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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Johanna gedacht, aber ich weiß nicht mehr recht, was sich zugetragen hat; erzählen Sie mir meine Sünden.“

Joachim von Tartarow, ein sehr schlichter und wenig gebildeter Landedelmann, der mit seiner Familie erst seit einigen Jahren in der großen Stadt gelebt hatte, war sehr bekümmert gewesen, daß seine Tochter Johanna einen Freier hatte zurückweisen wollen, der sich erst hier eingefunden, zwar gewöhnlich in der Provinz gehaust hatte, aber nach der Meinung des alten Herrn ein ganz ausgezeichneter Mann von höchst vornehmen Manieren und umfassender Bildung gewesen wäre. Ja, der Vater hatte der Tochter anvertraut, der Freier sei in seinen freien Stunden bis zu der Schwärmerei sich aufzuschwingen fähig, Gedichte zu machen.

Johanna hatte ihn gleichwohl trocken, langweilig und ohne Verständniß für Kunst und Wissenschaft gefunden, jedoch die Möglichkeit eines Irrthums zugegeben, weil sie ihn noch zu wenig gekannt hatte. Er war nämlich bald, nachdem er seine erste Werbung vorgebracht, wieder nach seiner Provinz gegangen. Auffallend lange, nachdem er geschieden, war ein Brief von ihm gekommen, welchen Johanna mit großen Augen gelesen. Das Schreiben hatte sich in einer Ausdrucksweise bewegt und Gedanken enthalten, wohl geeignet, ein ideal gestimmtes Mädchenherz zu entzücken.

Rasch war Johanna an die Beantwortung gegangen, um nur wieder einen ähnlichen Brief zu erhalten. Dieser war auch abermals nach geraumer Zeit eingetroffen, und die Korrespondenz hatte sich einige Monate lang fortgesetzt, bis Johanna sich gestanden, daß, wenn ihr auch die Persönlichkeit nicht gefallen, Geist und Gemüth des Mannes keine abweisende Behandlung verdienten.

Da war eines Tages wieder ein Brief gekommen, eben so glänzend in der Ausdrucksweise und in den Gedanken, nur seltsamer Weise mit ganz anderen als den bisher gebrauchten Schriftzügen. Ein wenig Nachsinnen – und schreckliche Klarheit war dem Mädchen aufgegangen: sie hatte die ihr aus Briefen an ihren Vater wohl bekannte Handschrift Ludwig von Perser’s vor Augen.

Der unglückliche Freier war durch ein Versehen sein eigener Verräther geworden; er hatte statt seiner Kopie das ihm von Perser eingeschickte Original in das Kouvert gelegt.

Der Schlag war für das Mädchen um so empfindlicher gewesen, als eine stille, tief verhüllte Neigung für den jungen Baron lange schon von ihrem Herzen Besitz genommen, eine um so energischer bekämpfte Neigung, als dem jungen Mädchen nicht unbekannt geblieben, daß Perser’s ganze Seele mit einer schönen Engländerin beschäftigt gewesen. Der seltsame Freier war jetzt natürlich rund abgewiesen worden.

Als die Geheimräthin diese Geschichte vorgebracht, wurde Perser in anderer Richtung davon bewegt, als seine Anklägerin erwartete. Statt sich für schuldig zu erklären, sprach er nur mit den Gefühlsausbrüchen der angenehmsten Erinnerung vom Vater Johanna’s und Brigitta’s, von Joachim von Tartarow. Perser schilderte die große Verehrung und Liebe, die er für den alten Herrn gehegt, dessen Kummer über die fortdauernde Sprödigkeit seiner ältesten Tochter und dessen stets wiederholte Versicherung, daß sie an der Seite des Mannes, der eben um sie geworben, die glücklichste aller Frauen werden mußte, den damals so jungen und zu Abenteuern gestimmten Baron auch allein bewogen hatten, die Fälschung mit den Briefen einzuleiten und durchzuführen.

Bei der Schilderung des alten Herrn sowie der Vorkommnisse der damaligen Zeit wurde Perser in der That weich, und Brigitta konnte sich allmählich des großen Reizes nicht erwehren, den das Bild des eigenen Vaterhauses auf sie übte. Es war, als ob sie in der Darstellung Perser’s erst mit Bewußtsein erlebte, was an dem Kinde ohne dessen Verständniß vorüber gegangen war. Ein wehmüthiges und doch zugleich traulich anheimelndes Gefühl milderte die ablehnende Strenge, die sie bisher dem Verräther an ihrer Schwester entgegengesetzt hatte. Es geschah sogar, daß sie hellauf lachte, als er ihr einzelne Persönlichkeiten, die damals hier in denselben Räumen ein- und ausgegangen waren, in Erinnerung brachte.




4.

