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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

beschäftigt. Aber Dir fehlt es eben noch an dem richtigen Takt. Nun – wie gefällt er Dir?“

„O – er tanzt nicht besonders.“

„Darauf kommt es gar nicht an. Ich meine sein Wesen – seine ganze Erscheinung?“

„Er hat so wenig Haare, und wenn er lacht …“

„Du bist ein läppisches Ding – es sind die edlen Eigenschaften, die Güte des Herzens, auf die es bei einem Manne ankommt,“ unterbrach sie mich, „ich bitte Dich dringend, sei nicht abstoßend gegen ihn, Du könntest es später bereuen!“

Hier erlöste mich die alte Gräfin. Sie hatte durch Zeichen mit ihrem Neffen gesprochen und kam jetzt auf uns zu.

„Mais c’est le coup de foudre!“ rief sie Tante schon aus einiger Entfernung zu. „absolument le coup de foudre! Alfred ist noch ganz unter dem Charme!“

Tante hielt es nach dieser Eröffnung doch für besser, mich fortzuschicken und mit der Gräfin in ein Nebenzimmer zu gehen.

Ich weiß aber recht gut, was mit dem coup de foudre gemeint ist. Ich habe Herrn von Trauermantel sehr, sehr gut gefallen, das hat es zu bedeuten! Ach – wenn Herr Heinrich es nur gehört hätte! Natti hat Julie einmal Nachts erzählt – (sie dachte, ich schliefe! Ich habe oft nicht geschlafen, wenn sie so schwatzten!) –: Dimitri hat sich im Anfang nur für mich interessirt wie für eine nette Ballbekanntschaft. Erst als Fedor Kosnichef sich um mich zu bewerben anfing, da ist er so desperat verliebt geworden.

Ich möchte wissen, ob das ein Mittel wäre … Mein Gott, was schreibe ich da! … Aber vor sich selbst braucht man doch kein Geheimniß zu haben? – Nein, ich kann’s nicht niederschreiben – es geht nicht. Wenn ich plötzlich stürbe und man entdeckte das Buch, ich würde noch im Himmel roth vor Scham.

Ach – ich wollte, ich wäre reich, sehr reich – so reich wie diese Gebsattel’s. Dann ließe ich mir auch ein Observatorium bauen und meine Ferngläser von einem ausgezeichneten jungen Astronomen besorgen. Und Nachts nähme ich auch Stunden bei ihm, wie man die Sterne entdeckt. Ich wollte so aufmerksam sein, er sollte keine Noth mit mir haben. Freilich – mit Jedem möchte ich nicht so allein unter freiem Himmel lernen, es müßte schon Einer sein, der mir großes Vertrauen einflößt!

Onkel habe ich den ganzen Abend über nicht viel gesehen. Einmal merkte ich, daß Herr von Trauermantel sich ihm näherte, aber mir schien’s, der kam ihm nicht gelegen. Er nahm da gleich Herrn Heinrich unter den Arm und verließ mit ihm den Ballsaal.

Als wir vor der Thür auf den Wagen warteten, war Herr Heinrich auch neben uns. Ich hörte Folgendes:

Onkel sagte: „Wie sonderbar Du aussiehst, Heinz, was ist Dir denn begegnet?“

Herr Heinrich sprach:

„Das Glück ist mir begegnet, aber ich weiß nicht, ob ich’s festhalten darf …“

„Greif zu, mein Junge,“ rief Onkel, „es kommt nicht oft; ein Thor, der sich’s entgehen läßt!“

Da sah Herr Heinrich mich an, ganz lange und räthselhaft. Ich wurde feuerroth, aber weil’s schon dunkel war, so hatte Tante es nicht bemerkt.

O mein Gott, gieb, daß er seine Kousine Bertha nicht auch so ansieht … es ist mir, als ob ich gleich laut schluchzen müßte, wenn …

Himmel – Tante! – fort mit der Schreiberei!

Später. 
Sie hatte ganz leise angeklopft, falls ich noch schliefe; sie ist so gut, und ich komme mir manchmal recht schlimm vor, daß ich ihr nicht Alles sage. Als ob das möglich wäre! Ich könnte nicht einmal Mama alle meine Gedanken sagen, höchstens meiner herzallerliebsten Lenotschka!

„Liebes Kind,“ fing Tante an, „die paar Stunden ruhiger Schlaf haben Dir außerordentlich gut gethan. Man merkt gar nicht, daß Du so spät zu Bette gingst.“

Und ich, die ich kein Auge zugethan!

„Ich bin sehr munter, Tante,“ sagte ich.

