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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


„Es handelt sich um die Patronage eines Wohlthätigkeits-Unternehmens, wo die Frau Gräfin ja noch nie gefehlt hat.“

„Ich bedaure, Ihnen keine Auskunft geben zu können,“ erwiederte Graf Erich, „die Sache läßt sich ja wohl bis morgen verschieben?“

Breda befand sich in einiger Verlegenheit. Er war gekommen, der Gräfin ohne Zeugen einen Brief ihres Sohnes Eugen zuzustellen, um dessen rasche Beförderung ohne Vorwissen seines Vaters der junge Mann ihn dringend ersucht hatte. Der Brief war in der That äußerst pressant. Eugen schrieb dem Baron, daß er Schulden halber seine Entlassung aus der Armee habe nehmen müssen und so schnell als möglich Berlin und Europa verlassen wolle. Man möge ihm unverzüglich die nöthigen Mittel an eine bestimmte Adresse schicken. Wie sollte Breda diesen Brief nun an die Gräfin gelangen lassen, ohne daß der Graf es merkte? Der Dienerschaft ihn anzuvertrauen, wäre gefährlich gewesen, da der Graf ihn durch einen Zufall dann doch in die Hände bekommen könnte. Breda blieb eine Weile unschlüssig stehen, aber da der Graf ihn jetzt vollständig zu ignoriren schien und nur beständig zum Fenster hinausschaute, so blieb ihm schließlich nichts Anderes übrig, als sich zu empfehlen.

Graf Erich athmete auf, als Breda das Zimmer verlassen hatte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß es nur noch wenige Minuten bis sechs war. Seine Aufregung wuchs jetzt von Sekunde zu Sekunde. Endlich hörte er einen Wagen in den Hof fahren. Er eilte ans Fenster. Ja, es war ihr Wagen. Jetzt stieg sie aus.

Der Graf bemühte sich vergeblich, ihr Gesicht zu sehen, um aus dem Ausdruck desselben auf das Resultat ihres Schrittes schließen zu können. Sie wendete es nicht nach seiner Seite. Die kurze Zeit, bis sie oben sein würde, kam ihm unerträglich vor – da – da – der Graf murmelte einen Fluch zwischen den Lippen – da trat ihr eben Breda in den Weg, redete sie an und begleitete sie zurück ins Haus. Der lästige Schwätzer! Wie lange mochte er sie mit seinen Nichtigkeiten hinhalten, während er hier wartete wie der Verdammte auf Gnade!

Wenn das noch lange währte, mußten seine aufs Aeußerste gespannten Nerven reißen!

Endlich – endlich hörte er ihre Schritte. Die Thür öffnete sich und mit Entsetzen sah der Graf in das todesblasse, verstörte Gesicht seiner Frau, welche zu schwanken schien, indem sie auf ihn zutrat.

„Gott, Claire!“ rief der Graf aus. „Was ist geschehen? Es war vergeblich? Er hat Dir das Papier verweigert?“

Die Gräfin versuchte ein Lächeln. Aber ihre Züge, ihr ganzer Körper gehorchten ihrem Willen nicht mehr. Mit äußerster Anstrengung hielt sie sich noch auf den Füßen.

„Nein, nein,“ stammelte sie, „hier – hier ist das Papier!“

„Aber um Gotteswillen, was ist Dir denn? Sprich doch, ich beschwöre Dich!“

„Ich kann nicht, Erich – sei ruhig – laß mich – ich bitte Dich, nur jetzt – nur einen Augenblick allein!“

Mit Mühe schleppte sie sich in das Nebenzimmer, während der Graf vor Schreck gelähmt, an die Stelle gebannt, ihr nachstarrte.

„Was war das?“ murmelte er. „Den Wechsel halt’ ich hier – und doch – kann es denn noch ein neues Unglück geben?“

„Ich muß es wissen!“ rief er endlich, sich ermannend, aus und eilte auf die Thür des Nebenzimmers zu.

Sie war verschlossen.

Er klopfte, erhielt aber keine Antwort.

„Claire! Claire!“ rief er verzweiflungsvoll, indem er aufs Neue und immer stärker pochte.

Plötzlich taumelte er zurück. Er hatte im Nebenzimmer einen leisen Schrei gehört, welchem ein schwerer Fall und ein Klirren wie von zerbrochenem Glase folgte.

„Jesus Maria!“ stammelte er und blieb eine Weile schwer athmend stehen, während er wie vom Fieber geschüttelt an allen Gliedern zitterte. Dann rannte er wieder an die Thür, rüttelte mit wüthender Kraft an den Flügeln, bis sie endlich nachgaben und aus einander fuhren.

Der Anblick, welcher sich ihm bot, als er in das Gemach stürzte, erfüllte ihn mit wahnsinnigem Schrecken. Die Gräfin lag der Länge nach am Boden ausgestreckt, neben ihr ein umgestürzter Tisch, der Revolver und ein zerschelltes Glas, in welchem noch ein Löffel steckte. Sie mußte im Fallen durch Glassplitter verletzt worden sein, denn von der Stirne floß ihr das Blut über die Wangen.

