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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Storm hat Gedichte und Novellen geschrieben, durchweg ausgereifte, bis aufs Wort durchgebildete und durchgefeilte Kunstwerke, mit jeder Zeile den Duft einer ganz bestimmten poetischen Eigenart athmend. Ihm fehlt der große Schwung – aber ihm fehlt dafür auch völlig die Phrase, die wuchernde Ueppigkeit; und seine „Gedichte“, welche mehr als sechs Auflagen verdient hätten, sind von ergreifender Naturlaute. Die meisterhaft gestalteten Novellen – er arbeitet wohl ein Jahr an einer solchen – tragen einen stark lyrischen Charakter, um so mehr, je älter sie dem Ursprung nach sind; so das weitverbreitete „Immensee“, von welchem jetzt im Amelang’schen Verlag in Leipzig eine prächtig ausgestattete Jubiläumsausgabe mit 23 stimmungsvollen Heliogravüren nach W. Hasemann und Prof. Edmund Kanoldt erscheint. Die Stimmung macht neben der filigranartigen Detailschilderung den Reiz dieser Dichtung aus. Erst in den späteren Arbeiten beginnen die Gestalten plastischer, der Aufbau epischer, die innere Bewegung mannigfaltiger, leidenschaftlicher zu werden, wie in „Aquis submersus“ u. A. Die Werke Storms erscheinen in einer Gesammtausgabe, die gegenwärtig 14 Bände zählt. Mögen dem greisen Dichter noch reiche Jahre rüstigen Schaffens und beschaulichen Genießens beschieden sein! Victor Blüthgen.     

Josephine Wessely †. Mit Wehmuth erfüllt uns das Hinscheiden verheißungsvoller Talente, ehe sie auf ihrer Laufbahn das Höchste erreicht, das ihnen erreichbar schien nach der Meinung der Kundigen. So schmerzlich berührt uns jetzt die Trauerkunde vom Tode der Josephine Wessely: mir haben dieser Künstlerin in unserer Zeitschrift, als ihr Stern in Leipzig so glänzend aufgegangen war, eine eingehende Würdigung zu Theil werden lassen („Gartenlaube“ Jahrg. 1877, S. 647); es knüpften sich die schönsten Hoffnungen an ein Talent, das den zündenden elektrischen Funken besaß, der für die Wirkungen der Tragödie unerläßlich ist; auch bei ihrem Berliner Gastspiel waren Kritik und Publikum einstimmig in der Anerkennung ihrer schönen Begabung. Nicht lange darauf wurde sie am Wiener Burgtheater engagirt. Sie war eine Wienerin, am 18. März 1860 in der Donaustadt geboren und hatte auch dort 1874 bis 1877 ihre Ausbildung in der Schauspielerschule des Konservatoriums erhalten. Dr. Förster brachte bei Uebernahme der Leipziger Direktion die junge Kunstnovize mit nach Leipzig, wo sie alsbald als Luise in „Kabale und Liebe“ einen vollen Erfolg davongetragen.

Ein Engagement am Wiener Burgtheater, wo sie auch 1884 zur k. k. Hofschauspielerin ernannt wurde, war bei ihrer Jugend ein nicht geringes Glück zu nennen. Gleichwohl war ihre Laufbahn dort eine dornenvolle: ein Theil der Kritik war ihr nicht hold, die Rivalität eines jungaufstrebenden Talents war den anerkannten Größen unbequem; Alles trug Anfangs dazu bei, eine freudige Entwicklung der strebsamen Künstlerin zu hemmen; gleichwohl brach sie sich Bahn beim Publikum. Die innere Geschichte des Burgtheaters ist ja für die Außenstehenden ein Buch mit sieben Siegeln: nur einzelne Mittheilungen dringen daraus ins Publikum, und so vernahm man auch später Mancherlei von Konflikten mit der Direktion, von langen Beurlaubungen, von einer Audienz beim Kaiser. Jedenfalls war ihre Stellung an der Burg eine schwierige. Hinzu kam eine Kränklichkeit, die sie oft genug entmuthigen mußte: mehrfach suchte sie Heilung in Karlsbad. Im letzten Sommer hielt sie sich eine Zeit lang in Ungarn auf, doch hat ihr dieser Aufenthalt, wie sie an eine Leipziger Freundin schreibt, nur geschadet und „sie hatte dann Mühe, in der guten harzigen Semmeringluft das Schlechte gut zu machen“. Leider sollte sich ihre Hoffnung, im nächsten September „mit neuer Kraft ihren Pflichten nachkommen zu können“, nicht erfüllen. In Karlsbad ereilte sie am 12. August der Tod; sie starb, bald nach ihrer Ankunft an diesem Badeort und ohne aus dem Schlummer der Erschöpfung, in den sie sogleich verfallen war, wieder zu erwachen, an einer Krankheit der Leber.

