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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Nanette legte ein Scheit Eichenholz auf, sah nach dem Punsch und kauerte sich neben den Kamin.

„Hm – das war so wie heute, nur vergnügter, sie sangen, tranken, und endlich schleppten sie mich herein – wir tanzten –“

„Kam da der Kuß?“

Sie beantwortete meine Frage nicht.

„Und endlich mußte ich ihnen prophezeien.“

„Hurrah, Nanette! Wollen Sie noch einen Kuß?! – Hier meine Hand! Los – was ist da zu lesen?“ rief der Fähnrich, sprang auf und hielt ihr seine Rechte entgegen. Sie stieß sie zurück.

„Die nicht? Die Linke? Wie? Ihr wollt nicht? Nein? Doch – doch – ich bin nicht abergläubisch!“

„Nein, ich will nicht!“

„Habt Ihr dem Junker damals auch nicht wahrgesagt?“

„Doch – doch!“

„Nun – und –?“

Sie hielt sich die Ohren zu. Der Fähnrich wurde immer eifriger, riß ihr die Hände herunter. „Ich will’s aber wissen! Was habt Ihr ihm gesagt?“

Nanette sprang auf, wollte hinausgehen, aber er hielt sie am Rocke fest.

„Halt – hier geblieben! Was wurde aus dem Fähnrich?“

Sie versuchte sich loszureißen.

„Wurde er verwundet?“

„Nein!“

„Nun also – was hat’s denn für Gefahr?“ riefen wir Alle wie aus Einem Munde.

Nanette war verschwunden; wir hörten, wie sie die steinerne Treppe hinaufschlurfte und sich einschloß. Der Fähnrich wollte ihr nachlaufen. Doch plötzlich sprang Lieutenant Mackowski von seiner Bettstelle, ergriff Ucker’s Hand, sah hinein und rief lachend, seinen polnischen Dialekt absichtlich verstärkend:

„Bruder meiniges, frei Dich, wirst liegen morgen noch mit mir in Grab Deiniges!“

Der Fähnrich zuckte zusammen, entfärbte sich; dann lachte er gezwungen auf, hob das gefüllte Glas gegen ihn – und – „Prost Bruder – Grab Deiniges!“ – kam gepreßt über seine Lippen. – Das war unbehaglich. Am Vorabend eines Tages, der nach menschlicher Berechnung mit Pulver und Blei gefeiert wird, erweckt das auch bei nervenstarken Menschen ein Gruseln.

„Ach, Unsinn, Kinder!“ rief ich. „Laßt solche Thorheiten! Fähnrich, das Donnerwetter, passen Sie auf Ihren Dienst – der Punsch kocht über, schade um jeden Tropfen!“

Ucker beugte sich zu dem Feldkessel nieder, zog ihn vom Feuer, und ich hätte mich sehr irren müssen, wenn seine Hand dabei nicht zitterte.

Das Gebräu war herrlich, aber die alte Behaglichkeit wollte nicht wieder kommen, trotzdem ein weißhaariger Knecht hereinhumpelte und uns ein für die sonstigen Verhältnisse von Château Montagnard wahrhaft kostbares Abendessen brachte. Sprachen wir’s auch nicht aus, so waren wir Alle recht ärgerlich auf Nanette, mehr aber noch auf Lieutenant Mackowski. Es lag so etwas Beängstigendes in der Luft.

*  *  *

Der 16. brach an. Der Himmel ein Flammenmeer, von seinem Purpurüberfluß fluthete ein Theil durch das Fensterchen in unser Zimmer und beleuchtete das jugendlich mädchenhafte Gesicht des Junkers, welcher, den Tornister unter den Kopf geschoben, die Hände über der Brust gefaltet, auf platter Erde dicht am Kamin eingeschlafen war.

Ich sah ihn lange an. „Bruder meiniges“ – drängte sich mir unwillkürlich auf die Lippen. Der Anblick dieses jungen, unschuldigen Blutes that mir weh. Mackowski schlief auch noch. Sein Gesicht lag im Schatten. Es sah bleich aus, die Züge lang, scharf – dazu schlossen die Augenlider nicht ganz auf einander, ein schmaler, weißer Strich schimmerte durch die Wimpern.

Unheimlich – man hätte ihn für eine Leiche halten können.

„Aufstehen, meine Herren – an die Gewehre!“ rief ich, und die Schläfer reckten sich. Jetzt sprangen sie auf. Die Burschen kamen, um ihre Herren zu bedienen. Nur der Fähnrich lag noch auf dem Boden und stützte seinen Kopf schwer in die rechte Hand.

„Nun, Junker, wird’s bald!? Sie träumen wohl noch?“

„Ich? – Ja – nein – ich dachte nur –“

Er schoß in die Höhe, ging hinaus und war der Einzige, welcher die alte Nanette noch vor dem Ausmarsche sah. Am Fenster des südlichen Giebels hatte sie gestanden und ihm zugenickt.

