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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

zum Trödelwerk gehörte und zwischen Porcellanfigürchen aufzustellen gewesen wäre. Außerdem saß ein Livreebedienter wartend im Vorgemach.

Auf die Frage der Köchin nach seinem Begehr wollte Perser einfach weiterschreiten, wie man in einen Verkaufsladen sich begiebt. Allein die Köchin gestattete ihm dies nicht: sie verlangte, seinen Namen zu wissen. Er zog seine Visitenkarte. Der Bursche nahm sie und verschwand.

Perser ging ungeduldig hin und her, nachdem die Köchin die Lampe auf einen Tisch gestellt und sich entfernt hatte. Wieder war es ein Gemisch von Stolz und Demuth, was sich der Seele des Barons bemächtigte; wie schon kurz vorher bei der Hausmannsfrau, als er seines Ranges gedacht, drückte sich ein hochfahrendes Selbstbewußtsein in seinen Zügen aus und machte bald wieder einer tiefen Niedergeschlagenheit Platz.

Der kleine Junge kehrte mit der Meldung zurück, der Herr Baron müsse eine halbe Stunde warten oder ein anderes Mal kommen. Es entsprach dem Gefühle der Demuth, welches ihn überkommen hatte, daß Perser sich zum Warten entschloß. Kaum gönnte er dem seltsamen Umstand, daß hier die Form der Meldung wie bei einer angesehenen Herrschaft zu walten schien, während es sich doch nur um den Eintritt bei einem alten Ladenbesitzer handelte, einen flüchtigen Gedanken. Der schwere Druck der Nothwendigkeit nahm seine Seele ein und führte seine Vorstellungen, ohne daß er es wollte, auf die Thatsachen zurück, die er in diesem Hause erlebt und die ihn vor fünfundzwanzig Jahren daraus vertrieben hatten.

Mit dem eigentlich interessanten Mittelpunkt der Familie von Tartarow, mit Johanna, hatte er nur in geringem, ganz äußerlichem Verkehr gestanden. War er doch damals in der Lage gewesen, das einzige Erlebniß, welches ihn jemals zur Thatkraft und Leidenschaft aufgeregt hatte, mit ganzer Kraft der Seele festzuhalten: die so früh gescheiterte Beziehung zu Miß Isabel Glowerstone, jetzt ein längst verschmerzter Verlust, damals die Hoffnung auf ein ganzes, volles Lebensglück. Allerdings hatte ihn im letzten Jahre seines Aufenthaltes der Gang der Dinge in ein sonderbares Verhältniß zu Johanna gebracht, welches jedoch nur von kurzer Dauer war und an dessen Verlauf er nicht gerade mit Selbstbefriedigung zurückdachte, wenn er sich auch den Gedanken daran stets aus dem Kopfe geschlagen hatte, um so mehr, als nichts geschehen war, was thatsächlich in sein Leben eingegriffen hätte.

Endlich wurde eine zum inneren Raume dieses seltsamen Trödlerladens führende Thür geöffnet, und eine Dame, vornehm gekleidet, rauschte durch das Vorgemach. Der Bediente, der in der Ecke gewartet, war aufgesprungen, und die Köchin eilte herbei, um der Dame die Ausgangsthür zu öffnen. Der Bediente folgte, und Perser glaubte, daß er lange genug bei einem Trödler antichambrirt hätte, und wollte sich ohne Weiteres in das Innere der Wohnung begeben. Die Köchin faßte ihn jedoch beim Rocke und erklärte kurz, daß er entweder fortgehen oder noch warten müsse.

„Ich werde mir doch den Weg in den Verkaufsladen eines Trödlers freimachen können,“ rief Perser mehr lachend als ärgerlich.

„Da müßte ich nicht die Katharine Plunz sein,“ erwiderte die Frauensperson und sah ihm scharf und drohend ins Gesicht.

Perser senkte das Haupt mit derselben Niedergeschlagenheit, die ihn heute schon oft überkommen, und ließ sich wieder auf den Stuhl nieder.

Sind einmal längst vergangene Tage durch irgend einen Umstand wieder in Erinnerung gebracht worden, so treten auch Personen wieder ins Gedächtniß, die man bisher gänzlich vergessen hatte. So tauchte jetzt vor Perser mit der Gestalt seiner Jugendgeliebten, Miß Isabel Glowerstone, auch die ihres Vetters Albert auf.

Miß Isabel hatte zum Hause des Sir Robert Glowerstone gehört, ihres Oheims, der einen beträchtlichen Theil seines Vermögens politischen Zwecken geopfert hatte und deßhalb mit dem Rest nach dem Kontinent gegangen war. Von der Geliebten wußte Perser nur so viel, daß sie, nachdem die Verbindung mit ihm gescheitert, nach England zurückgekehrt und Hofdame einer Prinzessin geworden war. Erst vor wenigen Jahren hatte sie einen steinalten und steinreichen Franzosen, einen Grafen Surville, geheirathet, und sie sollte gegenwärtig nach dem Tode ihres Gatten auf einem Gut in den Pyrenäen, ihrem Wittwensitz, leben.