Außer sich gebracht durch diesen Anblick, stürzte der Graf auf seine Frau zu. Er ergriff ihre kalte regungslose Hand.

„Claire! Claire! – Todt!“ drang es in unartikulirten Lauten aus seiner Kehle. Dann sank er besinnungslos neben ihr nieder.




10.

Einige Minuten, nachdem Graf Erich in das Nebenzimmer eingedrungen war, hatte sich die Thür des von ihm verlassenen Zimmers geöffnet, und auf der Schwelle desselben war Konsul Felsing in Begleitung seines Sohnes Emil erschienen. Dieser, von einer warmen Sympathie für den Grafen getrieben, hatte, nachdem die Gräfin seinen Vater verlassen, nicht geruht, bis er den Letzteren dazu gebracht hatte, unmittelbar darauf mit ihm zum Grafen zu gehen, um diesen zu versöhnen und ihm Hilfe in seiner schwierigen Lage zuzusagen.

Es war aber ein schwerer Kampf gewesen, welchen Emil Felsing da zu bestehen gehabt. Er hatte seinen sonst so gütigen Vater, der nicht leicht einem von ihm geäußerten Wunsche widerstand, hart und unbeugsam gefunden, die finsteren Brauen zusammengezogen und jede seiner Bitten mit feindlichem Hohne gegen den Grafen beantwortend. Es war zu heftigen Reden und Gegenreden gekommen, bis endlich Emil in starker Erregung ausrief:

„Dies trennt uns, Vater, ich kann Dich nicht mehr lieben und verehren wie bisher, wenn Du einem Unglücklichen die Rettung mit solcher Grausamkeit verweigerst.“

Felsing hatte ihn darauf ein paar Minuten lang schweigend, mit durchbohrenden Blicken angesehen, und allmählich war ein böses Lächeln über sein Gesicht gezogen.

„Ja, so ein Graf darf nicht untergehen,“ sagte er endlich mit bitterem Hohne, „darüber müßten sich alle Bande der Natur lösen. Sei es denn, ich will Dir den Willen thun, wenn es der edle Herr auch gerade um Dich wahrlich nicht verdient hat!“

„Um mich? Wie so, Vater? Graf Hochberg ist mir immer mit der größten Freundlichkeit begegnet.“

Statt der Antwort schlug Felsing ein grelles, höhnisches Lachen auf, um dann plötzlich in seine vorige finstere Schweigsamkeit zurückzufallen. So hatten sie den Weg hierher stumm zurückgelegt und standen nun im Gemache des Grafen, das seltsamer Weise leer war, obgleich der Diener ihnen doch gesagt hatte, der Graf sei in diesem Zimmer.

Ein Mißverständniß vermuthend, holte Emil den Diener herbei, welcher ebenfalls erstaunt war und, als er die Thür des Nebenzimmers geöffnet fand, in dasselbe eintrat. Mit verstörter Miene kehrte er zurück.

„Ein Unglück!“ rief er zitternd aus. „Ein Unglück!“

Bestürzt sahen die beiden Besucher sich an, und mit einem bangen Vorgefühle eilten sie nun auf die Thür zu, aus welcher im gleichen Augenblick der Graf, todesblaß, das Haar wirr über die Stirn hängend, den Revolver in der Hand, trat.

Als er Felsing erblickte, zuckte er zusammen, wie wenn er plötzlich auf eine Schlange getreten wäre.

„Ist es möglich?“ knirschte er; „Sie wagen es noch, hierher zu kommen? Wollen Sie Ihr Opfer sehen? Wohl, da drinnen liegt sie – in ihrem Blute – und dieses Blut –“ seine Stimme nahm bei diesen Worten einen furchtbaren Ausdruck an – „dieses Blut sollst Du mir bezahlen, Elender!“

Er erhob die Waffe gegen Felsing, aber mit Blitzesschnelle hatte sich Emil vor den Vater gestellt, um ihn mit seinem Leibe zu decken.

Auch Richard, Gabriele, Hans und der Haushofmeister waren, von dem Diener gerufen, herbeigeeilt und starrten jetzt auf die unheimliche Gruppe. Richard hatte sich am frühesten gefaßt und war dem Grafen in den Arm gefallen.

„Nein, laßt ihn!“ rief jetzt Felsing, indem er seinen Sohn zurückdrängte und dicht vor den Grafen hintrat. „Laßt ihn! Er versteht sich auf Menschenopfer! Schießen Sie zu, Graf Hochberg-Eckartshausen, und wie Sie vor fünfundzwanzig Jahren Magdalena in den Tod gejagt, so tödten Sie nun auch mich und diesen hier –“ er stellte sich, während er dies sprach, neben Emil und ergriff dessen Hand – „Ihren und Magdalenas Sohn!“

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_546.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)