Seite:Die Gartenlaube (1887) 323.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Scherz verteufelt ernsthaft. Und der Mann hat Recht – man kann nichts Besseres thun, als seinem Rathe folgen!

Darauf sah man Graf Nachewski sich noch mit verschiedenen Gästen unterhalten, ein paar Mal noch mühte er sich um Lolo, die von einer wahren Tanzwuth besessen schien. Er hatte sich einen Stoß gegeben, und er wollte seinen Abgang wenigstens äußerlich als Gentleman nehmen.

Mühüller hatte ihn nicht aus den Augen verloren: er fand ihn, als er einen Blick in das von blauen Rauchwolken erfüllte Herrenzimmer that, vor der einen Wand stehend, die Cigarre in der Hand und die dort aufgehängten Waffen sehr aufmerksam betrachtend. Er stutzte nur ganz kurz – es war ja nicht denkbar – das! – was denn? Nun, es hingen dort auch ein paar kostbare Prachtexemplare von Pistolen. Eine Dummheit – die alten eingerosteten Dinger sind höchstens gut dazu, einem Andern mit der Kolbe den Schädel einzuschlagen! Aber wie er ihn, der gekommen war, den Frieden dieses Hauses zu zerreißen und Schmach und Thränen über ein edles liebes Wesen zu verhängen, dort stehen sah, mit der Gluth seiner Cigarre die Waffen beleuchtend, da erfaßte ihn ein wilder Grimm, und mit aller Grausamkeit ausgerüstet, deren dieses enfant terrible fähig war, trat er hinter den Verbrecher und raunte ihm zu:

„Sind nicht geladen, die Dinger da – würden auch einen zu höllischen Lärm machen – und – die Damen können das Knallen nicht vertragen ...“

Bald darauf ward Graf Nachewski nicht mehr im Hause gesehen. Er mußte sich unbemerkt davon geschlichen haben.




11.0 Das Götzenopfer.

Eff ging in dieser Nacht nicht zu Bett. Es war ein gewisser Schuß, der das nicht duldete, ein Schuß, der vielleicht schon gefallen war hinter einem Busch des Thiergartens oder sonst irgendwo – die Schmach des Hauses Belzig, die vielleicht schon von sensationsgierigen Reportern aus irgend einem Winkel hervorgezerrt war, die vielleicht schon die hexenhaft schnellen Hände der Setzer durchglitten und in wenigen Stunden an dem vielarmigen Pranger der Tagesblätter aller Welt offenkundig zu lesen stände.

Das Fest war in einer gedrückten Stimmung versickert. Als Eff und Mühüller in nicht zu später Frühstunde nach Hause gingen, unterbrach Letzterer das Schweigen.

„Lieber Eff, möchte übrigens nicht versäumen, Sie zu avertiren. Thäte mir leid, wenn Sie und die dort überrascht würden.“

Er wies mit der Hand über die Schulter nach dem Belzig’schen Hause hin, vor dessen erleuchteten Fenstern sich scharfabgeschnittene fächerförmige Lichtstreifen in dem dichten Nebeldunst zeigten. Und Mühüller hatte dem Kameraden Alles ohne Umschweife offenbart.

Der Hauptmann blieb stehen.

„Sind Sie denn des Teufels?“ und er starrte seinen Begleiter ganz entsetzt an.

„Er braucht sich ja nicht todtzuschießen, wenn er nicht will,“ warf Mühüller trocken hin. „Mein Rath ist ja nicht maßgebend.“

Eff machte eine rasche Bewegung, er wollte sofort umkehren, sie dort im Hause benachrichtigen. Sein Platz war jetzt dort. Aber nach ein paar Schritten stutzte er wieder – besser doch, daß ein Versuch gemacht würde, dem Selbstmörder in den Arm zu fallen und ihm die Pistole zu entreißen. Vielleicht war es noch Zeit und der Schuß noch nicht gefallen. Vielleicht ließ sich irgend ein anderer Ausweg finden, der einem solchen Skandal vorbeugte.

Bald darauf befand er sich auf dem Wege nach dem kleinen Hôtel in der Jerusalemerstraße, wo Nachewski wohnte. Der aus dem Schlaf aufgetaumelte Hausknecht stand wankend, mit zufallenden Lidern vor dem Schlüsselbrett. „Nr. 38 nicht da!“ brummte er nach einer Weile.

Eff beschloß, draußen auf der Straße zu warten. Und er begann auf dem Trottoir der anderen Seite auf und ab zu patrouilliren, das Hôtel scharf im Auge behaltend.

Es war Thauwetter eingetreten; eine unbarmherzige eisige Nässe, die Alles einhüllte und Alles durchdrang.

