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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

mit blitzenden Augen entgegensah. „Oder – oder meinst am End’, daß heut schon Fasnacht is?“

Da ließen sich rasche, trippelnde Schritte vom Flur herein vernehmen.

Lauschend hob die Dirne den Kopf; dann trat sie mit boshaftem Lächeln um ein paar Schritte zurück und sagte: „No schau – wann mir net glaubst – da kannst ja jetzt Dein’ Vater fragen, wie lang noch is – bis auf d’ Fastnacht.“

Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als sich die Thür öffnete und der Pointner in feinem Sonntagsstaat auf der Schwelle erschien.

Der Bauer schaute drein, als hätte er das Räuschlein vom vergangenen Abend noch nicht völlig ausgeschlafen. Als er den Burschen gewahrte, warf er die Arme in die Höhe und lachte gezwungen: „Ah, da schau – da bist ja noch! Ja g’rad freuen thut’s mich, daß ich Dich dengerst noch –“ Da stockte er mitten im Worte – Karli’s Aussehen mochte ihm wohl zu denken geben – und mit schiefen Augen, aus deren scheu verlegenen Blicken kein besonders gutes Gewissen sprach, betrachtete er die Beiden, die vor ihm in der Stube standen. „Ja was is denn?“ stotterte er, drückte mit zitternden Händen hinter sich die Thür zu und gab sich alle Mühe, ein lustig verwundertes Lächeln zu zeigen.

Karli stand, als hätte eine Lähmung seinen Körper befallen; nur die Arme konnte er strecken; aber die Zunge wollte ihm kaum gehorchen, als er dem verlegen Lächelnden mit tonlosen Worten zurief: „Vater – na, Vater, thu’ kein’ Schritt net weiter – kein’ Schritt net, eh mir net g’sagt hast, ob’s denn wahr is – ob’s denn wahr sein kann!“ Wie jäh hervorbrechendes Schluchzen klang dieses letzte Wort.

Da schien dem Pointner schwül zu werden. Er blies die Backen auf, nahm den Hut mit den schweren Goldtroddeln vom Kopfe und strich sich die Haare in die Stirn. Dann machte er einen Versuch, seinem Buben mit muthigem Blick in die Augen zu schauen. Aber es blieb beim Versuche; er schielte nur mit hilfloser Jammermiene zu Kuni hinüber und greinte: „Jetzt schau – jetzt hab’ ich Dich so viel ’bitt’ – und hast mir’s auch versprochen – und jetzt hast es ihm dengerst g’sagt!“

Kuni zuckte die Schultern und drehte ihm den Rücken zu.

Einen Augenblick war Todtenstille in der Stube, dann aber hallte ein dumpfer, gurgelnder Aufschrei von Karli’s verzerrten Lippen. Und unter diesem Aufschrei stürzte der Bursche mit erhobenen Armen auf den Vater zu und packte den erschrocken Lallenden mit beiden Fäusten an der Brust. „Vater – Vater!“ schrie er in zornerstickten Lauten auf ihn ein, während er ihn rüttelte und schüttelte, als hätte er einen Berauschten vor sich, den er gewaltsam zu nüchterner Besinnung bringen müßte.

Plötzlich fühlte er seine Arme niedergeschlagen und sich bei Seite geschleudert. Keuchend richtete er sich auf und sah, wie Kuni Hand in Hand mit seinem Vater stand, wie zum Schutze des Alten, dem unter Karli’s Fäusten Hören und Sehen vergangen schien. Und während der Pointner, Angst und Zorn in dem schlotternden Gesichte, unter schnaubenden Athemzügen und unverständlichem Stottern mit der zitternden Linken an seinem zerrauften Hemde nestelte, verrieth sich offene, ungeheuchelte Entrüstung in den funkelnden Augen der Dirne und wirklicher, ehrlicher Zorn in der bebenden Stimme, mit der sie den Burschen anfuhr: „Bist Du a Mensch von Fleisch und Blut – a Mensch – der Hand anlegt an sein’ leiblichen Vater!“

Karli stand regungslos und bleich bis in die Lippen. Nun schwellte ihm ein tiefer, stockender Seufzer die Brust und dicke Thränen füllten seine Augen.

„Ja – der liebe Herrgott soll’s an meiner Hand net strafen, was ich mit ihr verübt hab’ im gachen Zorn,“ so stotterte er vor sich hin. Dann wieder seufzte er und schaute mit traurigen Blicken auf den Vater. „Ob mir mein’ G’waltthat verzeihen kannst – ich weiß net und will Dich auch net fragen drum. Und ich will Dir auch net reden von der Mutter selig – und will Dir auch net reden von Deine Jahr’ und Dei’m guten Nam’ – und will Dir net reden von mir und daß ich Dich g’wiß in Ehren g’halten und gern g’habt hab’, und daß ich Alles ehnder um Dich verdient hätt’, als – als – ah na – von gar nix will ich reden, denn ich weiß ja, daß ich ’s Recht zum Reden mit meine hitzigen Händ’ verspielt hab’. Und im Uebrigen – Du bist der Herr im Haus – und mußt Dir selber sagen, was thust – und was thun willst!“

Karli schwieg; unter Thränen war ihm die Stimme erstickt. „Na – na, Karli – schau, laß mit Dir reden,“ stammelte der Pointner, dem der tiefe, unverhehlte Kummer des Burschen ins Herz zu greifen schien.

