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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Es war längst ausgemacht, daß Mühüller seine Rekonvalescenz bei ihnen verbrächte. Das hübsche Fremdenzimmer war für seinen Empfang bereit und an dem Fenster dieses Zimmers, das nach dem nun in der vollen Glorie des Frühlings prangenden Garten lag, stand längst der bequemste aller Lehnsessel, den Frau Belzig für den Kranken gestiftet. Wie wollten sie ihn pflegen und hätscheln – wie sollte er unter dem Uebermaß von Liebeswerken, mit denen man ihn überhäufen wollte, seine Schmerzen, das Duell und die unselige Veranlassung dazu vergessen lernen!

Auf der kurzen Hochzeitsreise, im Eisenbahnkoupé, an der table d’hôte, immer hüpfte wieder der Refrain in das Gespräch: „Wenn er kommt, wenn Mühüller bei uns ist!“

Die Hochzeit hätte nicht stattfinden sollen ohne ihn! Gamlingen lag es auch jetzt noch schwer auf dem Herzen, daß man die völlige Genesung des Freundes nicht abgewartet. Er litt doch ihretwegen; so hätte man doch den Jubel der Hochzeit hinausschieben müssen, bis auch er daran theilnehmen konnte. Der Termin zu Anfang Mai war längst festgesetzt, doch Gamlingen widersetzte sich offen herans. Es war zwar längst keine Gefahr mehr, nur die Heilung der Wunde nahm solch’ langsamen Verlauf. Die Belzigs stimmten ihm kleinlaut zu; auch die Heuchlerin Melitta meinte, sich an Walther schmiegend, eine Hochzeit ohne Mühüller wäre doch … wäre doch … sie fand nicht den Ausdruck.

Mühüller verwunderte sich auf seinem Krankenlager, daß keine Anstalten zur Hochzeit gemacht wurden. Gamlingen sagte ihm den Grund. Er war ganz aufgebracht. „Sofort werdet Ihr heirathen! Auf der Stelle werdet Ihr heirathen! Meinetwegen warten? Bis ich das Tanzbein schwingen kann?“

Es würde ja doch nur eine ganz stille Hochzeit werden, wandte Gamlingen ein, Lolo’s und ihrer Entlobung wegen.

„Erst recht also! Was soll das heißen? Es ist doch wohl nicht Euer Ernst. Wegen der Dummheit da! Ich bitte Sie, wenn es nicht der Name gewesen, so wäre es irgend etwas Anderes gewesen! Weßwegen schießt man sich nicht? Versichere Sie, ist mir eine Ehre gewesen – und wenn der Fingerhut Mühüller’sches Blut dazu beitragen sollte …“

Er murmelte etwas von Freundschaft und Kameradschaft; na, er liebte es nicht, solche Sentimentalitäten auf der Zunge zu führen. Dann schlug er mit der flachen Hand auf die Bettdecke! „Abgemacht, geheirathet wird! Ich nehme es Euch höllisch übel und ich will nicht heißen wie ich heiße, wenn ich einen Fuß in Euer Haus setze. Geheirathet wird – sofort wird geheirathet!“

Und Gamlingen hatte es dem Kranken in die Hand versprechen müssen, daß geheirathet würde – zwar nicht „sofort“, wie Mühüller begehrte, aber doch zum ursprünglichen Termin.

Am Hochzeitstage hatte Mühüller dem Oberstabsarzt die Erlaubniß zu einem Schluck Champagner abgezwackt, den er auf das Wohl des glücklichen Paares trank. Und er hatte den Schluck nach der Hochzeitstafel hin telegraphisch mit echt Mühüller’schem Kraftausdrnck beglaubigt.

*  *  *

Am Nachmittage hielt vor dem Garnisonlazareth in der Scharnhorststraße die schmucke, in der Sonne glänzende und funkelnde Viktoria Gamlingen’s, ein Hochzeitsgeschenk der Belzig’s. Melitta, in den Duft ihrer Frühjahrstoilette geschmiegt, erwartete im Rosaschatten des großen Spitzenschleiers die beiden Herren. Endlich hallte Mühüller’s Stimme auf dem Flur des kasernenmäßigen Gebäudes. Diese Stimme schien nichts an ihrer durchdringenden Kraft eingebüßt zu haben.

„Ha, meine gnädige Frau, ’n Tag, meine liebe, gnädige Frau!“ rief er, noch aus dem Dunkel des Flures. An den Fenstern zeigten sich einige von den blau-weiß gestreiften Lazarethkitteln.

Er kam am Arme seines Freundes langsam genug dahergeschlichen. Aber das massive Elfenbein seiner Zahnreihen leuchtete. Melitta streckte ihm schon von ferne ihre Hand aus dem Wagenschlag entgegen. „Willkommen zur Genesung!“ rief sie.

