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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Schon gut, schon gut! Nur gräme Dich nicht! Wir lassen diesen Schmetterling laufen – oder fliegen, wenn’s ihm lieber ist. Mag er sich doch mit einer Andern in Knollern einspinnen – mit der Klavierprinzessin, wenn sie mag! – Jetzt freue Dich aber mit mir. Mein Heinz hat einen Ruf als Professor nach Zürich … Um Gotteswillen, was ist denn da schon wieder los? …“

Ja – ich muß leichenblaß geworden sein, meine Zähne schlugen gegen einander, ich konnt’s nicht hindern.

Er blickte mich mit seinen ernsten Maleraugen an; ich fühlte das, obgleich ich zu Boden sah. Dann schlug er sich vor den Kopf. „Ich alter Einfaltspinsel!“ rief er, „nun wird mir Manches klar!“

„Onkel – sei barmherzig!“

„Still, Liebling, still,“ und er drückte mir die Hand; dann streichelte er mich und quälte mich nicht mit Fragen. Ach – er ist ein Prachtonkel, in Gold zu fassen. Wie er immer gleich herausfühlt, was Einem wohl thut! Nachdem wir eine Weile – er den Arm um mich geschlungen – so schweigend neben einander gegangen sind, hält er mir den Brief von Herrn Heinrich hin.

„Da – lies einmal das …“

Ich las:

  „Mein bester Freund und Berather!
Die Nachricht, von der ich Dir neulich sprach, ist eingetroffen – ich habe den Ruf nach Zürich erhalten. Es ist kein Peru, was man mir verspricht, Zürich ist ja auch nur Durchgangsstation. Vor Allem – es ist ein Anfang! Du wirst errathen, was mir diesen Anfang jetzt so werthvoll macht … Es handelt sich nun darum, ob ich als ein Glücklicher dahin abgehen darf, oder – aber Du wirst ja wissen, was ich meine – hier, wie überall, ist Deine Güte mir entgegengekommen …“

„Na – da sieh einmal, wie man zu unverdientem Lobe kommt!“ murmelte Onkel und lachte, aber nur ganz leise.

„Sobald ich die nothwendigen Briefe expedirt und Mama mich losläßt, bin ich bei Euch …“

Ich gab den Brief zurück – reden konnt’ ich nicht, die Kehle war mir wie zugeschnürt. Einen Augenblick nur war ich selig – dann packte mich ein furchtbarer Zweifel: wenn er die Kousine Bertha meint!

Es war, als ob Onkel meine Gedanken erriethe:

„Gelt – mein Kanaer, der kann Einem schon in die Augen stechen …“

„Sprich nicht weiter – wenn Du Dich täuschtest, es wäre entsetzlich – ich müßte unter die Erde sinken!“

„Quäle Dich doch nicht – ich will ja nichts wissen! … Denkst Du, Dein alter Onkel würde Dich verrathen? Es bleibt Alles unter uns, und wir Beide stehen zu einander!“

Ich lief in meine Stube zurück und schloß mich ab, mir war, als müßt’ ich mich vor aller Welt verstecken – ich war wie erstarrt.

O mein Gott – was ist das in mir! Ist das Liebe – solch eine Liebe, wie Natti sie für Dimitri fühlt? Lieb’ ich denn Herrn Heinrich? Und da fiel mir ein, daß Natti sagte: wenn ich Dimitri verlöre, wollte ich nicht weiter leben … Und Herr Heinrich gehört mir nicht einmal! Da wurde mir sehr beklommen und ich konnte mich nicht trösten. Es war, als wäre ich mit einem Male eine ganz andere Lisa geworden.

Später.  
Bei Tisch war Tante sehr gesprächig, damit Onkel mein verstörtes Wesen nicht bemerkte. Sie glaubte gewiß, ich stellte mir nur immer den Trauermantel vor, wie er als Feind mit der Flinte auf Papa zielt.

Und Onkel wieder war auch sehr gesprächig, damit Tante mein verstörtes Wesen nicht bemerkte! Er erzählte allerlei Malgeschichten. Wegen der Bowle, das hatte er vorher schon mit ihr abgemacht. Sie scheint froh, daß er morgen geht! Ach – wie wird dieser Tag enden, davon hängt all mein Glück ab! Man kann nur einmal lieben – es ist für die Ewigkeit, und wenn sie Millionen Jahre dauerte … Da hab’ ich’s niedergeschrieben – es thut nichts. Heute Abend bin ich entweder glücklich, oder ich sterbe aus Gram – vorher verbrenne ich dann das Buch noch …

Nachts.  
Wie soll ich Alles niederschreiben! Nein – das Buch wird nicht verbrannt!

Onkel holte mich nach Tisch hinunter, ich wußte weßhalb.

