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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

von Shanghai her kannten, hatten die Nase gerümpft: er habe im Verdacht eines Diebstahls gestanden, er sei ein Säufer und mache seine Frau unglücklich; in Shanghai erscheine er seit Jahr und Tag nicht mehr im Klub, weil er fürchten müsse, man könne seinen Austritt beantragen, und wenn er für den Shanghaiklub zu schlecht wäre, so sei er für den von Yokohama auch nicht gut genug. Die Gesellschaft in Japan könne schließlich ebenso anspruchsvoll sein wie die in China.

Doktor Jenkins war ein angesehenes Mitglied der fremden Gesellschaft in Yokohama, aber er gehörte nicht zu den Leitern der öffentlichen Meinung. Seine Thätigkeit brachte es mit sich, daß er gern gut mit aller Welt stand. Er wollte sich nicht des Fremden aus Shanghai wegen mit alten Bekannten in Yokohama streiten, möglicherweise überwerfen. Er ließ den Sturm auf Büchner über sich hinweg gehen und begnügte sich damit, diesem in schonender Weise mitzutheilen, er, Büchner, würde wohl daran thun, sich nicht in den Klub einführen zu lassen.

Jenkins war durchaus kein hartherziger Mensch, aber er dachte zuerst an „Nummer Eins“, an sich selbst. Das thun die meisten anderen Menschen ebenfalls – und man darf den Doktor nicht wegen seines Kleinmuths schelten. Er selbst empfand jedoch darüber eine gewisse Beschämung; es kam ihm vor, als ob er Büchner gegenüber etwas wieder gut zu machen habe, und dies äußerte sich dadurch, daß er persönlich den ihm anempfohlenen Gast aus Shanghai mit großer Herzlichkeit empfing. Er zweifelte nicht, daß der Verdacht der Unterschlagung, der sich auf Büchner gelenkt hatte, ein ungerechter sei; was des Genannten Leidenschaft für den Trunk anging, so wußte Jenkins als Arzt, daß der lange Holländer dieselbe mit seltener Energie zu beherrschen bemüht war.

Der Doktor hatte anfänglich gewissermaßen ein Opfer gebracht, indem er sich Büchner gegenüber freundlich gezeigt. Bald änderte sich dies jedoch, und er faßte eine eigenthümliche Zuneigung zu dem fremden Mann. Es giebt Menschen, die gar nichts zu thun brauchen, um zu gefallen. Gewöhnlich sind es weiche, gutmüthige, stille Naturen und sie müssen, um möglichst vollkommen in ihrer Art zu sein, ein gutes Aeußeres, klare, ehrliche Augen, gesunde Zähne und eine angenehme Stimme besitzen. Alles dies war Büchner eigen. Sein herzgewinnendes Wesen war in letzter Zeit nur noch Edith und Prati gegenüber zu Tage getreten. Aber auch den freundlichen Doktor Jenkins gewann er sich schnell, nur weil er diesem für die Aufnahme, die er bei ihm fand, dankbar war und deßhalb ihm gegenüber das finstere Wesen ablegte, das ihm seit seinem Unglück fremden Menschen gegenüber eigen war und ihn unliebenswürdig erscheinen ließ.

Büchner hatte die vorsichtigen Aeußerungen, die Jenkins in Bezug auf den Besuch des Klubs gemacht hatte, bei den ersten Worten verstanden. Er hatte darauf nichts erwiedert, aber sein Leben danach eingerichtet, indem er nicht nur den Klub, sondern überhaupt jeden Fremden in Yokohama vermied. Er hatte sich ein Pferd gekauft und ein Boot gemiethet und trieb sich einen guten Theil des Tages auf dem Meere und in der Umgegend von Yokohama umher. Da er Niemand grüßte und mit Niemand sprach, so wurde er auch von keiner Seele behelligt, denn die jungen Leute von Yokohama, und unter diesen auch seine Gegner, waren keine boshaften Klatschschwestern. Nachdem sie den Verdächtigten von sich fern gehalten hatten, ließen sie ihn unbehelligt seiner Wege ziehen. Im Uebrigen verkehrte Büchner viel mit Japanern und Chinesen, von denen er sich über Alles belehren ließ, was auf den Handel von Yokohama Bezug hatte. Am Abend saß er gewöhnlich bei Jenkins auf der Veranda und hörte den langen Geschichten zu, die der Doktor zu erzählen liebte und für die er nur selten so aufmerksame Zuhörer fand, wie Büchner einer war.

Der Doktor bemerkte nach einiger Zeit, daß Büchner mit einer an Geiz grenzenden Sparsamkeit lebte. Während die jungen Leute in Yokohama damals mit dem Gelde um sich warfen, hoch wetteten und spielten, zahlreiche Diener besoldeten und das Beste an theueren Speisen und Getränken gerade für gut genug für ihren Tisch hielten, lebte der lange Holländer wie ein Eingeborener mit Reis, Fisch und Thee und gestattete sich, außer für ein Pferd und ein Boot, nicht die geringste überflüssige Ausgabe. Nun aber paßte Geiz gar nicht zu seinem Charakter, wie Jenkins ihn zu kennen glaubte, so daß dieser ihn eines Tages geradezu fragte, weßhalb er sich so sehr einschränke; ob er etwa Geldsorgen habe. In diesem Falle möge er über seine Börse verfügen.

