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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

bin in Deinem Hause … aber … sieh mich genau an …“ Sie stand vor ihm, kerzengerade, die Augen in Feuer, die kleinen weißen Zähne zusammengepreßt, ein Bild der Entrüstung … „Sieh mich genau an! … So hast Du Deine Schwester zum letzten Male gesehen!“

Die Heftigkeit des jungen Mädchens wirkte beruhigend auf den reiferen Mann. „Ich bitte Dich, Edith, sei vernünftig, höre mich an!“

„Ich will kein Wort mehr von Dir hören!“

Sie irrte unstät im Zimmer umher. Sie hatte sich einen Hut aufgesetzt und näherte sich der Thür. Er stellte sich entschlossen davor.

„Wo willst Du hin?“ fragte er kalt.

Sie antwortete nicht und versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen. Als sie sah, daß ihr dies nicht gelingen werde, trat sie einen Schritt zurück und sagte mit bebender Stimme:

„Höre, was ich Dir sage: wenn Du mir den Weg nicht sofort frei giebst … sofort! … so wahr mir Gott helfe! … ich stürze mich aus dem Fenster!“

Sie hätte gethan, wie sie drohte; er fühlte es und trat bei Seite. Sie sprang an ihm vorüber, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und gleich darauf hörte er ihren eilenden, leichten Schritt auf der Treppe.

(Fortsetzung folgt.)




Ueber chronische Katarrhe der Athmungswege.

Von Dr. M. A. Fritsche, Specialarzt in Berlin.
Der chronische Rachenkatarrh und sein Einfluß auf die Stimme.

Aber mein Kehlkopf ist doch ganz gesund, ich bin ja nicht heiser, Herr Doktor,“ äußerte kürzlich eine Dame in meiner Sprechstunde, als ich ihr erklärte, ihr Kehlkopf müsse behandelt werden.

„Ja, sehen Sie, meine Gnädige,“ erwiederte ich, „Sie vertreten da eine ziemlich verbreitete, aber irrige Anschauung, daß nämlich Heiserkeit und Kehlkopfleiden völlig gleiche Begriffe seien. Dem ist aber nicht so; man kann wohl sagen, bei Heiserkeit ist ein Kehlkopfleiden zugegen, aber nicht das Umgekehrte. Es würde mich übrigens zu weit führen, wollte ich Ihnen jetzt die Sache näher aus einander setzen; bitte, lesen Sie einmal in den nächsten Wochen aufmerksam die ‚Gartenlaube‘; Sie werden darin etwas über dies interessante Thema vorfinden.“

Und so will ich denn die Erfüllung meines Versprechens nicht länger hinausschieben.

Wenn ein Rachenkatarrh nicht zur Ausheilung gelangt, sondern in den chronischen Zustand übergeht, eben so, wenn vielfache Rückfälle eines akuten Rachenkatarrhs stattfinden, so bilden sich an der hinteren Rachenwand kleine, rothe Knötchen von rundlicher oder ovaler Form, sogenannte Granulationen, meist von Hanfkorn- bis Linsengröße, die aber unter Umständen bis kirschkerngroß und darüber werden können. Wenn sie zahlreich auftreten, vereinigen sie sich, fließen zusammen und bilden dann unregelmäßige Wülste und Kämme, die der Rachenschleimhaut ein sehr buntes Aussehen verleihen. Der Rachenkatarrh wird in diesem Stadium als granulöser oder granulärer bezeichnet. Diese Knötchen entstehen durch Zellenwucherungen um die meist mikroskopisch kleinen Drüschen der Rachenschleimhaut und deren Ausführungsgänge, die auf solche Weise erst dem bloßen Auge sichtbar werden. Sie erweisen sich insofern als ganz besonders störend und nachtheilig, als sie einen fortwährenden Druck und Reiz auf die zahlreichen Nervenverzweigungen des Rachens ausüben und dieser stäte Reiz auf sogenanntem reflektorischen[1] Wege einen höchst schädlichen, hemmenden Einfluß auf die Kehlkopfnerven und damit auf die Stimme hervorbringt. Als Ausdruck dieses stäten Nervenreizes zeigen sich die verschiedensten abnormen Gefühle: wie Brennen, Stechen, Drücken, Prickeln, Kratzen, Wundsein im Halse, mitunter auch das Gefühl, als ob ein fremder Körper (Kloß) im Halse steckte. In vielen Fällen, wo Patienten sich wegen einer angeblich verschluckten Gräte oder eines Knochenstückchens, das ihnen noch im Halse stecke, untersuchen lassen, finden sich jene granulösen Wucherungen, welche die abnorme Empfindung, das Granulationsgefühl, wie wir es bezeichnen, hervorrufen.

