Thränen ist Alles erledigt.

(Fortsetzung folgt.)




Die Münchener Künstlergesellschaft „Allotria“ und ihr Heim.

Mit Illustrationen von Otto Strützel und Fritz Bergen.

Dort, wo in München der Karls- und Maximiliansplatz und eine Reihe Straßen auf einander treffen, fesselt ein reiches und mannigfaltiges Städtebild das Auge des Beschauers: überall große, unregelmäßig gestaltete Plätze mit reichen Baumanlagen, über welchen sich hochgegiebelte Häuser in allen erdenklichen Stilarten erheben; nirgends einförmige Straßenfronten, sondern malerisch durch einander geschobene Linien, von Bäumen durchschnitten. Der Lärm des nahegelegenen Bahnhofviertels, schlägt noch ans Ohr. Dort schimmert der farbenreiche Giebel des Hôtel Bellevue mit seiner mittelalterlichen Erscheinung; näher ladet das klassische Portal des botanischen Gartens in seinen grünen Frieden; gegenüber erhebt sich in düsterem Ernste der Neubau der Synagoge. Mehr landschaftlich als architektonisch gegliedert liegt das Ganze vor uns.

Und mitten in diesem reichen und offenen Bilde zeigt sich ein Stückchen Stadt, das wie aus einem längstverwichenen Jahrhundert da liegen geblieben ist. In den modernen Platz ist ein kleines Thälchen eingeschnitten, das aus dem Innersten der Stadt zu kommen scheint. Zwischen räthselhaften verworrenen Häusermassen fließt ein Bach durch dieses Thälchen, welches an beiden Seiten mit altersgrauen Ruinen eingesäumt ist. Ueber ihnen aber erhebt sich dunkel und dräuend ein letzter Rest der längst niedergelegten alten Stadtmauer, an welchen sich Gerümpel der verwegensten Art schutzbedürftig anlehnt.

In den geheimnißvollen Tiefen dieser Stadtmauer ist es, wo die Münchener Künstlergesellschaft „Allotria“ ihr Heim aufgeschlagen hat. Keinen malerischeren Winkel hätten die Maler in der ganzen Stadt finden können, als diesen. Durch eine hölzerne Wand tritt man da zunächst in einen kleinen Garten, von dessen Rand aus man in jenes Thälchen mit seinem Bache, seinen Wiesen, seinen Hollunderbäumen und seinem Gerümpel hinunterschaut. Aus diesem Garten geht’s durch einen schmalen Gang in die Gesellschaftsräume, welche in die labyrinthischen Tiefen der Stadtmauer eingelassen sind. Der Geist des frühesten Mittelalters umweht Einen hier gleichzeitig mit dem der Gothik, der Renaissance, des Zopfes und der Gegenwart. Durch ein kleines Vorzimmer gelangt man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_263.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)