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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Nasenhälfte hinein, denselben in den mittlern (ff) und untern (gg) Nasengang abtheilend, und zwingen so gewissermaßen die Athmungsluft ihre ganze muschelartig gekrümmte Oberfläche zu bestreichen. Alle diese Theile sind von einer blutgefäß- und drüsenreichen Schleimhaut überzogen, die an der Scheidewand am dünnsten ist, dagegen an der untern, weniger an der mittlern Muschel eine bedeutende Mächtigkeit durch die Einschaltung gewisser mit Blut erfüllter Hohlräume erreicht. Man hat dieselben mit dem wissenschaftlichen Namen der „Schwellkörper“ (ss) belegt, weil sie die Fähigkeit haben, unter dem Einfluß der verschiedensten Reize durch vermehrte Blutfüllung stark anzuschwellen, wodurch die Schleimhäute alsdann aufgetrieben und die Nasengänge verengt oder ganz verschlossen werden.

Derartige „Schwellreize“ bilden z. B. sehr warme Luft, starke Gerüche, nervöse Einflüsse, endlich, und zwar am häufigsten, der Entzündungsreiz. Trifft ein solcher in Folge von Erkältung oder örtlicher chemischer oder mechanischer Einflüsse die Schleimhaut, so entzündet sich dieselbe; die Schwellkörper erweitern sich, die Drüsen sondern eine wässerige Flüssigkeit ab, und wir haben das, was man im gewöhnlichen Leben Schnupfen nennt, einen sogenannten akuten Nasenkatarrh. Derselbe gelangt meist auf natürlichem Wege in acht bis vierzehn Tagen unter allmählichem Nachlaß der entzündlichen Erscheinungen, unter Verminderung des Sekrets und Abschwellung der Schleimhaut, zur Heilung, falls nicht neue Erkältungen eingewirkt haben. Häufen sich aber die Erkältungen, treten immer neue Schnupfenanfälle auf, während die früheren noch nicht abgelaufen sind, so bildet sich nicht nur ein bleibender Auftreibungszustand der Schwellnetze, sondern auch eine dauernde Verdickung der Nasenschleimhaut, insbesondere der Muschelüberzüge aus, und wir haben es alsdann mit dem Zustand zu thun, den man als chronischen Schnupfen, Stockschnupfen oder chronischen Nasenkatarrh bezeichnet.

Senkrechte Querschnitte der Nase.
mit normaler (Fig. 1) und krankhaft gewucherter Schleimhaut (Fig. 2).
aa obere, bb mittlere, cc untere Muschel (knöchern), von der Schleimhaut überzogen, die bei ss die (in Fig. 2 stark gewucherten) Schwellkörper einschließt): dd harter Gaumen; e Scheidewand; ff mittlerer, gg unterer Nasengang, in Fig. 2 auf der linken Seite durch die hochgradige Schwellung verlegt; hh Backzähne.

Nebenstehender schematicher Querschnitt durch die Nase möge einigermaßen zur Erläuterung der Verhältnisse dienen. Wir sehen auf demselben die obere (aa), mittlere (bb) und untere (cc) Muschel mit ihren Schleimhautüberzügen, die bei den beiden letzteren den Schwellkörper (ss) in sich einschließen, und dazwischen die entsprechend benannten Nasengänge. Fig. 1 zeigt normale Verhältnisse der Schwellkörper und normal weite Nasengänge (ff, gg), während Fig. 2 links einen sehr bedeutenden, rechts einen geringeren Grad von chronischem Schnupfen mit entsprechender Schleimhautverdickung und Verlegung der Nasengänge (hauptsächlich links) vorstellt.

Man unterscheidet bei dem chronischen Nasenkatarrh zwei Formen, den hypertrophischen (wuchernden) feuchten Katarrh, welcher mit mehr oder minder reichlicher Absonderung einhergeht, und den atrophischen (mit Schwund der Schleimhaut verbundenen) oder trockenen Katarrh, der sich in einzelnen Fällen unter besonderen Verhältnissen aus ersterem entwickelt und den wir später besprechen werden.

Zuvörderst beschäftigt uns der hypertrophische Katarrh, bei dem je nach kürzerem oder längerem Bestande sehr verschiedene Grade der Schwellung auftreten. Dieselbe bildet im Anfangsstadium eine mäßige sammetartige Schwellung, kann sich aber bei eingewurzelten, alten, chronischen Schnupfenzuständen bis zu polypenähnlichen Wucherungen, namentlich an den vorderen und hinteren Muschelenden, ja bis zur wirklichen Polypenbildung erstrecken.