Vor dem Schlag machte sich Mühüller von Gamlingen’s Arm los und hob die linke Hand salutirend an die Mütze, der rechte Arm ruhte der Vorsicht halber noch in einer schmalen schwarzen Binde. „Melde mich ganz ergebenst mit anderthalb Flügeln!“

Er wippte dabei nach seiner Gewohnheit leicht in den Knieen. Dann erst ergriff er Melitta’s Hand. An den Fenstern lächelten die wehmüthigen Blaßgesichter der Kranken, und in der Thür standen einige vom Hauspersonal, um ihn scheiden zu sehen. Sie hätten ihn am liebsten dabehalten mit seinem köstlichen Humor, der das ganze Haus zu erhellen schien.

Sein Humor – Gottlob, den hatte die Kugel nicht getroffen! Melitta war überglücklich, daß Alles so gut abgelaufen. Sie hatte sich ihn blasser und elender vorgestellt – nur der wilde Krankenbart, der sein Kinn umwucherte, stand ihm durchaus nicht. Gottlob, nun ist Alles gut – nun ist der Schatten von ihnen genommen! Die Aerzte haben ihm zugeschworen, daß der halbe Flügel wieder seine volle Flugfähigkeit erlangen wird, und der Direktor der Centralboxerei hat ihm erklärt, daß sie ihn einfach dort in der Anstalt nicht entbehren können. Das lange Krankenlager, der große Badeurlaub, den er vorhatte, nichts sollte ihm nachgerechnet werden – er ist als Lehrer unersetzlich!

„Der große Badeurlaub“ – er sprach mit ernster Miene davon. Er wußte noch nicht, wo er ihn verbringen würde, darüber seien die Aerzte noch nicht einig. Er meinte die Festungshaft damit, die ihm des Duells wegen bevorstände, und die Aerzte, die noch nicht einig sein sollten, waren der Auditeur und die Herren vom Gericht. Es machte ihm Spaß, den Damen fortan von diesem Urlaub vorzuflunkern.

„Famose Kurorte, die Citadellen von Magdeburg, Wesel, Spandau, was, Mühüller?“ lachte er dabei heimlich in sich hinein.




20.0 Sein Capua.

Keine Erbtante konnte mehr gehütet und gehätschelt werden, als der Oberboxer Mühüller während der Zeit, die er bei Gamlingens verbrachte.

Zuerst kam sich der „Hechtspringer“ und „Kraftbeißer“, wie er sich selber nannte, komisch in seiner Rolle als Nesthäkchen vor. Wenn er des Morgens aus dem verlängerten Schlaf erwachte und er den feinen singenden Ton vernahm, den eine zufällige Bewegung seiner Hand über die seidene Steppdecke verursachte, und seine schlaftrunkenen Augen in dem grünlichen Dämmerlicht umherspürten, das als Wiederschein der hohen Bäume vor dem Fenster den Raum erfüllte, so mußte er im Stillen lächeln.

Dann pflegte sich Trutz einzustellen und, bevor er in den Dienst ging, sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Mühüller nannte ihn nur Trutz, und Jenem war der kurze Name, der sich in der Einsilbigkeit nicht von seinem bürgerlichen Originalnamen unterschied, ganz willkommen. Darauf erschien Baptist mit einem Gruß von der gnädigen Frau – und wieder die Frage nach seinem kostbaren Befinden. Und die kleinen ausgesuchten Diners, mit denen die junge Wirthschaft so glänzend kokettirte, die Ausfahrten auf rollendem Gummi in den Thiergarten und Grunewald, die Theaterlogen, die hübschen Privatkoncerte, die ihm die junge Freiin mit seinen Lieblingspotpourris aus „Fatinitza“ und „Fledermaus“ zum Besten gab, die Plauderstündchen im Garten, wo er unter den Damen saß und seine lustigsten Launen schillern und glitzern lassen durfte, ja selbst die „Bildung“, in die er sich kopfüber hineinstürzte – wahrhaftig, er las sogar Verse und staunte selbst darüber. Freilich, Wolff’sche Verse, in denen herzhaft der Humpen geschwungen wurde und schallende Küsse ertönten.

Er erinnerte sich aus seiner Schulzeit der schrecklichen Schilderung, die der Professor von dem Untergang der hannibalischen Heldenkraft in der verweichlichenden Ueppigkeit der capuanischen Winterquartiere gemacht. Sein Capua – das hier ist sein Capua! Es war das Wort, das ihm auf diese Verstrickungen der Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft zu passen schien.

Sie lachten, wenn er vor einem neuen Liebeswerk das Stichwort springen ließ. Ahnten sie doch nicht die Gefahr, mit der sein Herz in einem anderen Capua zu versinken drohte! Und dies Capua hieß die Liebe.

Ein Mühüller’sches Herz! Man stellt sich darunter ein muskelstarkes, elastisches, sehr widerstandsfähiges Organ vor, das nicht leicht zu bewältigen ist. Und dennoch! Das lange Krankenlager war daran schuld gewesen, die Einsamkeit der öden Lazarethstube, die Schwäche des Zustandes, die es nicht gestattet, gewisse,

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