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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Point!“ Das war seit einigen Jahren ein geläufiges Sprichwort im Dorfe geworden. Seit einigen Jahren erst! Denn in früherer Zeit, als die hochselige Kätter, die Pointnerin noch gelebt hatte, da war ein ganz anderes Sprichwort im Umlauf gewesen: „Auweh zwick! Der muß sich ducken wie der Bauer auf der Point.“

Ja, so eine Geldheirath! Der Pointner hatte alle Ursache, seinem Buben die gute Lehre zu geben: „Karli, schau net aufs Geld, schau aufs G’müth.“

Sie hatte ein ungutes Regiment geführt, die Pointner-Kätter. Gleich von vornherein hatte sie sich auf den dicken Geldsack gesetzt, den sie mit in die Ehe gebracht. Und der junge Pointner, der als ein halbfertiger, unselbständiger und allzu gutmüthiger Charakter auf seines Vaters Willen hin ganz plötzlich in diese Heirath hineingesprungen war, hatte von allem Anfang an der mehr als energischen Frau gegenüber das Gleichgewicht verloren. „Um’s lieben Friedens willen“ hatte er klein beigegeben und hatte sich im Stillen mit der Hoffnung auf „seine Zeit“ vertröstet. Aber „seine Zeit“ hatte lang auf sich warten lassen; sie war erst gekommen, als man die Kätter zum Hofe hinausgetragen hatte. Am Werkeltage Arbeit und Arbeit, am Sonntag das Hochamt und der Rosenkranz, und zwischenein zu allen Mahlzeiten die endlosen Litaneien der Kätter: das war durch fünfundzwanzig Jahre des Pointner’s Leben gewesen. Seit dem fidelen Räuschlein, das er sich an seinem Hochzeitstage angetrunken, hatte er keine recht vergnügte Stunde mehr gehabt bis zu dem Tage, an welchem – es war im siebenten Jahre seiner Ehe – sein Bub’, der Karli, getauft worden war. Dann nahm sein Leben wieder den alten unguten Gang – bis zum letzten Tage dieser Ehe, der in Einem so sehr jenem ersten glich: denn als der Pointner nach dem Leichenbegängniß beim „G’sturitrunk“ im Wirthshause saß, rühmte er vor seinen „Mitklägern“ so unermüdlich die guten Eigenschaften der Verblichenen, daß ihm die Zunge ganz trocken wurde; da mußte er denn „netzen und netzen“, und das Ende war, daß der Pointner auf den Füßen der Nachbarn vom Leichenschmaus nach Hause ging.

Ehe noch die vier „schwarzen Wochen“ verflossen waren, führte der Bauer auf der Point eine Neuerung in seinem Hofe ein, welche die Leute des Dorfes zu dem lächelnden Kommentar veranlaßte: „Der Pointner rührt sich!“ Was er in den unfreundlichen Jahren seiner Ehe der Kätter am allermeisten zum wohlweislich verschwiegenen Vorwurf gemacht hatte, das war ihr gänzlicher Mangel an jeglichem Schönheitsgefühl gewesen. Nach den „wirthschaftlichen“ Principien der Pointnerin mußten die Mägde, die jeweilig im Pointnerhofe in Diensten standen, das kanonische Alter noch um ein Erkleckliches überschritten haben. Und da suchte jetzt der Pointner den Beweis, daß nun „seine Zeit“ gekommen wäre, vor allem dadurch zu erbringen, daß er den beiden zahnlückigen Unholden, die mit Keifen und Gezänk in Küche und Ställen umherrumorten, den Abschied gab und an ihrer Stelle zwei junge, dralle, muntere Dirnen auf die Point berief. Dadurch gewann das Leben im Pointnerhof allerdings mit einem Schlag ein neues, ein „junges“ Gesicht; der Tag, der bislang mit Schelten begonnen, mit Schelten geendet hatte, nahm von nun an mit trällerndem Gesang seinen Anfang, mit Scherz und Gekicher sein Ende. Und da nannte es der Pointner: in Haus und Hof nach dem Rechten sehen – wenn er den lustigen Dingern bei der Arbeit zuschaute, wenn er mit ihnen schwatzte und kicherte und sie zur Versicherung seiner Zufriedenheit in die dicken rothen Backen kniff. Geschah es dann manchmal, daß die Nachbarn den Pointner um dieser „Renavürung“ willen in die Zwickmühle nahmen, so vertheidigte er sich lachenden Mundes mit der Versicherung: „Ich schau’ halt auf mein’ Nutzen, denn a junge Hand greift allweil riegelsamer bei der Arbeit zu als wie an alte!“ Eine gewisse Einseitigkeit verrieth sich nun allerdings in dem Umstande, daß der Pointner diesen Satz nicht auch bei der männlichen Hälfte seines Gesindes zur Anwendung brachte. Freilich, daß er seinen „Maier“, den Götz, nicht entließ, das war begreiflich; aber Martl, der „Rosserer“, und Stoffl, der „Hausl“, trugen doch auch zusammen schon ihre hundert Jährlein auf dem Rücken; aber in ähnlicher Weise, in welcher jene „Renavürung“ auf den Bauer gewirkt hatte, wirkte sie auch auf diese beiden Knechte, die zu den gestrengen Zeiten der Pointnerin zwei griesgrämliche Kerle gewesen waren und jetzt mit lachenden Gesichtern umherspazierten, als hätte man ihnen ein Päcklein Jahre von den Schultern genommen. Nur einer war sich bei all diesem Wandel gleich geblieben – das war der Götz. Der ging seinen gleichen, stillen Weg wie zuvor, that auf diesem Wege zehnmal mehr, als seine Pflicht und Schuldigkeit war, und hielt dabei mit Geschick und Ruhe die Zucht unter dem Gesinde aufrecht, welche die lächelnde Nachsicht des Bauern häufig zu lockern drohte.

