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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


10 Uhr Abends. 
Besuch, wie ich dachte. Tante ließ mich herunterrufen, Frau von Gebsattel und ihr Stiefsohn, ein Officier. Onkel nennt sie Coeurdame, ich weiß nicht weßhalb.

Ich merkte, Tante war mit meinem Kompliment nicht zufrieden. Der Officier sprang auf, als ich eintrat. Tante sagte: „Keine Umstände, Herr von Gebsattel, meine Nichte ist noch nicht kourfähig.“

Aber er blieb stehen, bis ich mich dann auch gesetzt hatte. Es gefiel mir von ihm.

Frau von Gebsattel spricht leise und stößt beim Sprechen etwas an. Sie erinnert mich an eine Puppe, die Tante Katia uns einmal von Paris mitbrachte und die Mama in den Glasschrank setzte, weil sie zu schön zum Spielen sei. Ihre Kleider zeichnet ein Künstler apart für sie. Sie hat gekräuseltes, sehr feines blondes Haar und helle Augenbrauen, hellblaue Augen und einen Hals dünn und lang wie ein Licht.

„Ich hoffe“ – sagte sie zu mir – „daß Sie Ihre Tante nächsten Sonnabend zu unserm café dansant begleiten werden?“

„Lisa ist noch nicht ausgeführt und ihre Garderobe nicht ballmäßig.“

„Du vergißt wohl mein weißes Kleid, Tante,“ rief ich schnell (ich hatte solche Lust, auf eine Tanzgesellschaft mit wirklichen Herren mitgenommen zu werden!). „Du hast gesagt: darin könnte ich einen Ball mitmachen!“

Die Coeurdame lächelte: „Sie können es ja gar nicht übers Herz bringen, Ihre Nichte zu Hause zu lassen, meine liebe Frau Professor. Ich erwarte sie ganz bestimmt.“

„Wollen sehen, was Onkel dazu meint.“

Ich wäre beinahe gesprungen! Und in Fennern, wo es immer hieß: „das Kind!“

„Gnädig’ Fräulein, darf ich um den ersten Walzer bitten? Ich wäre unglücklich, wenn ich nicht … auf Ehre!“ sagte der Lieutenant.

„Mit dem größten Vergnügen!“ rief ich.

Er war ein wenig komisch, sobald er sich nach mir wandte, schob er schnell ein viereckiges kleines Glas ins Auge. Er fragte immer fort:

„Haben gnädig’ Fräulein eine gute Ueberfahrt gehabt?“

„Ja.“

„Haben gnädig’ Fräulein schon unser Theater besucht?“

„Nein.“

„Gefallen sich gnädig’ Fräulein in Dresden?“

„Ja.“

„Gnädig’ Fräulein waren doch sicher gestern in der Blumenausstellung?“

„Nein.“

Tante hatte wieder Alles gehört. Ich weiß nicht, wie sie es anstellt, daß sie immer sieht und hört, was ich thue, auch wenn sie mit etwas Anderem beschäftigt scheint.

„Du bist noch ein rechter Stockfisch, Elisabeth,“ sagte sie; „der arme junge Mann hat sich so viel Mühe gegeben, Dich zu unterhalten, aber es war ja nichts aus Dir herauszubringen!“

Sonntag, den 16. 
Briefe aus Fennern. Natti schreibt: „Sultan hat melancholische Augen und hat die ersten Tage, nachdem Du abgereist warst, nicht ordentlich gefressen. Er sucht Dich im ganzen Hause, kratzt mit der Pfote an Deiner Thür und heult.“ …

Armer Sultan! Aber Dresden ist sehr neu, und ich werde einen wirklichen Ball mitmachen – hurrah! Da mußt Du Dich schon ein Bischen noch gedulden, ehe ich zurückkomme!

Mit Tante um elf Uhr in der katholischen Musikmesse gewesen. Man geht hier Sonntags in die große katholische Kirche, die neben dem Schloß und Theater steht, wie man Sonnabends in die große protestantische Kreuzkirche geht, nur um Musik zu hören. Ich mußte an das jüngste Gericht denken, wie Herr Pastor Stachelmann uns beschrieben hat, daß es sein wird. Tante glaubt freilich, es würde anders dabei zugehen. Onkel erst – ich schreibe gar nicht her, was der gesagt hat! Und er hat es noch dazu schon gemalt! Die Frauen dürfen in der katholischen Kirche nämlich nicht neben ihren Männern stehn. Sie müssen auf die rechte, die Männer auf die linke Seite treten. Nun – ist das nicht gerade wie die Schafe und Böcke oder auch wie Gute und Böde?