Eff fröstelte und er rannte schneller auf und ab. Allerlei Gedanken stürmten mit ihm, aber das, was nicht zum Zweck dieses Patrouillirens gehörte, warf er immer wieder von sich. Schmach und Schande und Schreck und Schmerz drohen ihnen dort, mit deren Geschick das seinige durch unauflösliche Bande der Liebe und Treue verknüpft ist. Man muß sie retten vor dem Aergsten, vor dem Entsetzlichen! Sie sollen den Schuß nicht zu hören bekommen!

Einmal rief er laut vor sich hin: „Nein, er darf nicht fallen!“ – ein Ausbruch der Ungeduld über die Ohnmacht seines Beginnens. Denn das, was Jener vollführen will, kann er überall thun, und er braucht deßhalb nicht des Morgens zwei Uhr die drei Treppen zu seiner Zimmernummer hinaufzusteigen.

Aber es muß doch etwas geschehen! Die Grenze, die er sich für seinen Patrouillengang gesteckt, wurde immer mehr eingeengt durch die wachsende Dichtigkeit des Nebels. Nun rannte er nur noch die Länge von fünf, sechs Häusern ab, damit er das Thor des Hôtels nicht aus dem Auge verlor. Er horchte immer gespannter. Thüren und Thore wurden geöffnet und mit dumpfem Dröhnen zugeschlagen, er hörte den Nachtwächter in der Ferne pfeifen und dann wieder in der Nähe mit dem Schlüsselbunde klirren. Lauthallende Gespräche kamen näher und verschwanden wieder in der grauen Nacht.

Wie unsinnig dieser Patrouillendienst! Es ist zu spät – und die unselige That bereits vollbracht! So muß man die Folgen wenigstens abzuschwächen suchen, so muß es erreicht werden, daß dieser Schuß nicht in allen Tagesblättern wiederhallt! Und Eff beschloß, nach dem Molkenmarkt zu eilen und an der Centralstelle, wo die Meldungen der Unglücksfälle und Missethaten einmünden, ein gutes Wort anzubringen.

Das Ansuchen in dem betreffenden Bureau wurde selbst ihm, der doch an die richtige Fassung solcher Dinge gewöhnt war, nicht ganz leicht, und der Wachtmeister, der sich bei dem Klirren der Sporen von dem grellbeschienenen Pulte, an dem er schrieb, aufrichtete und vor der imposanten Erscheinung des Hauptmanns zu einer militärischen Haltung zusammenzuckte, sah ihn unter seinen buschigen Augenbrauen hervor groß an. Und sie sind hier doch gegen jede Art von Ueberraschung abgehärtet.

„Ich wollte also gebeten haben,“ wiederholte Eff etwas bestimmter, „daß, wenn es angängig, eine gewisse Meldung über den plötzlichen Tod eines gewissen Herrn, falls sie eingeht, so lange wie möglich geheim gehalten werde. Ich habe Ursache anzunehmen, daß der Betreffende – und es lag nicht in der Macht seiner Freunde, ihn daran zu hindern …“

Der Beamte nickte – er verstand schon.

„Herr Hauptmann müßten freilich die Güte haben, uns den Namen anzugeben, damit wir uns orientiren können.“

Es klang ganz geschäftsmäßig, als handele es sich um eine veränderte Wohnungsadresse.

Eff stutzte kurz und ein schwerer Athemzug hob die breite Wölbung seines Brustkastens. Dann trat er näher an das Pult heran und flüsterte den Namen.

„Graf Na – c – h, nicht wahr? –chewski,“ wiederholte der Wachtmeister, indem er den Namen auf einen abgerissenen Fetzen Papier warf.

Da erhob sich Lärm im Flur. Irgend ein betrunkener Uebelthäter, der sich dem gewaltsamen Transport mit heiseren Flüchen und Drohungen widersetzte. Nun erschütterte die Thür unter dem heftigen Anprall eines Körpers.

Der Beamte ging um nachzusehen, kam aber gleich mit einem verständnißvoll lächelnden Nicken seines rauhbärtigen Gesichtes, die Feder in Brusthöhe erhoben, zurück.

Eff starrte den Namen auf dem Papierfetzen an, der mit so erschreckend deutlichen Zügen dort stand. Auf einem Leichenstein konnte der Name nicht deutlicher prangen. Und es war ja noch nicht einmal gewiß …

Der Wachtmeister unterbrach ihn in seinen Gedanken.

„Herr Hauptmann müßten auch noch die Güte haben, das Signalement näher anzugeben. Mit dem bloßen Namen ist es eine unsichere Sache, wir möchten doch eine Verwechselung vermeiden.“

Eff sah das sofort ein, dennoch zögerte er wieder. Ein Schauder überlief ihn: eine Art Steckbrief, der Jenem über die verhängnißvolle Grenze, Tod genannt, ausgestellt werden sollte – und man weiß doch nicht einmal, ob der muthmaßliche Flüchtling

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_323.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)