Diese Thatsachen hatte Perser in Paris durch einen Brief des Sohnes von Sir Robert, Albert Glowerstone, erfahren. Die Gestalt dieses Mannes war eben jetzt plötzlich in der Erinnerung Perser’s aufgetaucht. Albert hatte auf der Universität dieser deutschen Stadt Philosophie studirt und war eben so oft zu Perser in das Haus der Tartarow’s gekommen, wie dieser in das Haus Sir Robert’s. Nach der Lösung des Verhältnisses zu Miß Isabel hatte Perser auch den Umgang mit Albert bald abgebrochen; denn ein hinter eleganten Manieren mehr und mehr hervorgetretenes Schmarotzerthum, welches die Börse Perser’s unverhältnißmäßig in Anspruch genommen, hatte ihn bewogen, die Gesellschaft des Halbengländers immer deutlicher abzulehnen. Von seinen fernern Schicksalen wußte Perser nur, daß Albert später eine junge Dame geheirathet, die ihm ein kleines Besitzthum am Rhein zugebracht hatte, wo er jetzt noch als Wittwer und Vater eines Mädchens lebte.

Die Thür ging wieder auf; der kleine, seltsam kostümirte Bursche erschien, wie um den Vortritt zu leisten, und ihm folgte ein elegant gekleideter Mann von etwa sechsundzwanzig Jahren, der noch einige Worte in die inneren Gemächer zurücksprach, wahrscheinlich zu dem Trödler, der ihn bis an die Schwelle des Vorgemachs begleitet haben mochte. Der junge Mann warf einen flüchtigen Blick auf Perser, während die Köchin herbeistürzte, um den Ueberzieher zu reichen, wobei sie fast ununterbrochen den Titel „Herr Legationsrath“ im Munde führte. Nach der Entfernung desselben fragte Perser mit ironischem Lachen, ob er sich jetzt des Eintritts unterfangen dürfe, was der kleine Bursche mit einer Handbewegnng, die nach innen wies, beantwortete.

Perser fand im ersten Gemache, welches von einer herabhängenden Ampel nur wenig erleuchtet war, eine Gestalt, die mit seiner Erinnerung an den Trödler nicht völlig übereinstimmcn wollte. Statt der aus verschiedenen Zeitepochen des vorigen Jahrhunderts zusammengefügten Kleidung trug der kleine alte Mann, der den Eintretenden mit stummer Verbeugung begrüßt hatte, die Salontracht eines Hofraths oder Diplomaten. Er war ganz in Schwarz gehüllt mit Ausnahme der hohen weißen Halsbinde, und sein mit vielen kleinen Falten bedecktes Antlitz wäre sogar ehrwürdig erschienen, wenn nicht eine stark hervortretende rothe Nase, an der ihn auch Perser wieder erkannt hatte, dem sonstigen Charakter der Züge Eintrag gethan hätte.

Carmisoli entschuldigte sich, daß er den Baron so lange hatte warten lassen. Er wäre, seit er den Gassenladen aufgegeben, nicht mehr in der Lage, beaufsichtigende Leute um sich zu haben, und könne bei den Schätzen, die hier aufgespeichert seien, einen Fremden nicht einlassen, so lange andere Personen anwesend wären. Freilich hätte das neue Lokal den Vortheil, vornehme Herren und Damen anzulocken.

Der Trödler kramte auch den Trödel seiner aristokratischen Beziehungen aus, nannte unter Anderen den Legationsrath Siegfried Malköhne, der eben von ihm gegangen war, und rühmte sich der Bestellungen von Seite adeliger Damen, unter denen er auch die Gräfin Surville nannte. Perser erfuhr dadurch zu seiner Ueberraschung, daß sie sich wieder in Deutschland aufhielt. Er entschuldigte sich seinerseits, daß er nicht gekommen war, um etwas zu kaufen, sondern um eine Erkundigung einzuziehen, und erwähnte der Familie von Tartarow mit dem Bemerken, daß wohl Niemand mehr als Herr Carmisoli, der schon vor einem Menschenalter das Haus bewohnt, über den ehemaligen Besitzer desselben würde Auskunft geben können.

„Von den Tartarow’s,“ erwiederte der Trödler, „sind alle verschwunden, begraben; einige leben freilich noch in der Provinz; aber warten Sie, neulich war die Geheimräthin Forstjung in meiner Galerie, und es ist mir aufgefallen, daß sie sich im Gespräch mit einer andern Dame eine geborne von Tartarow genannt hat. Das fällt mir erst jetzt wieder ein. Die Geheimräthin bewohnt im Vorderhaus die zweite Etage. Sie ist Wittwe.“




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