Die magnetische Kraft der Riesenfeste wächst mehr und mehr. Armeen ziehen Armeen an. – Knack – knack – knackknackknack –. Niemand hört darauf; diese Vorpostenplänkelei, in den meisten Fällen eine kindische, alberne Spielerei, welche man einmal den Leuten nicht austreiben kann, ist man gewohnt.

Bum – bum – zschzschzschzsch – ketschbumbum – das wird schon ernster. Das war ein Gruß aus einem zarten Mündchen, das eiserne Zuckerhüte speit – Ein zweiter und ein dritter – nun Alles still. – Rummm – krrrrrr – krrrrrr – knattern dann die ersten Salven.

Ich lasse laden.

„Heute gilt’s, Jungens!“

„Hurrah – hurrah!“ ertönt’s aus den Reihen meiner Kompagnie.

„Bst – still, Leute – ich weiß, daß Ihr Kourage im Leibe habt.“

Nur der Fähnrich, sonst der lustigste, der kriegsbegeistertste von Allen, schweigt. Eine ihm bis dahin fremde Hast treibt ihn vorwärts, so daß er im Marsche oft über seine Rotte hinauskommt, dann stehen bleiben muß, um sich wieder aufnehmen zu lassen. Seine großen, blauen Augen glänzen stahlfarben, ein Flimmern tanzt darin; zwei Purpurrosen erglühen auf seinen Wangen.

Mackowski marschirt mit eiserner Ruhe dahin. Sein Gesicht ist bleich wie immer und in seinen scharfen Zügen liegt grauer Wegestaub.

Die Mosel ist erreicht. Kein Laut von drüben. Stille vor dem Sturm – drückende Gewitterschwüle! Ein Schlag wie der stärkste Donner! Metz brüllt aus Kanonenschlünden, das Signal zum tollen Reigen ist gegeben. Hei, wie die Furien des Krieges tanzen! Der Himmel glüht, es brennen Dörfer, schwere, qualmige Wolken dämpfen den Flammenschein, weißbläulicher Dampf, als wenn der Fuchs auf feuchten Wiesen braute, folgt schleierhaft dem leichten Zuge des Windes. Dazu lacht die Sonne vergnügt über das ganze alte Gesicht.

Nicht der Fuchs sitzt heute am Kessel, der Knochenmann mit blanker Sense mäht – mäht – mäht immer toller. Die Luft erzittert vom Gebrüll der Eisenschlünde.

„Die Fahne los! Berittene Officiere vom Pferde steigen!“

Es ist geschehen; das Banner bläht sich und zeigt uns den Weg zur Ehre. Die Kettenbrücke bei Novéant ist überschritten; Gorze, das friedlich kleine Städtchen, liegt hinter uns.

„Gehorsamer Diener –“ lacht Lieutenant von Westenberg. Die ganze Kompagnie, ich mit, macht der ersten Granate, welche über unsere Köpfe hinwegfliegt, die schuldige Antrittsverbeugung.

Wir klettern in Weinbergen empor wie Ziegen. Brrrr – kaak – kaak – brrrrr. Schade, zwei Edelfasanen gehen hoch, da laufen die Jungen in der Furche entlang – bum, bum – zschzsch – kerrrr – rummm – puh – paff – Kanonen, Mitrailleusen, Gewehre und Pistolen – Signale – und – pink, pink, pink – dazwischen ein Finkenhahn im leisen Liebeslocken – und nun – „O mein Gott – mein Weib – mein Kind – – oh – oh – oh –“ der erste Todesseufzer dicht neben mir.

Grausiges, furchtbares, welterschütterndes Koncert, wenn Völker in Stahl und Eisen mit einander singen!

Nun wirbelt Staub, nun fegt der Eisenhagel um uns – nun – hei – halloh – juchheisa! – nun sind wir auf dem richtigen Tanzplatz angelangt; nun heißt’s, die Beine heben und die Köpfe behalten. Ha, wie das wirbelt, und wie sie stürzen, meine lieben, lieben Jungen! Kein Stöhnen, kein Seufzer wird gehört, die Schlachtenmelodien übertönen die Menschenlaute.

„Heda, Mackowski, links schwärmen – gegen das Häuschen dort!“

Maison des rats – heißt das verfluchte Ding – da spuckt der Franzmann Eisen.

„Nehmen – koste, was es kostet!“

„Zu Befehl, Herr –“

Mackowski salutirt mit dem Degen, überschlägt sich wie ein im vollen Laufe geschossenes Wild – und ist todt. – Die Kugel sitzt ihm im Herzen. – Der Fähnrich sieht es – und stößt einen leisen Schrei aus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_658.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)