Wir wollen hier den Verlauf eines granulösen Rachenkatarrhs in seinen Einwirkungen auf die Gesang- resp. Sprechstimme einmal einer nähern Betrachtung unterwerfen. Man kann wohl sagen, daß eine jegliche Stimme unter dem Einfluß des granulösen Rachenkatarrhs leidet; Personen, die ihre Stimme nur für die Anforderungen des Alltagslebens gebrauchen, werden weniger davon gewahr, weil sie nicht genau darauf achten und sich über ihre Heiserkeit oder das Versagen ihrer Stimme nicht sonderlich den Kopf zerbrechen. Erst wenn es mit dem Sprechen gar nicht mehr gehen will und der Kehlkopf selbst schon angegriffen ist, stellen sie sich zur Behandlung ein. Anders verhält es sich mit den Stimmen der Sänger und Sängerinnen. Anfänglich markirt sich die nervöse Erkrankung des Kehlkopfs, denn als solche ist die Stimmstörung aufzufassen, wenig. Die Stimme spricht weniger leicht an, ermüdet leichter als früher, oder sie umflort und belegt sich bei anhaltendem Singen, und es erfordert größere Anstrengung von Seiten des Sängers, um denselben Stärkegrad hervorzubringen. Zuerst leiden die Obertöne beim Sopran und Tenor in besonders fühlbarer Weise; sie sprechen anfangs schwieriger an, werden allmählich immer dünner und unkräftiger, trotz vermehrter Anstrengung, so daß sie nicht mehr gehalten werden können, und gehen schließlich ganz verloren. Weiterhin zeigt sich der Uebergang von der Brust- zur Kopfstimme oder zum Falsett erschwert; er wird holperig und rauh und gelingt nur mit immer größerer Anstrengung; ja es kann in veralteten Fällen sich an dieser Stelle ein förmliches Loch in der Tonfolge bilden: die Töne versagen und können weder mit Brust- noch mit Kopfstimme mehr genommen werden. Auch nach der Tiefe hin büßt die Stimme ein; in schweren Fällen bleiben nur einzelne Töne übrig, die so schwach und matt klingen, daß sie musikalisch nicht mehr verwerthbar sind. Dies ist in den Grundzügen das allgemeine Bild, von dem sich in einzelnen Fällen Abweichungen ergeben. Mitunter kündigt sich die Erkrankung anfänglich durch zusammenschnürende Empfindungen im Halse nach kurzem Singen an. In andern Fällen zeigt sich Neigung zu leichtem Tremuliren, besonders das sogenannte nervöse Tremolo bei getragenen Tönen; noch andere Sänger detoniren bei solchen Stellen leicht, ohne es selbst zu merken. Mitunter spricht die Stimme mezzoforte ganz leicht an, im piano aber wird sie hauchend und versagt, während beim forte-singen starker Hustenreiz und Kitzel im Kehlkopf auftreten. All dies sind nervöse Erscheinungen, unter denen sich die Kehlkopferkrankung offenbaren kann. Bei der Untersuchung mit dem Kehlkopfspiegel ist allerdings wenig davon zu entdecken. Das Aussehen der Kehlkopfschleimhaut und besonders der Stimmbänder zeigt meist keinerlei Abweichung von der Norm, und nur das geübte Auge vermag aus den etwas trägen, matten Bewegungen der Stimmbänder beim Schluß der Stimmritze behufs Tonbildung auf die nervöse Schwäche derselben zu schließen.

Fragen wir nun nach der Entstehung des granulösen Rachenkatarrhs, so müssen wir in erster Linie sich häufig wiederholende Erkältungen beschuldigen; ferner üben sehr heiße und sehr kalte Speisen und Getränke, namentlich in rascher Aufeinanderfolge, endlich chemische und mechanische Reize, welche die Rachenschleimhaut treffen, einen begünstigenden Einfluß. Dahin gehören: starkes Rauchen, staubige Luft, starke Spirituosen, scharf gewürzte oder sehr saure Speisen u. dergl. m. Auch die Möglichkeit einer Vererbung kann in gewissem Sinne nicht von der Hand gewiesen werden. Ungesunde Säftemischung wie skrophulöse Anlage bieten einen günstigen Boden für die Entstehung des Leidens.

Meist erst nach jahrelanger Dauer des granulösen Rachenkatarrhs geht die Erkrankung allmählich auf die Kehlkopfschleimhaut über.

Zuerst wird die Schleimhaut der hinteren Kehlkopfwand angegriffen; nach und nach werden auch die Stimmbänder in Mitleidenschaft gezogen. Jede noch so leichte Erkältung wirft sich dann auf den Kehlkopf, indem sie immer und immer wieder Belegtheit der

  1. Unter Nervenreflex versteht man die gewissermaßen telegraphische Uebertragung des Reizzustandes eines Nervengebietes auf ein mehr oder weniger entlegenes Nervengebiet, so sind z. B. das Augenthränen bei Reizung der Geruchsnerven, der Niesreiz bei starker Blendung, der Hustenreiz beim Bohren im äußeren Gehörgang durch Nervenreflexe bedingt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_442.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)