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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Sonn’ vertrinnt.“ Damit stand der Bursche vor Sanni, lüftete seufzend den Hut und blickte lächelnd auf das emsig strickende Mädchen nieder. „Is verlaubt?“ frug er nach einer Weile, schob Hut und Sonnenschirm bei Seite und setzte sich langsam auf die Bank.

„Aber ich bitt’ gar schön!“ erwiederte Sanni, von Neuem erröthend, und rückte hastig auf die Seite.

„Ja geh’, was bleibst denn net sitzen!“ schmollte Karli und rückte nach. „Is ja Platz g’rad g’nug! Ah – Saxen! Saxen! So a Hitz’!“

„Ja! So a Hitz’!“ bestätigte Sanni, legte das Strickzeug in den Schoß und drückte die Hände auf die glühenden Wangen.

„Es ist schon fürchtig! Aber wirst es sehen, Sanni, das kann net so fortdauern über Nacht. Da kommt noch ’was bis auf ’n Abend.“

„Ja, ich hab’ mir’s selber schon ’denkt.“

Fast gleichzeitig neigten sie sich vornüber, um durch die Bäume nach dem westlichen Himmel auszuschauen. Dabei berührten sich ihre Schultern, und das schienen die Beiden gar nicht zu bemerken, denn lang und ruhig hielten sie in dieser Stellung aus.

„Ganz blau – noch Alles ganz blau!“ versicherte Sanni endlich mit einem stockenden Seufzer und meinte den Himmel.

„Ja, wunderschön blau!“ erwiederte Karli lächelnd und meinte damit Sanni’s Augen. Ganz merklich drohte er dabei das Gleichgewicht gegen des Mädchens Seite hin zu verlieren – und er kippte mit dem Ellbogen fast bis auf die Bank nieder, als Sanni plötzlich aufsprang, um eine Hummel zu verscheuchen, welche sumsend das Dächlein des Korbwagens umflog. Dann neigte sie sich über das kleine Gefährt und strich mit sanfter Hand dem schlummernden Kinde die dünnen Härchen aus der Stirn. Fürsorglich zog sie die grünen Vorhänge zu, umschritt mit musternden Blicken den Wagen und setzte sich auf die andere Seite der Bank, wobei sie gar nicht zu gewahren schien, daß Hut und Sonnenschirm nun zwischen ihr und dem Burschen lagen.

Karli aber zog die Brauen hoch, betrachtete mit scheelen Blicken die beiden Sachen und hob dann langsam die großen Augen zu dem ruhigen Gesichte des Mädchens, das mit nickendem Kopfe und tippender Nadel am Strickzeuge die Maschen zählte.

„Ah ja!“ seufzte er nach einer stummen Weile, blies die Backen auf, streckte die Füße und preßte den Rücken wider den Stamm der Linde. So saß er schweigend und verwandte keinen Blick von den Nadeln, die zwischen Sanni’s emsigen Fingern leise klapperten. Mit einem Male rückte er ein wenig näher, stützte die Ellbogen auf die Kniee und sagte:

„Na, wie Du’s aber kannst! Völlig wachsen sieht man das Strümpferl unter Deine Händ’. Wem g’hört’s denn, han? Für Dich selber kann’s doch net g’hören, denn –“

„Für’s Lehrer-Sepherl g’hört’s,“ fiel Sanni mit hastigen Worten ein, als wollte sie dem Burschen die Mühe ersparen, die ausgesprochene Meinung weiter zu begründen.

„Drum! So ’was hab’ ich mir gleich ’denkt! A Bißl an Augenmaß hat man ja doch im Kopf.“

Sanni erröthete bis unter die Haare, und während sie das Gesicht tief über das Strickzeug neigte, zog sie hurtig die Füße unter das Röckchen zurück.

Lächelnd nahm Karli den Strohhut des Mädchens auf den Schoß und zupfte an dem blauen Bande.

„Han, sag’, wie geht’s denn der Frau Lehrerin?“ fragte er nach einer Weile, legte den Hut auf die andere Seite und rückte näher.

„Dank der Nachfrag’! Es macht sich schon! Gestern hat s’ den ersten Kirchgang g’halten.“

„Is a fleißiger Vogel der Storch im Lehrerhaus, das muß man sagen! Zehn Jahr’ lang sind s’ jetzt verheirath’, sechs Kinder springen im Haus um einander, eins liegt da im Wagerl und ’s jüngste daheim in der Wiegen. Und Du, Du hast es auch net zum Besten dabei. Von ei’m Jahr aufs andere hast mehr Arbeit. Und statt daß Dich am Sonntag a Bißl ausschnaufen könntst, mußt mit alle zwei Händ’ drauf losnadeln, daß Dir d’ Fingerln krumm werden möchten.“