Und während der Götz in seinem Schweiße schaffte, ließ der Pointner die Arme ruhen und streckte die Füße. Er hatte sich genug geplagt in seinem Leben, so versicherte er bei jeder Gelegenheit; nun wollte er auch einmal den Dank der Arbeit genießen. Auf den Götz durfte er sich ja verlassen; der kannte kein anderes Interesse als dasjenige seines Herrn; und was der Götz dem Pointner anrieth, gedieh immer zum Besten. „Laßt’s mir mein’ Fried’,“ pflegte der Pointner zu greinen, wenn eines vom Gesinde in einer wirthschaftlichen Angelegenheit des Bauern Rath erholen wollte, „laßt’s mir mein’ Fried’ und geht’s zum Götz – der weiß eh’ alles besser wie ich.“

So kam es nach und nach, daß die Knechte und Mägde in allen wirthschaftlichen Dingen den Götz als ihren eigentlichen Herrn erkannten, daneben aber den Bauer, wie das Sprichwort sagt, in die weichste, wärmste Wolle wickelten.

Und wie das Gesinde zwischen Bauer und Maier stand, so ähnlich stand auch Karli zwischen Götz und dem Vater. Er war dem Vater von Herzen zugethan – Respekt aber hatte er vor dem Götz. Daneben bewahrte er in seinem Herzen ein freundliches Gedenken an die verstorbene Mutter, obwohl dieselbe den Bestrebungen des Pointner’s, den Buben gründlich zu verziehen, stets mit verdoppelter Strenge entgegenwirkte, wobei ihr der Götz nach Kräften an die Hand gegangen war.

Ueber die Wandlung auf dem Pointnerhofe hatte sich Karli wenig Gedanken gemacht. Trotz seiner ehrlichen Trauer um die Mutter sagte auch ihm dieser lustige Ton besser zu als die unwirsche Stimmung, in welcher früher die Tage vergangen waren. Und daß seinem jungen Blut das junge Dirnenvolk nicht gefährlich wurde, welches auf dem Pointnerhofe eingezogen war, dafür wußte Götz zu sorgen. Bald nach der Mutter Tod war Karli zum Militär einberufen worden, hatte in München drei Jahre als strammer Dragoner gedient, war dabei nach Soldatenweise aufgethaut und hatte auch ab und zu den „verfluchten Kerl“ gespielt, ohne jedoch aus diesen kleinen Scharmützeln zwischen Ernst und Leichtlebigkeit irgend welchen Schaden an Herz und Seele davonzutragen.

Bei seiner Rückkehr in das Vaterhaus hatte er die Dinge genommen, wie er sie vorgefunden, hatte sich rüstig in die entwöhnte Arbeit wieder eingeschickt – und daß ihm jetzt, wo er manches mit anderen Augen ansah als früher, der leichte Ton, den allen Anderen voraus der Bauer im Pointnerhofe anschlug und den allein der Götz nicht mitredete, nicht mehr gefährlich werden konnte: dafür war die Wirkung eines Zauberblümleins gut, das in dem Herzen des Burschen sachte zu sprossen begann, als er ein gewisses freundliches Dirnlein, dem er als Knabe schon gar gut gewesen, bei der Heimkehr als ein schmuck erblühtes Mädchen wiederfand.

Bei all den sentimentalen Stimmungen, in welche dieses aufkeimende Empfinden den Burschen versetzte, dachte er doch auch mit manch einem praktischen Gedanken an die Zukunft und meinte, daß bald eine Stunde kommen könnte, in der er den Vater bei besonders guter Laune finden müßte. So that denn auch er sein Bestes, um dem Vater das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Und wie sich’s der Pointner wohl sein ließ! Es schien eine rechte Wahrheit in dem Sprüchlein zu liegen, das der Stoffel – der „schwäbische Stoffel“, wie er um seiner Herkunft willen genannt wurde – verfaßt und in Umlauf gebracht hatte:

„Beim Bauern auf der Point
Ischt der luschtbare Frieden dahoint.“

Und dieser „luschtbare Frieden“ sprach aus den zwinkernden Aeuglein, glänzte auf den vollen Backen und lächelte von den Lippen des Pointner’s, während er sich im Schatten auf der Hausbank streckte und dehnte, die Hände in den Taschen, den Steinkrug an der Seite, in behaglicher Ruhe sein friedvolles Haus behütend.

Nun plötzlich seufzte er auf und schnitt eine verstimmte Miene. Es war ihm eingefallen, daß das Haushüten eigentlich eine Arbeit wäre.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_566.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)