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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Immer wieder der Haß gegen den Namen, der ihn nicht loslassen wollte.

„Ich will nicht mehr!“ schrie er wie von Sinnen. „Fort damit auf den Kehricht! Auf den Kehricht damit!“

In gebückter Stellung blieb sie eine Minute wie erstarrt, ihn, den Sinnlosen anstierend. Dann erhob sie sich langsam, ihre ganze Gestalt zitterte vor seiner Stimme und vor dem Haß, der aus seinen Augen lohte. Ihre Lippen bewegten sich zu einem Stammeln – jetzt sah er sie wanken – jetzt taumelte sie und ihre Hände griffen nach einem Halt …

Er fing sie noch in seinen Armen auf.




27.0 Zu Grunde gerichtet.

Nicht gleich sollte es geschehen. Zuerst wollte Gamlingen trotz Allem die übernommene Aufgabe beendigen und die Reise, zu der er ausersehen, durchführen. Ein Schuft, wer eines persönlichen Gelüstes wegen den Posten verläßt!

Sie athmeten Alle auf als er fort war. Wie eine schwüle Krankheit hatte es ihn befallen. Die weite Welt, die Zerstreuung, das hastende Kreuz und Quer auf der Eisenbahn, die Vorsicht, die Umsicht, mit der er zu Werke gehen muß, Alles wird ihn ablenken, vielleicht vermag es ihn von der unheimlichen Krankheit zu heilen.

Unterdessen begann Olga einen Feldzugsplan mit Frau Belzig zu entwerfen. Dicks mußte fort, schleunigst wieder hin, wo er hergekommen war! Herr Belzig zwar zeigte sich gänzlich abgeneigt, dem „Namensgötzen“ auch nur noch einen Pfennig zu opfern; allein besaßen die Damen nicht ihre Pretiosen, um mit deren Erlös die Rückkehr des Amerikaners zu erkaufen?

Mit Herzklopfen machte sich Olga auf den Weg und fand den lieben Neffen in äußerst guter Laune. Sie begann, oftmals stockend, ihre wohlvorbereitete Rede, als er lachend dareinplatzte:

„Famos! Verdammter Scherz! Ihr wollt mich fort haben, he, Tante?“

„Du passest nicht hierher,“ fuhr Olga ungeduldig fort, und sie ging nun gerade aufs Ziel. „Du mußt zurück. Du bist Dir und uns im Wege. Was soll hier aus Dir werden? Du thust Dir und uns den größten Dienst. Wir wollen es Dir lohnen. Wir wollen Dir natürlich mit Allem behilflich sein, daß Du ein braver, tüchtiger Mensch wirst. Es soll Dir an Nichts fehlen; Du sollst Dich sogar gut dabei stehen. Du wirst schon Deine Karrière machen da drüben. (Das kam etwas schwach heraus.) Wenn Du Dich entschließen könntest …“

Er behielt mit schelmischem Zwinkern ihre hübschen, rothen, glänzenden Lippen aufmerksam im Auge, er schien nur das Spiel dieser Lippen zu beachten, nichts von ihren Worten zu vernehmen. Die Lippen gefielen ihm „ganz verteixelt“, sie reizten ihn so …

Dennoch zog eine Minute lang ein Schatten über sein heiteres Gesicht.

„Nichts da!“ murmelte er. „Keinen Heller von Niemand mehr! Daß ich Euch zu Willen bin und mir mit der Peitsche drohen lassen muß. Dicks wird sich schon selber durchbringen. Er geht schon. Aber nicht nach Amerika – werdet schon von ihm hören!“

Eine Drohung zitterte durch die letzten Worte, aber er stutzte. O, man soll sie doch mit solch dunklen Redensarten nicht so erschrecken! Sie ist zu lieb und zart für dergleichen. Gleich suchte er seiner Miene wieder die neckische Heiterkeit zu geben.

Er trat einen Schritt zurück, maß ihre Gestalt und sagte mit verschmitztem Schmunzeln. „Was wiegst Du eigentlich, Tantchen?“

Sie sah ihn groß verwundert an; sie wußte nicht, was er wollte.

„Na, was kannst Du denn wiegen? Na, siehst Du, mit Geld und Gold schafft Ihr mich nicht fort! Geld imponirt mir nicht. Ich habe doch wohl Alles in Allem und nach und nach so viel besessen an ausgewaschenem Goldstaub, als Du schwer sein kannst. By Jingo, vielleicht nicht ganz so viel, es wird aber nicht viel fehlen. Oder machen wir’s in Goldklumpen. Na, gieb einmal Dein Patschelchen da her …“

Sie erschrak. Ehe sie es verhindern konnte, hatte er ihre beiden Hände an den Handgelenken umspannt.

„Na, die beiden Fäustchen zusammengenommen – nein, sie thun es noch lange nicht!“

Und sein heller Blick sprang von den Fäustchen nach dem Gesicht hinauf.