Büchner dankte ohne übertriebene Wärme für das Anerbieten und antwortetete: nein, er habe keine Geldsorgen, er empfinge sogar von seinem Partner in Shanghai Nachrichten, aus denen hervorginge, daß sie dort sehr gute Geschäfte machten. Aber in Yokohama könne er nicht recht vorwärts kommen. Die kleinen Unternehmungen, in die er sich eingelassen habe, seien zwar nicht mißglückt, aber hätten auch nicht viel abgeworfen. An das Geld, das in Shanghai verdient werde, wolle er jedoch nicht rühren. Er habe noch einige Schulden, die ihn zwar nicht drückten, aber die er doch möglichst bald abzutragen wünsche, und sodann müsse er auch daran denken, seiner Frau, falls er sterben sollte, etwas zu hinterlassen.

„Wie können Sie, ein junger, kräftiger Mann, an Sterben denken?“ fragte Jenkins.

„Ich denke nicht viel daran und ich fürchte mich nicht davor. Aber es wird eine Beruhigung für mich sein, wenn ich mir sagen kann, daß meine Frau auch nach meinem Tode genug zu leben haben wird.“

„Ich habe gehört, Ihre Frau sei wohlhabend.“

„Das ist sie in der That. Aber ich habe mir nun einmal in den Kopf gesetzt, ihr durch das, was ich selbst verdiene, eine ruhige Existenz zu sichern. Ich lege mir keine Entbehrungen auf: ich habe jetzt nur noch wenig Bedürfnisse, und es macht mir Vergnügen, nachzurechnen, wie klein meine heutigen Ausgaben im Vergleich zu den früheren sind.“

Alles das war schön und gut, aber Jenkins war damit nicht zufrieden. Der Gemüthszustand seines Patienten hatte sich seit Monaten nicht verbessert. Büchner war, ohne je zu klagen, wortkarg, nachdenklich und traurig.

„Sehnen Sie sich vielleicht nach Shanghai zurück?“ fragte ihn Jenkins eines Abends.

„Ja, ich möchte meine Frau und meinen Freund Prati bald wiedersehen,“ antwortete Büchner. „Ich lebe nun schon lange von ihnen getrennt. Aber Geschäft geht vor Vergnügen! Ich muß hier ausharren, bis Prati mich zurückruft. Ich fürchte, meine Reise hat nicht viel genützt. Doch habe ich mir große Mühe gegeben, Alles in Erfahrung zu bringen, worüber Prati unterrichtet sein wollte.“

„Sie ernten vielleicht später die Früchte Ihrer Thätigkeit,“ tröstete der Doktor.

Aber mit der nächsten Post schrieb er an seinen Kollegen in Shanghai, er solle veranlassen, daß Büchner dorthin zurückberufen werde, er verzehre sich in Sehnsucht nach seiner Frau und eine weitere Ausdehnung der Trennung von ihr könne ihm nur schaden. Von der Trunksucht erscheine er vollkommen geheilt. Darauf traf mit umgehender Post ein Brief von Prati an Büchner ein, der glänzende Berichte über ein von Prati unternommenes großes Seidengeschäft enthielt.

„Ich hoffe, Sie werden am Ende des Jahres alle Ihre Schulden abbezahlt und noch etwa achttausend Dollars übrig haben. In der Beurtheilung des japanischen Marktes bin ich aber, so scheint es mir jetzt, auf falscher Fährte gewesen. Sicherlich ist augenblicklich hier mehr zu verdienen als dort. Also wickeln Sie die kleinen Geschäfte, die noch laufen mögen, baldmöglichst ab und kommen Sie herüber: je eher je lieber.“ So schloß Prati’s Schreiben.

Auch von Edith war gleichzeitig ein liebevoller Brief eingetroffen, in dem sie ihre Freude ausdrückte, ihren alten Georg nun bald wiederzusehen.

Büchner’s kleiner Hausstand war in wenigen Tagen aufgelöst, nachdem aber die Miethe bezahlt und die Diener abgelohnt worden waren, blieben dem langen Holländer nur noch wenige Dollars übrig. Er hatte darauf gerechnet, für sein Pferd denselben Preis wieder zu bekommen, den er dafür gegeben. Es fanden sich jedoch keine Käufer, und er überließ das Thier als Geschenk dem Doktor, zum Andenken an die Stunden, die sie zusammen verlebt hatten. Jenkins hätte dem Scheidenden sicherlich und gern die kleine Summe geborgt, die zur Reise nach Shanghai mit dem Dampfschiff „Costarica“ nöthig war. Er konnte aber nicht ahnen, daß Büchner sich in Geldverlegenheit befand, und dieser, sei es, daß es ihm unangenehm war, Jenkins um Geld zu bitten, sei es,

daß ihm die billige Ueberfahrt auf dem Segelschiff besser zusagte, als die theuere auf dem Dampfer, sei es endlich, daß er die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_506.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)