Anfangs ist es noch zeitweilig möglich, durch das eine oder andere Nasenloch zu athmen; die Verstopfung der Nase wechselt häufig, bald ist das rechte, bald das linke frei, allmählich aber nimmt die Verdickung der Schleimhaut und die Blutstauung in den Schwellnetzen immer mehr überhand. die Patienten vermögen endlich gar nicht mehr durch die Nase zu athmen, sondern müssen beständig die Luft durch den offen stehenden Mund einziehen, wodurch, besonders im Schlaf, die Rachen- und Kehlkopfschleimhäute ausgetrocknet und unangenehmer pappiger Geschmack und Belegtheit der Zunge hervorgerufen werden.

Als nervöse Symptome sind häufig Kribbeln und Jucken in der Nase, Reiz zum Niesen, Thränen der Augen vorhanden, ja mitunter können sich förmliche Nieskrämpfe einstellen, die in täglichen Anfällen wiederkehren und allen Riechmitteln trotzen. Ferner muß das fast in allen schwereren Formen des chronischen Schnupfens vorhandene Asthma hier Erwähnung finden, welches durch den Reflex des Stauungsreizes in den Schwellkörpern auf die entfernt gelegenen Bronchialnerven hervorgerufen wird. Die Auffindung dieser nervösen Reflexvorgänge ist erst der Wissenschaft der letzten Jahre vorbehalten gewesen, und man ist jetzt vielfach im Stande, durch Beseitigung der Nasenwucherung asthmatische Beschwerden mit einem Schlage zu beheben, gegen die sich die gesammte innere Therapie mit ihren Pillen, Mixturen und Tropfen bisher nutzlos erwiesen hatte.

Als weitere nervöse Folgezustände, die theils auf dem Wege des Reflexes auf die Kopfnerven und das Gehirn, theils in Folge der Blutstauungen in der Nase entstehen, sind zu erwähnen: nervöser Kopfschmerz, der mitunter einseitig als Migräne, oft aber auch doppelseitig als Stirn- oder Hinterkopfschmerz auftritt, ferner Benommenheit des Kopfes, Drücken und Stechen in den Augen, Schmerz bei Bewegungen derselben, Schwindelzustände, endlich in manchen Fällen direkte Abnahme der geistigen Intelligenz, Schwäche des Gedächtnisses und des Denkvermögens mit Unfähigkeit zu produktiver geistiger Arbeit verbunden, dabei erhöhte Nervosität, sehr reizbare Stimmung, endlich merkliche Abnahme der persönlichen Energie und Willensthätigkeit. Diese geistige Einbuße macht sich besonders bei Kindern, die an chronischen Schnupfenzuständen leiden, bemerklich; nicht genug, daß ihr Gesicht in Folge des steten Offenstehens des Mundes einen wenig intelligenten Ausdruck erhält, sie begreifen und behalten auch viel schwerer als ihre gesunden Altersgenossen und bleiben hinter denselben weit zurück.

Störungen des Geruchsvermögens, Abnahme desselben bis zum gänzlichen Verschwinden kommen beim chronischen Schnupfen häufig zur Geltung, meist in Folge der Verlegung der Riechspalte durch Schwellung, mehr noch aber durch Entartung der Riechschleimhaut bei der später zu betrachtenden atrophische Form desselben.

Eine ganz allbekannte Erscheinung des chronischen Nasenkatarrhs bildet das nasale Timbre der Stimme, die sogenannte Stockschnupfensprache als Folge der Verstopfung der als Schallraum wirkenden Nasenhöhle.

Das Gehör erscheint namentlich beim Uebergreifen des Katarrhs auf den Nasenrachenraum[1] in hohem Grade beeinträchtigt, und zwar können sich alle Uebergänge von leichtem Ohrensausen bis zu hochgradiger Schwerhörigkeit, ja völliger Taubheit, entwickeln, wozu auch unter Umständen die verkehrte

  1. Der Nasenrachenraum ist derjenige oberhalb des Zäpfchens und weichen Gaumens belegene Hohlraum, in den die Nasengänge mit ihren hinteren Oeffnungen und die beiderseits ins innere Ohr führenden Ohrtrompeten (tubae Eustachii) münden und welcher den Uebergang von der Nase zum Rachen bildet.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_311.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2023)