„Ah na – allweil sind s’ noch ganz g’rad!“ lächelte Sanni und schaute mit einem freundlichen, fast dankbaren Blick zu dem Burschen auf. „Und sonst is ’s auch net so arg mit der Arbeit, g’wiß net! D’ Frau Lehrerin greift selber fleißig mit zu – und für ’s Gröbere is ja nachher a Magd auch noch da. Und was ich auch zum thun hab’, ich thu’s ja gern. Ich hab’ ja in den fünf Jahr’, seit mein Ahnl g’storben is, im Lehrerhaus schier gar a zweite Heimath g’funden. Ja, so viel gut is der Herr Lehr’ und d’ Frau Lehrer zu mir – und die Kinderln erst, die hängen mir gar fürchtig an.“

„Ja, ja, ich kann’s ihnen net verdenken!“ betheuerte Karli, ergriff den Sonnenschirm und unterzog den plumpen Mechanismus desselben einer mehrfachen Probe.

„G’wiß wahr, wenn wir oft von mei’m Vater reden, kann d’ Frau Lehrer net g’nug sagen, wie s’ a ganze Angst davor hätt’, daß er amal aus Amerika ’rüberschreiben thät, ich sollt’ zu ihm ’nüberkommen.“

„Geh’ weiter! Das wird ihm doch net einfallen!“ fuhr Karli erschrocken auf, warf den Sonnenschirm zum Hute und rückte dicht an Sanni’s Seite. „Oder hat er leicht wieder ’was hören lassen von ihm?“

Traurig schüttelte Sanni das Köpfchen. „Ah na! Vor zwei Jahr’, wie er g’schrieben hat, daß d’ Mutter verstorben is, das war der letzte Brief – weißt es ja noch, wo selbigsmal im Ort so viel drüber g’redt worden is, weil so g’spaßige Reden drin g’standen sind.“

„Ja, daß die Ein’ g’sagt haben: der schreibt ja wie a Heiliger – derweil die Andern g’meint haben: der schreibt wie – wie einer, bei dem ’s nimmer recht sauber is im obern Stüberl.“

„Karli! Aber geh!“

„No ja – schau – da mußt net gleich beleidigt sein! Ich selber hab’ ja so ’was nie net g’sagt. Der Kummer wird halt so g’spaßig aus ihm g’redt haben – er hat ja Dein’ Mutter selig doch auch recht gern g’habt.“

„O g’wiß! G’wiß! Denn wenn s’ net z’sammg’halten hätten, da hätten s’ ja gar kein’ Trost net g’habt bei aller Noth und allem Elend. Ich sieh s’ noch völlig sitzen vor mir, die Mutter mit ihren lieben, guten Augen und mein’ Vater mit sei’m sinnirlichen G’sicht, halb freundlich und halb ernst. O mein lieber Gott! Jetzt wird er auch anders ausschauen! Elf Jahr’, das is a Zeit! Und wie ’s ihm ’gangen is! ’s Bessere hat er g’sucht, drüben über’m Wasser, und ’s Schlechtere hat er g’funden! Wie oft hat er in die ersten Jahr’ g’schrieben, daß er gern wieder z’ruck möcht’, wenn er nur g’rad ’s Geld aufbringen könnt’ zum Heimreisen.“

„No schau, da wird ’s jetzt auch noch net anders sein mit ihm – und – wie könnt’ er denn nachher dran denken, daß er Dich amal ’nüberkommen laßt? Das kann ich mir gar net einbilden!“

„Wer weiß! ’leicht hat unser Herrgott doch amal an Einsehn g’habt und hat ihm ’s Glück zug’wendt.“

„Geh’! Am End’ haltst es schon gar nimmer aus bei uns! Am End’ wartst schon lang auf so an Brief?“

Hastig hob Sanni den Kopf, schaute mit verschüchterten Augen in das finstere Gesicht des Burschen und beugte sich seufzend wieder über das Strickzeug.

„Und so leicht könntst fort von da?“ forschte Karli weiter. „Gar nix könnt’ Dich halten?“

Eine stille Weile verstrich, ehe Sanni, ohne die Blicke zu heben, mit leiser, zitternder Stimme erwiederte: „Da dürft’ ich wohl net drauf denken, was mich halt’t – da müßt’ ich bloß hören, was mich ruft. Mein Vater is ja doch mein Vater. Und nachher, so gut ich auch g’halten bin im Lehrerhaus – an eigene Heimath is halt doch was anders – und – was mir ’s Aergste is: daß ich net amal an meiner lieben Mutter selig ihrem Grab a Vaterunser beten kann, wenn mir diemal mein armseligs Alleinsein so recht schwer auf’m Herzen liegt.“

Sanni schluckte, legte das Strickzeug in den Schoß und fuhr mit den Handballen nach den Augen.

Sachte zog ihr Karli die Hände vom Gesicht. „Aber geh’, Sannerl! So mußt auch net sein auf amal! Wer wird denn gleich Alles so von der schwarzen Seiten anschauen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_551.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)