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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Bist Du denn noch nicht müde?“ rief Tante, „jetzt giebt’s draußen doch nichts zu betrachten.“

„Wie deutlich man die Musik vom Schillerschlößchen bei Euch hört – eben spielen sie den „Tannhäuser“-Marsch …“ sagte ich, als hätte ich nur deßhalb den Kopf hinausgesteckt. Wie ich schon anfange, mich zu verstellen!

Den 26.  
Eben aufgestanden. Sehr unruhige Nacht. Bis drei Uhr alle Stunden schlagen hören. Abwechselnd glücklich und unglücklich – manchmal gewünscht zu sterben. Das Leben ist sehr schwer. – Heut früh wieder etwas mehr Lebensmuth. Es kann ja noch Alles gut werden!

Später.  
Tante sehr liebevoll beim Frühstück; nannte mich: Lisi und: geliebtes Herz.

Lisi bedeutet: ich bin sehr mit Dir zufrieden. Lisa: nicht gut, nicht böse. Elisabeth – darauf folgt meist ein Donnerwetter.

„Du siehst ein Bischen blaß aus, Herzenskind – es fehlt Dir doch nichts?“ fängt sie an, sobald Onkel ins Atelier gegangen ist.

„Mir? O nein ich bin sehr wohl.“

Ich wurde dabei roth, sie schien das natürlich zu finden, es hängt ja mit dem coup de foudre für sie zusammen.

„Ich begreife, daß Du aufgeregt bist, meine Lisi. Es kann Dir ja nicht verborgen bleiben, was Dir bevorsteht … jede hat da etwas Aufregung durchzumachen, aber daran stirbt man nicht – im Gegentheil! Ja – geliebtes Kind – ein großes Glück scheint Dich zu erwarten!“

(Jetzt kommt das Gespräch während der Baisertorte! dachte ich, aber ich ließ mir nichts merken.)

„Hat Mama geschrieben, daß sie mich von Dresden abholen will?“ fragte ich.

„Du weißt recht gut, daß es sich um etwas Anderes handelt, schlimmes Kind!“ rief Tante und drohte mir mit dem Finger. „Es kann Dir ja nicht entgangen sein, daß Du das Herz eines seltenen Mannes gewonnen hast, der, obwohl ihm ganz andere Frauen zu Füßen liegen, nur an die kleine, unbedeutende Lisi denkt!“

Ich schwieg. Was sollte ich auch sagen!

„Es ist eine wichtige Sache, von der das Glück Deines ganzen Lebens abhängt, über die wir jetzt gemeinschaftlich berathen wollen – nimm Dir das zu Herzen!“

Im Augenblick, wo Tante die Miene annimmt, die sie für solche Predigten in Bereitschaft hat, wird sie mir immer ein Bischen komisch, es ist wie ein Verhängniß. Ich sah zu Boden, meine Lippen bebten etwas.

„Herr von Trauermantel-Papier – Du weißt, daß ich von ihm rede? …“

„Ja, Tante.“

„… hat sich durch die ganze Art und Weise, wie er in dieser Angelegenheit auftritt, meine höchste Achtung erworben. Er ist ein Ehrenmann, und Du kannst volles Vertrauen zu ihm haben – das ist das Wichtigste. Denn Du weißt, die Frau muß dem Mann unterthan sein!“

„Aber, Tante, Du bist Onkel doch auch nicht unterthan, im Gegentheil …“

„Elisabeth!“ unterbrach sie mich mit erregter Stimme. „Es gehört eine Engelsgeduld dazu, um bei Deinen Bemerkungen ruhig zu bleiben. Wie kannst Du Dir ein Urtheil in solchen Sachen erlauben! Man muß Dir zu Gute halten, daß Du nicht überlegst, was Du sprichst.“

„Was sagt denn Onkel dazu?“ fragte ich etwas kleinlaut.

„Ich habe mit ihm noch nicht darüber gesprochen. Er ist durch sein großes Bild jetzt sehr in Anspruch genommen. Man muß Künstlern von solchen Dingen erst dann reden, wenn man selbst ganz klar darüber geworden ist, man stört sie sonst nur in ihren Arbeiten. Onkel wird natürlich ganz mit mir übereinstimmen.“

Darüber hatte ich meine Zweifel.

„Herrn von Trauermantel,“ fuhr Tante fort, „geht häusliches Glück über jedes andere. Das ist bei seinem großen Vermögen, das ihm jeden Genuß erleichtert, sehr anzuerkennen! Solider Reichthum! Denke, daß er vorige Woche auf der Blumenausstellung hundert Mark für eine Theerose bezahlt hat!“

„Hat er Rosen so gerne“

„Wie schwer Du begreifst! Das beweist doch, daß er hundert Mark mir nichts, dir nichts wegwerfen kann – aus Wohlthätigkeit. Ein edles Herz; dabei hübsche Kenntnisse – viel für sich studirt …“

„Ja – in Paris, die Nächte.“

„Vorlautes Ding – was fällt Dir ein!“

„Aber, Tante, er hat mir gestern doch selbst gesagt, daß er in Paris manchmal wochenlang die Sonne nicht gesehen hat.“

Sie blickte mich scharf an: „Heilige Unschuld!“ sprach sie dann wie zu sich selbst und schüttelte den Kopf.