Karli aber hörte nicht auf die Worte des Vaters. Er wischte die Hände über die Backen und wandte sich gegen Kuni, die ihm mit finsteren Blicken in die nassen Augen sah. „Und Du – jetzt freilich – wie Alles steht – da hat’s jetzt freilich auch für mich den Anschein, wie wann’s ich ganz allein wär’, der sich ’täuscht hat. G’rad Einer hat die richtigen Augen g’habt – der Götz – der Götz da draußen! Der hat mir so ’was prophezeit am ersten Tag! Aber mag’s jetzt gehen, wie’s will – ich wünsch’ Dir auch nix Schlecht’s net an – und wünsch’ Dir a Leben, a langs – aber – aber wenn auch alt wirst und weiße Haar wann kriegst – daß ich Mutter sag’ zu Dir, das, Kuni, das wirst net erleben!“ Schluchzend ging er, indeß sich der Pointner unter greinendem Stottern die Haare kraute, auf das Fenster zu, in dessen Nische die Soldatenmütze lag. Da fielen seine Blicke auf eine verblaßte Photographie, die unter dünnem Goldrahmen an der Wand hing. „Geh’, Mutterl,“ weinte er mit leiser Stimme und drehte das Bild gegen die Wand, „dreh Dich um und mach’ Deine Augen zu – sonst könnt’st am End’ was sehen, wo Dir d’ Augen übergehn!“

Als er sich von der Wand wieder abkehrte, stand Kuni dicht vor ihm; sie hielt den Arm gestreckt, als hätte sie verhindern wollen, was Karli gethan.

„Ah so, mir scheint, das taugt Dir net, an was ich Dich jetzt g’rad g’mahnt hab’?“ fuhr er sie mit neu ausbrechender Bitterkeit an. „Hast ja selber a Mutter und an Vater g’habt – aber das kann ich Dir sagen: gar viel Ehr’ machst ihnen net! Freilich, sie werden Dich halt ’zogen haben darnach!“

Da ging in Kuni’s Zügen eine erschreckende Wandlung vor sich. „Karli, ich rath’ Dir’s im Guten,“ schrie sie mit einer Stimme, welche bebte vor wildem Zorn, „bring’ mein’ Mutter net in d’ Red’ – und den net, der mein Vater war!“

„Du bringst ja d’ Red’ von selber drauf! Man braucht g’rad merken, was Du für Eine bist, so kann man’s leicht errathen, was das für an Acker g’wesen sein muß, der Dich in d’ Höh’ ’bracht hat!“

In fahler Blässe erstarrte Kuni’s Gesicht. Einen Augenblick stand sie regungslos; dann stürzte sie auf Karli zu, und während sich der Pointner mit stammelndem Schelten vergebens zwischen die Beiden zu drängen suchte, krampfte sie die Hände um die eine Hand des Burschen, krümmte ihm in sinnloser Wuth die Finger und schrie und schluchzte: „Karli – die Red’ nimm z’ruck – ich rath’ Dir’s im Guten – die Red’ nimm z’ruck! Leicht könnt’ mich noch a Reu’ ankommen, daß ich mich ’neing’stellt hab’ zwischen Dein’ Vater und Dich – aber die Red’ nimm z’ruck – jetzt auf der Stell’ – oder ich müßt’ dran denken mein Leben lang – und vergelten müßt’ ich Dir’s in Haß, weil mir das Einzig’ verschandelt hast in Schimpf und Spott, was mir lieb’ is g’wesen, seit ich leb’! Die Red’ nimm z’ruck – und wann ich Dir d’ Finger brechen müßt’ – die Red’ nimm z’ruck!“

„Na – na – und net a Wörtl nimm ich z’ruck – kein einzigs Wörtl net!“ keuchte der Bursche in Schmerz und Zorn. Dann riß er sich gewaltsam los, stülpte schwerathmend die Mütze über das Haar und schritt zur Thür.

Nun aber schoß der Pointner auf ihn los, faßte ihn beim Arm und kreischte: „Ja Himmelsakra – jetzt wird’s mir aber z’ bunt; jetzt bleibst mir da und laßt in Güt’ und Frieden mit Dir reden!“

„Geh, Vater – geh! Du b’haltst Dir ja Dein’ Fried’ im Haus; der Unfried’ bin ja ich – und ich muß fort!“

Mit einem ungestümen Ruck befreite Karli seine Arme und war zur Thür draußen, noch ehe der Pointner ihn von Neuem haschen konnte.

„Karli – Karli – ja Kreuzsaxen – Karli – hörst denn net –“ zeterte der Alte und rannte hinter dem Burschen in den Flur hinaus. Unter der Hausthür aber blieb er stehen, blies kopfschüttelnd die Backen auf und wischte sich mit dem Aermel die nasse Stirn. Er mochte wohl unwillkürlich die Empfindung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_662.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)