Unter diesen Erscheinungen war auch Albert Glowerstone, der schon im ersten Jahre, welches Perser im Kreise der Familie Tartarow verbracht, manchmal sein Gast gewesen war. Bei diesem Namen wurde Brigitta plötzlich ernst, suchte aber den Wechsel der Stimmung zu verbergen, auch veränderte sich dieselbe wieder, als Perser auf den Vater des Hauses zurückkehrte, auf den alten Joachim, dessen Wesen, Gewohnheiten und überschwängliche Herzensgüte der Sprechende mit so rührenden Farben ausmalte, daß die Tochter sich nun ungehemmt einer milden und sanften Regung überließ.

Dies benutzte Perser, um den bisher verschwiegenen Zweck seines Erscheinens zu enthüllen; er erwähnte der beiden Zimmer, die er damals bewohnt hatte, und fragte, ob es richtig wäre, daß die Geheimräthin geneigt sei, diesen Theil der Wohnung abzugeben.

Sie dachte einen Augenblick nach, ehe sie erwiederte:

„Ich habe Mühe, die Wandlung in mir selbst zu begreifen. Den Mann, dem ich so sehr gezürnt habe, soll ich hier aufnehmen? Ich will mich aber eines Gefühles von Pietät nicht schämen. Sie waren einst der Gast der Liebsten, die ich auf Erden besaß, Sie haben mir die ehrwürdige Gestalt meines Vaters vergegenwärtigt; Sie zeigten eine Verehrung und Liebe für ihn, die mir im Herzen wiederklingen – möge es denn sein!“

Sie erhob sich und zog an der Klingelschnur. Dann sagte sie:

„Die Verbindungsthür mit meiner Wohnung habe ich längst vermauern lassen. So bildet jener Theil, den Sie beziehen wollen, ein für sich ganz abgeschlossenes Quartier, das schon von der Treppe aus seinen besondern Eingang hat. Niemand kann wissen, daß Sie eigentlich bei mir wohnen.“

Die Kammerfrau trat ein, worauf die Geheimräthin fortfuhr: „Elise wird Sie mit allen Details bekannt machen. Ich habe die Räume nach modernem Geschmack einrichten lassen für den Fall, daß ich einen Miether fände, der mir konvenirt. Es ist nicht ganz der Fall“ – fügte sie mit einem Lächeln hinzu, um die Unfreundlichkeit des Wortes zu mildern – „aber besichtigen Sie die Zimmer, ob Sie darin den wünschenswerthen Komfort finden; Elise wird Ihnen alles Nötige sagen.“

Sie nickte zum Abschied, und Perser wollte sich nach einigen Worten des Dankes und einer Verbeugung entfernen, als sie, da er schon an der Thür war, seinen Namen rief. Sie sprach nicht sogleich, sie schien mit sich selbst zu kämpfen oder die Worte, die ihr auf den Lippen lagen, abzuwägen. Endlich sagte sie:

„Sie haben von Albert Glowerstone gesprochen. Sind Sie noch gegenwärtig mit ihm befreundet? Wissen Sie, wo er sich aufhält?“

Perser erwähnte kurz, was er vor etwa fünf Jahren aus einem Briefe Glowerstone’s vernommen hatte, daß dieser in nicht gerade glänzenden Verhältnissen als Wittwer und Vater einer Tochter am Rhein lebte.

„Ich selbst,“ setzte er hinzu, „habe ihn seit einem Vierteljahrhundert nicht wieder gesehen. Ach, man sollte einen solchen Ausdruck gar nicht im Munde führen, man macht sich dadurch so alt.“

„Albert Glowerstone hat also eine Tochter?“ rief Brigitta mit einer Art von Schrecken, sie faßte sich aber und sagte verabschiebend: „Es ist gut.“

Perser schied.

Er fand einen zum Behagen herabgestimmten Luxus in den beiden Gemächern und erschrak nur ein wenig über den Preis, den ihm die Kammerfrau nannte. Was thut’s? dachte er, ich muß mich auf die Lauer legen, irgendwo eine Geldquelle für mich ausfindig zu machen.

Als er am nächsten Vormittag, von einem zu diesem Zweck veranstalteten Streifzug in seine neue Wohnung zurückkehrend, in das Thor trat, hielt vor dem Hause ein elegantes Koupé, aus dem ein junger Mann heraussprang, in welchem Perser sogleich den Legationsrath Malköhne wieder erkannte. Das Koupé fuhr davon, nachdem der Besitzer dem Rosselenker ein Wort zugerufen, und der Legationsrath stieg dieselbe Treppe hinan wie Perser. In der zweiten Etage klingelte Malköhne an der Thür der Geheimräthin, und Perser fühlte den Neid, mit dem er einen Blick auf diese allem Anschein nach glückliche und behagliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_742.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)