Nach einer kleinen Weile ging’s in ihrem Texte weiter: „Du bist fürs Landleben doch gerade wie geschaffen, Lisi! Wie Dir als Herrin auf einem schönen Rittergute wohl zu Muthe wäre! – he? Herr von Trauerwantel besitzt ein’s in der Nähe von Altenburg, es heißt Knollern. Ein großes Vermögen ist heute eine wichtige Sache, die man nicht unterschätzen darf. Versprich mir, Dich wenigstens jetzt noch nicht wider ihn zu entscheiden. Er will Dir Zeit geben, Dich zu sammeln; Du sollst ihn in den nächsten vierzehn Tagen manchmal sehen, und er hofft – ja er ist überzeugt, daß er Deine Liebe bei näherer Bekanntschaft gewinnen wird. Gestehe, daß kein Grund gegen ihn vorliegt!“

Die Verzweiflung ließ mich einen finden.

„Wenn einmal Krieg zwischen Rußland und Deutschland ausbricht und mein Mann marschirte gegen Papa – o, ich ertrüg’ es nicht – ich stürbe eher!“

Hier brach ich in Schluchzen aus, mir war gar so weh zu Muthe.

„Beruhige Dich, Lisi, beruhige Dich! Ich habe Dich noch nie so patriotisch gesehen – wie bist Du es nur mit einem Male so sehr geworden? Es ist immer ein schöner Zug – aber bedenke nur, daß Deine Mama auch eine Deutsche ist. Dein Papa ist ein Ostseebaron, also ebenfalls aus unserem Stamme, obwohl ein russischer Unterthan.“

„Aber mein Mann, der gegen Papa in den Krieg zöge – o mein Gott!“

„Es ist mir lieb, Herzenskind, daß Da Gefühl zeigst und diese Dinge ernst nimmst. Hier ist aber wirklich kein Grund zu solchem Jammer. Deine Vernunft wird Dir das selbst sagen, sobald Du Dich gefaßt. So – wir wollen die Sache für den Augenblick fallen lassen; Deine Augen sind schon ganz roth (sie küßte mich)! Sei jetzt meine gute, verständige Lisi und gehe ein paar Mal im Garten auf und ab, es wird Dir gut thun. Vergiß nicht, Deinen großen Strohhut aufzusetzen und lange Handschuhe anzuziehen, daß Dein Teint nicht leidet. Nach dem Regen brennt die Sonne.“

Ich war froh, ins Freie zu kommen, es athmet sich gleich leichter. Ich lief an den Beeten hin und her. Wie die Rosen so schön blühten und dufteten! Ich kann ein Dutzend brechen und das kostet nicht gleich hundert Mark –

Da kommt auf einmal Onkel mir entgegen. Er schwenkt einen Brief und sieht sehr lustig aus.

„Heda. Lisi – heut’ Abend giebt’s Maibowle, rathe weßhalb!“

Dabei ist er vor mich hingetreten und hat mir das Kinn in die Höhe gehoben.

„Ums Himmelswillen, Kind, was ist Dir? Hast Du Heimweh?“

„Nein!“

„Aber wie Du aussiehst … Thränenspuren!“

Er zog mich an sich … da – ja, ich war schwach, ich fing zum zweiten Male zu weinen an. Er küßte mich.

„Und willst Deinem alten Onkel nicht einmal sagen, was Dich quält?“

„Ach – ich darf nicht …“ war Alles, was ich hervorbrachte.

„Du darfst nicht? –- Das wollen wir doch sehen! Hat Dich Jemand gekränkt?“

Weinend erwiederte ich: „Nein!“

„Laß mich ’mal rathen – guck’ mich an. Tante thut recht geheimnißvoll … da ist ein alter Junggeselle mit sehr rothen Backen und einem Schmetterlingsnamen – wie, Lisi, ist Er der Verbrecher?“

Unter Thränen mußte ich lachen.

Er will!“ fuhr Onkel fort, „sehr begreiflich. Sie will nicht – eben so begreiflich. Unser Schatz muß schöner sein, wie, Lisi?“

„Ach – Onkel!“

„Tröste Dich – er behagt mir auch nicht!“

„Aber, Onkel – ich habe nichts gesagt!“ Dabei klammerte ich mich an seinen Arm. Es fielen mir gleich zwölf Centnersteine von der Seele, da ich ihn auf meiner Seite hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_711.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)