Den 17. 
Ach – ich bin so unglücklich! Ich wollte, ich wäre wieder in Fennern und säße allein auf meiner Stube oder ginge mit Sultan spazieren. Ich will nicht mehr unter Menschen gehen – nie mehr, wenn ich es ihnen doch nicht recht mache!

Gestern und heute mit Tante Besuche gemacht. Sie war mit mir unzufrieden, eben hat sie mir eine Strafpredigt gehalten:

„Ich bitte Dich, Lisa – denke doch immer erst nach, ehe Du etwas sagst! Von einem Mädchen, das beinahe siebzehn Jahre alt ist und dabei so groß wie Du (also wenn ich klein wäre, da dürfte ich schon eher einfältig sein ?), erwarten die Leute doch schon eine gewisse Bildung! Du aber – wie neulich schon mit Herrn von Gebsattel – verstehst nicht, auf ein einziges Gespräch einzugehen. Ich weiß, Du bist nicht dumm, aber die Leute müssen Dich am Ende dafür halten, wenn Du nie eine Antwort in Bereitschaft hast.“

„Aber, Tante,“ sprach ich, „wie kann der Mensch denn eine Antwort bereit halten, wenn er nicht weiß, was man ihn fragen wird?“

„Siehst Du, Kind, es giebt einen Fonds allgemeiner Bildung, den mußt Du Dir aneignen; denn mit dessen Hilfe allein wirst Du dann über jedes beliebige Thema etwas zu sagen haben. Jetzt höre ich Dich immer nur: ja, oder: nein, höchstens einmal: ich weiß nicht, antworten.“

O mein Gott, wie ist das Leben doch so schwer! … Warum ich nur immer etwas zu sagen, vielmehr zu schreiben weiß, wenn ich ganz allein mit meiner Feder bin? Es ist gut, daß sie keinen Lärm macht, wie Natti’s Singen, oder schlecht riecht, wie Juliens Farben, denn seit ich mit Tante die schrecklichen Besuche gemacht habe, ist sie gar nicht gut auf mich zu sprechen und nähme mir vielleicht die Feder weg:

„Du kannst Deine Zeit besser anwenden, Kopfarbeit taugt nicht für Dich, dazu muß man Cäciliens Anlage haben,“ würde sie sagen.

Den 18. früh. 
Eben als ich Sophie beim Plätten helfen wollte, meinte Tante:

„Bis zum café dansant darfst Du Dich noch ausruhen, dann sollst Du mir aber in der Wirthschaft helfen. Die Königin von England hat bei ihren Töchtern auch darauf gehalten, daß sie in häuslichen Arbeiten unterrichtet wurden, und Cäcilie versteht sich ebenfalls darauf.“

Das ist mir ganz recht. Ich werde Onkel Klümpen machen und Palten mit Ofengrütze; er liebt so herzhafte Gerichte. Da wird Tante ja sehen, daß ich auch etwas kann!

Nachts halb zwölf Uhr. 
Was für eine herrliche Nacht! Wie duftet’s so süß nach dem blühenden Flieder – und das Rauschen der Elbe – klingt’s nicht wie ein Lied? Ich bin nicht müde, ich mag noch nicht zu Bett gehen …

Wir waren in einem großen Wohlthätigkeitskoncert im Theater, Onkel, Tante und ich. Onkel hatte keine Lust, mitzugehen. Wenn er fleißig gemalt hat, sitzt er gern in seinem bequemen Malkittel auf dem Balkon und raucht seine Pfeife. Da denkt er sich wahrscheinlich seine schönen Bilder aus. Tante aber findet, es macht sich besser, wenn wir mit einem Herrn in die Loge treten, und da sagte sie:

„Karl – Du hast Dich in den Tagen überangestrengt; es muß Dir ja Bedürfniß sein, Dich bei der Musik zu erholen.“

Er zuckt die Achseln und schweigt.

„Der Künstler“ – fährt Tante fort – „muß sich bei solchen Gelegenheiten dem Publikum auch zeigen, es vergißt ihn sonst.“

„Wenn der Künstler Nichts hat, als seinen schwarzen Anzug, um sich dem Publikum ins Gedächtniß zu rufen, geschieht’s ihm ganz recht.“

Ich dachte: warum sagt Tante lieber nicht gleich: „Ich gehe nicht gern ohne Dich ins Theater,“ denn das ist doch der Grund.

„Du wirst immer menschenscheuer, Karl – nächstens wirst Du wieder Deine Leberschmerzen haben, wenn Du nur zu Hause sitzst und grübelst!“

Er thut, als höre er nichts.

Da gehe ich auf ihn zu und rüttle ihn ein Bischen an der Schulter: „Weil wir kein Plaisir ohne Dich haben, sollst Du mit, alter Onkel, hörst Du das?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_670.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)