„Willst Du mir nicht ein wenig behilflich sein, liebes Kind, meine Renaissancefiguren abzuputzen?“ sagte er vor Tante, „der Staub hat sich arg hineingesetzt.“

„Ach – endlich kommst Du auch darauf Karl, daß Schmutz kein Konservationsmittel für Kunstwerke ist!“ rief sie ihm zu.

Wie so ein großer Künstler doch Alles herausfindet, was man tief im Herzen fühlt, ohne daß man’s ihm sagt! Es war gerade, als ob er wüßte, daß ich vor Unruhe fast verging, und daß eine Beschäftigung neben ihm wie Balsam für mich sein würde.

So putzte ich an einer lebensgroßen Holzfigur herum, während er, ohne zu reden, an seiner Staffelei saß. Ich wollte meine Gedanken sammeln – es ging nicht. Es war, als ob mein Herz den Takt dazu schlüge, bald heftiger, bald ruhiger – manchmal schien’s still zu stehen.

Plötzlich geht die Thorklingel; bald daraus höre ich Herrn Heinrich’s Schritt – ich kenn’ ihn längst. Onkel ihm entgegen – sie sprechen vor der Thür.

O mein Gott, sei barmherzig! O mein Gott, verlaß mich nicht! sag’ ich in einem fort vor mich hin, und dabei putze ich doch so eifrig an der Figur herum, als ob’s in der Welt weiter nichts für mich gäbe. Ich knieete auf der Erde, denn ich war gerade an den Füßen, da trat er herein – ohne Onkel. Er kommt auf mich zu und steht eine kleine Weile neben mir, ohne zu sprechen – und ich putzte nur immer weiter …

„Fräulein …“

Ich wende mich um – er reicht mir die Hand entgegen … ich sehe zwei große feuchte Augen auf mich gerichtet – die Augen kommen mir näher und näher, es ist, als ob eine unsichtbare Gewalt mich ihnen entgegenzöge … Alle Zweifel verschwinden, alle Qual … ich fühle mich so leicht, als ob ich Flügel hätte.

*  *  *

Auf einmal steht Onkel hinter uns – wie ich das uns nur so ruhig niederschreiben kann!

„Meine Kanaer!“ ruft er. Die Stimme klingt nicht recht fest, er läßt’s nicht gern merken, wenn er gerührt ist – „Meine Kanaer – ei, was treibt Ihr für Geschichten! … Tante, die wird aber Augen machen!“

„Rufe sie gleich, Onkel,“ sagte er, „ich kann jetzt Alles aushalten!“

„Was Du für Eile hast, Heinz, Deinen hübschen Schatz der Welt zu zeigen! Wart’, wir müssen die Sache erst in Scene setzen!“

Und dabei placirt er uns gerade, wie wir auf seinem Bilde neben einander sind, wirft uns auch die Draperien über. Drauf schreit er an der Thür sehr laut:

„Therese – schnell, Therese!“

Und wie sie, außer Athem vom Laufen, denn sie konnte sicher nicht begreifen, warum er solche Eile hätte, hereintritt, da weist er mit dem Malstock auf uns hin:

„Sieh einmal die Kraft der Wunder! Das alte Wunder hat ein neues bewirkt …“ weiter kam er nicht, Herr Heinrich zog mich an sich.

„Was für ein dummer Scherz!“ ruft sie ärgerlich, „Du weißt doch, Karl, daß Herr von Trauermantel ernste Absichten auf Lisi hat!“

„Der Schmetterling?“ jetzt lacht Onkel, „daß er Geschmack an dieser Blume findet, wollen wir ihm nicht übelnehmen – he, Heinz? Aber solche Blumen sind für solche Schmetterlinge auch nur zum Bewundern da!“

Tante aber schien da ernsthaft böse.

„Es ist eine alte Geschichte,“ schalt sie, „daß Künstler und Sterngucker keine praktischen Leute sind. Die Augen immer nach oben gerichtet, kommen sie leicht zu Falle, wo vernünftige Leute den Weg zu einem ruhigen Glücke finden. Oder denkst Du, ich habe das Glück meiner Nichte nicht im Auge gehabt? Sie hat kein Vermögen, Heinrich hat keins! … Es ist, als ob Du ganz vergessen hättest, was ein Hausstand in unseren Tagen kostet!“

Da war es wohl an mir zu sprechen. Ich faßte mir ein Herz, obgleich die Worte nicht recht gehorchen wollten.

„Tante … die Klümpen haben ihm neulich sehr gut geschmeckt … Ofengrütze und Palten kann ich auch machen … das sind Alles … billige Gerichte … und ich bin so jung … ich kann so viel noch lernen … wie man eine Wirthschaft … sparsam einrichtet …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_712.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)