„Aber das ganze Köppelchen – ein Goldklumpen so groß wie das Köppelchen da, Blitz nochmal, ich glaub’, das thut’s.“

Er zögerte noch, aber es prickelte ihm so in den Händen.

„Na, aber weißt Du … hör’ mal“ – und man sah es seiner Miene an, daß er etwas besonders Pfiffiges anzugeben meinte: „Weißt Du, wenn es von Gold wäre, so würde man – so würde man es nicht – kü – kü – küssen!“

Flink, ehe sie es verhindern konnte, nahm er das Köpfchen zwischen die Hände und drückte einen herzhaften Kuß auf die rothen Lippen, denen ein leiser Schrei entfuhr.

„Wetter nochmal!“ sagte er, etwas verlegen über die Kühnheit, mit einer Bewegung, als wollte er sich den Mund wischen. „Na, Du bist mir doch nicht bös, he? Na, Du bist doch meine Tante – und meine echte!“ fügte er anzüglich hinzu.

Von da ab ward Dicks nicht mehr von ihnen gesehen. Am andern Tag hatte er seine Wohnung verlassen und sein umherschweifendes Abenteurerleben wieder begonnen. Weg mit all den Nörgeleien und der plackenden Tyrannei der Bildung! „Ich heiße doch Freiherr! Dog-down! So will ich auch ein Freiherr sein.“

Was konnte er auch Alles mit seinem Namen anrichten!

Unterdeß verbrachte Hauptmann von Gamlingen seine Tage auf Eisenbahnen und Bahnhöfen, ein abtödtendes, aufreibendes Einerlei, treppab, treppauf von einem Waggon in den anderen nach allen Seiten aufmerkend, revidirend, kontrollirend, die Arbeit ins Uebertriebene verschärft durch seine tiftelnde Genauigkeit, die sich immer nicht genug zumuthen konnte – oder gedachte er sich absichtlich durch solche Uebertreibung zu betäuben?

Von Berlin erhielt er nur wenig Nachricht. Sein Reiseplan war fortwährenden Aenderungen unterworfen, erst in Köln, dem Schlußziel seiner Reise, hatte sich ein ganzer Stoß von Briefen angesammelt, darunter einige von Melitta, einer von Mühüller, einer von seinem Bruder Adolf. Er öffnete die seines Weibes nach dem Datum ihrer Absendung. Der erste davon brachte ein Räthsel; er war kurz und aufgeregt, die sonst so zierliche Schrift durch die Hast entstellt. Die wenigen Sätze zielten auf ein Etwas hin, was sie Alle so erschreckt hatte. Sie wäre ganz krank geworden vor Schreck und Aufregung, schrieb sie. Welch ein Schicksal! Ach, daß Walther nicht da war! Daß er nicht aufzufinden! Nun würde er wohl bald kommen … Das Flehen der Sehnsucht und Leidenschaft, das sich endlich, endlich Bahn machen mußte!

Was denn? Ungeduldig stöberte er durch die Zeilen nach einem Wort der Aufklärung.

Ist das Ungeheuerliche geschehen? Hat Jener den Namen vor Gericht gezerrt? – Und es schoß ihm zum Ersticken heiß zum Herzen.

An einer Stelle des Briefes wurde auf Mühüller’s und Adolf’s Briefe Bezug genommen. Er hatte das zuerst übersehen. Er öffnete also Mühüller’s Schreiben. Gleich nachdem er die ersten Zeilen gelesen, begannen seine Hände zu zittern. Der Brief glitt auf den Tisch; seine krampfhaft geballte Hand sank schwer darauf; die andere schlug hörbar gegen das Gesicht und hielt dann die Augen verdeckt.

Dicks – todt!

Es hämmerte ihm so gewaltig hier in der Brust; als er die Hand von den Augen sinken ließ, wogte es davor wie von Flammen. Was ist denn, was geschieht mir denn?

Dicks todt! Vor vierzehn Tagen, nach dem Datum des Briefes, fanden ihn nächtliche Passanten im Morgengrauen gegen einen Geländerpfosten des Schiffbauerdammes hingestürzt, anscheinend betrunken, aber es wurde bald der Tod konstatirt. Die Sektion ergab später einen Herzschlag, hervorgerufen durch übermäßigen Genuß von Alkohol. Uebrigens wäre er über kurz oder lang von solch einem Schlage ereilt worden, wie die Aerzte aus der krankhaften Beschaffenheit des Herzens konstatirten. Hatte nicht auch sein Großvater schon an Aehnlichem gelitten? Also wohl ein Erbfehler. Sein Anzug war herabgekommen und zeugte von einem längeren Vagabondenleben. „Leider, mein lieber Trutz, kann ich Ihnen das nicht verhehlen,“ schrieb Mühüller, „er trug

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_420.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)