„Es ist mir lieb. Ich habe der Gräfin Nolimé einen Besuch für heute Nachmittag versprochen und möchte, daß Du Dich zu Deinem Vortheil präsentirtest.“

„Herr Heinrich kommt ja heute Nachmittag …“

„Beschäftige Dich doch nicht mit Besuchen, die Onkel angehen. Was wirst Du anziehen?“

„Mein blaues Kleid?“

„Die Farbe ist etwas fade. Was hast Du sonst?“

„Das Kleid mit den kleinen Vergißmeinnichtbouquettchen mit rosa seidener Taille …“

„Hm – wirf es einmal über.“

Ich fuhr so schnell wie möglich hinein.

„Aber, Kind – diese Aermel sind geradezu unmöglich! Jetzt, wo man Alles anschließend trägt! Du siehst aus wie ein altes Bild.“

„Man muß sich doch bewegen können!“

Aber sie hörte gar nicht auf mich.

„Ich werde mit Pauline sprechen“ sagte sie, „die wohnt in der Nähe und macht vielleicht die kleine Aenderung, obwohl es Sonntag ist. Die Taille könnte man durch ein Plissé von Spitzen verbessern. Hast Du ein Bouquett für die Schulter oder eine zupassende Schleife?“

„Nein!“

„Du solltest wirklich anfangen, Dich selbst etwas mit solchen Dingen zu beschäftigen.“

„Tante, als ich Dir neulich von dem rosa Krêpehütchen der Prinzeß Olga vorschwärmte, hast Du gesagt: nur oberflächliche Naturen beschäftigen sich mit solchen Dingen.“

„Du wendest doch Alles falsch an. Es giebt Ausnahmen, wo es sogar geboten ist, eine gewisse Sorgfalt auf den Anzug zu verwenden.“

„Warum?“

„Weil Männer sich ebenfalls mit solchen Dingen beschäftigen und schnell herausfinden, ob ein Mädchen Geschmack hat oder nicht. Es ist ihnen nicht zu verdenken, wenn sie nur solche gern am Arme führen, die guten Geschmack verrathen.“

„Mich führt ja Niemand am Arm.“

„Ich setze den Fall, es fände sich Jemand dazu – das wär’ gar nicht übel.“

„Denkst Du an Heirathen, Tante? Ich habe keine Lust. Und nach Natti kommt erst Julie. Papa spricht: bei meinen Mädchen muß es nach der Reihe gehen!“

„Liebes Kind, wie die Verhältnisse bei Euch liegen, darfst Du nicht sagen: ich habe keine Lust, oder: ich will warten, bis mir Jemand gefällt. Wenn ich eine leidliche – vielleicht sogar eine glänzende Partie für Dich fände, kannst Du dem lieben Gott danken, daß er’s gut mit Dir meint.“

Sollte Tante wirklich die Absicht haben, mich zu verheirathen? Während ich das schreibe, ist mir ganz beklommen. Ich werde zu Pfingsten ja erst Siebzehn! Wenn sie nur nicht auch denkt, Schwestern müssen sich unter einander aushelfen – ich hatte nur eine Tochter, die ist untergebracht, Malwine (das ist Mama) hat drei, da muß ich eine übernehmen!

Als die Schneiderin mein Kleid änderte – Tante und ich halfen – fuhr ein Wagen vor.

„Herr von Trauermantel!“ rief die Tante, die am Fenster saß; sie sah ganz verklärt aus. „Geh’, Lisi, empfang’ ihn im Salon; ich will nur meine gute Brosche vorstecken.“

Er schien mir etwas gelber und etwas angegriffener als am Tage zuvor, aber gerade so gut gelaunt.

„Ich frage nicht erst, ob Gnädige gut geschlafen haben,“ rief er mir entgegen, „denn das sieht man Ihnen an. Wahrscheinlich haben Sie auch lange geschlafen – gestehen Sie, daß Sie eben erst aufgestanden sind?“

„Ich bin seit vier Uhr auf.“

„Gnädige scherzen …“

„Ich sehe die Sonne gern, wenn sie sonst noch Niemand sieht.“

„Was sagen Sie da, daß ich sie manchmal wochenlang gar nicht gesehen habe?“

„Litten Sie an den Augen?“

„O nein. Ich war damals in Paris.“

„Dort scheint sie doch gerade wie hier.“

„Immer naiv! Ich stand damals um fünf Uhr Nachmittags auf und ging früh sieben Uhr zu Bett. Ach – die glückliche Jugend, die noch unbeschadet mit der Sonne aufsteht!“

„Ja, es muß unangenehm sein, alt zu werden und es nicht mehr zu können!“ rief ich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_694.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)