Das Leichenbegängniß des Fräulein Wessely fand unter großer Theilnahme des Wiener Publikums statt. Am Grabe widmete Sonnenthal der geschiedenen Kollegin einen Nachruf, dem wir die folgenden so bezeichnenden und ergreifenden Worte entnehmen: „Ein Wesen in der Blüthe der Jahre, der Schönheit, des vollen reifen Talents – dahin, unwiederbringlich dahin! Die weiche sympathische Stimme, die so oft zu unseren Herzen drang, für ewig verstummt, das schöne sprechende Auge für ewig erloschen, für immer gebrochen! Arme Josephine, wohl trugst Du den Todeskeim schon seit Jahren in Dir, allein Du wehrtest Dich muthig und tapfer gegen den grausamen Feind, und wunderbar, je mehr er Deinen zarten Körper zu zerstören drohte, desto mehr erstarkte Deine Seele, Dein Geist, und gerade in den letzten Jahren Deiner Leiden wurden Deine künstlerischen Schöpfungen geklärter, reifer, vollendeter, und gerade das allerletzte Gebilde, das Du schufst – schon mit der Todeswunde im Herzen – war vielleicht die weiblich zarteste, die künstlerisch vollendetste Deiner Schöpfungen.“ Sonnenthal meint damit die Rolle der „Denise" in dem Stücke des jungen Alexander Dumas.

Josephine Wessely betrat mit 16 Jahren zuerst erfolgreich die Bühne und ist im Alter von 27 Jahren gestorben. Es heißt ja, daß die Götter ihre Lieblinge früh abberufen, man hat das besonders mit Bezug auf die Dichter ausgesprochen und Poeten wie Theodor Körner und Novalis erinnern an den ewig jungen Gott des Gesanges, Phöbus Apollo. Doch auch manchen der Künstlerinnen hat es die Gunst des Schicksals erspart, vor dem Publikum zu altern, mit fraglicher Berechtigung junge Heroinen zu spielen und zuletzt als tragische Alte in ein lebensmüdes Fach überzugehen. Josephine Wessely, als Gretchen, Klärchen, Luise, Desdemona, wird mit ihrer reizvollen Jugendlichkeit in den Erinnerungen der Zeitgenossen und den Annalen der deutschen Theatergeschichte unverkümmert fortleben. †      

Josephine Wessely als Gretchen in „Faust“.

Das Silberjubiläum des Deutschen Sängerbundes. Vor 37 Jahren, am 5. August 1850, war es, als bei einem Feste des Schwäbischen Sängerbundes in Ulm Herr Konrektor Pfaff aus Eßlingen die bedeutsamen Worte sprach: „Stehen wir auch noch fern von der politischen Einheit Deutschlands, so soll doch hier ein Band gewoben werden, welches allmählich alle deutschen Bruderstämme umschlingt; ein Bund soll gegründet werden, den keine engeren Grenzen einschließen als die, welche Gott der Herr selbst dem deutschen Lande setzte, der Alpen Höhen und des Meeres Strand, ein großer deutscher Sängerbund!“ Diese Worte, damals prophetisch ausgesprochen, verwirklichten sich zwölf Jahre später, nachdem sowohl die Schiller-Feier (1859) als auch das Sängerfest in Nürnberg (1861) die Begeisterung für den deutschen Einheitsgedanken in erfolgreicher Weise entflammt hatten. Namentlich die herrlichen Jubeltage in Nürnberg trugen dazu bei, den Festspruch

„Deutsches Banner, Lied und Wort
Eint in Liebe Süd und Nord.“

zur That zu gestalten. Dort beschloß man, die Bildung weiterer Gauverbände zu veranlassen, um dann die Gründung eines allgemeinen deutschen Sängerbundes vornehmen zu können. Die Vorarbeiten wurden dem Schwäbischen Sängerbunde übertragen, der die ihm gestellte Aufgabe mit Energie und organisatorischem Talente löste.

Am 21. September 1862 stellten sich 68 Abgeordnete als Vertreter von 41 Sängerbünden (mit ungefähr 45000 Sängern) in Koburg ein, um, unter dem Vorsitz des Herrn Dr. Otto Elben aus Stuttgart, in einmüthiger Begeisterung das Werk der Einigung zu Stande zu bringen. Wenige Stunden genügten, zu gegenseitigem Verständniß über die Statuten zu gelangen. Nach dem grundlegenden Paragraphen seiner Satzungen geht das Streben des Deutschen Sängerbundes „auf die Ausbildung und Veredelung des deutschen Männergesanges. Durch die dem deutschen Liede innewohnende einigende Kraft will auch der Deutsche Sängerbund an seinem Theile die nationale Zusammengehörigkeit der deutschen Stämme stärken und an der Einheit und Macht des Vaterlandes mitarbeiten.“

Als ein praktisches Bindemittel für die einzelnen Gauverbände hat sich das anfangs mit Mißtrauen aufgenommene Liederbuch erwiesen. Der leitende Gedanke bei der Herausgabe dieser Liederhefte war: eine Zahl von Kernliedern, welche überall gern, freilich oft in verschiedenen Satzweisen, gesungen wurden, den Sängern im richtigen Satz und in handlicher Ausgabe zu bieten, so daß diese Lieder jederzeit gemeinsam gesungen werden können; außerdem wurden den Vereinen neue

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_611.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)