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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

so großer Schönheit, daß sie Perser selbst jetzt aufgefallen war, da er auf nichts als auf die Gräfin seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte. Das junge Mädchen an sich ziehend, sagte die Gräfin:

„Das ist die Tochter meines Vetters Albert Glowerstone, Miß Edith – Pardon, mein Kind – Fräulein Edith, sie will durchaus eine Deutsche sein. Sie ist seit einem Monat bei mir; ich muß sie aber in einigen Tagen selbst ihrem Vater zurückbringen. Das war die Bedingung, unter welcher er mir sie ließ.“

Die Damen entfernten sich allmählich, sie hielten es für passend, die beiden Menschen, die sich so spät wiedergefunden hatten, allein zu lassen. Gleichgültig wie früher setzte die Gräfin das Gespräch fort, immer nur auf den Aufenthalt Perser’s in Paris Bezug nehmend, nachdem er sie dafür lebhaft genug zu interessiren gewußt hatte.

Da sich wieder der Zug in ihrem Wesen geltend machte, welcher zu einem freundschaftlichen Vertrauen aufforderte, so kam es, daß Perser, ohne im Entferntesten daran zu denken, hier eine Hilfe finden zu wollen, bloß aus entgegenkommendem Gefühle und nur in zarter Andeutung und Umschreibung ein Bild seiner gegenwärtigen Lage entwarf. Die Gräfin hörte ihn sehr aufmerksam an; ihre Augen ruhten theilnehmend auf ihm und sie äußerte endlich mit dem Ausdruck tiefen Bedauerns:

„Wie schade, daß wir uns schon wieder trennen müssen! Ich bleibe einige Zeit auf dem Gute Albert’s und gehe dann für den Winter nach Italien. Wir hätten sonst Vieles besprechen können, und es hätte sich Gelegenheit gefunden, um Sie in meine Verhältnisse blicken zu lassen. Da wären Ihnen vielleicht Aufgaben sichtbar geworden, die nur ein Freund lösen kann. Wie hätte mich dies gefreut! Kommen Sie aber wenigstens bis zu meiner Abreise alle Tage!“

Er folgte diesem Rathe, es ergab sich jedoch daraus kein Anknüpfungspunkt für seine Zukunft. Da kam ihm plötzlich, natürlich und doch überraschend, das Schicksal zu Hilfe.

Eines Abends, als sich die Gräfin bereits verabschiedet hatte, saß er enttäuscht und herabgestimmt in seinem Zimmer und grübelte, was er ferner anzufangen hätte, um durchs Leben zu kommen.

Dabei war es charakteristisch für ihn, daß seine Gedanken bald an dem Vorsatze haften blieben, der am wenigsten praktische Bedeutung hatte, an dem Vorsatze, endlich die Geheimräthin zu besuchen, an die er unaufhörlich dachte und die ihm stets in größere Ferne zu rücken schien, je mehr seine Lage ihn peinigte. Jetzt konnte er ihr doch gleichsam etwas mitbringen, sagte er sich, ein Erlebniß, die Bekanntschaft mit der Gräfin Surville. Diplomaten und Officiere, denen er dort begegnet war, konnte er der Geheimräthin so zu sagen vorstellen, Interessantes aus ihren Verhältnissen erzählen.

Er hatte auch an einem Tage, an welchem große Gesellschaft bei der Gräfin war, den Legationsrath Siegfried Malköhne dort angetroffen und es absichtlich vermieden, sich ihm vorstellen zu lassen! denn er hegte unaussprechlichen Neid gegen den, wie er nach und nach erfahren hatte, begünstigten Freund der Geheimräthin, der vor ihr im vollen Glanz einer großartigen Existenz zu erscheinen vermochte. Aber Perser hatte die Verehrung, ja den Kultus beobachtet, womit man den Legationsrath von allen Seiten umgab, und diese Mittheilung aus einem fremden Munde müßte ja Brigitta entzücken. So hoffte er, der schönen Frau selbst zu einer bedeutenden Persönlichkeit zu werden.

Was aber war damit geholfen? Um sich in dieser Bedeutung zu behaupten, mußte er eine Stellung gewinnen, das Leben führen, das seinem Rang gebührte. Er entschloß sich, noch an diesem Abend einen alten, halb vergessenen Freund seines verstorbenen Vaters aufzusuchen.

Schon hatte er die Lampe gelöscht und den Schlüssel abgezogen, um seine Wohnung während seiner Abwesenheit versperrt zu halten, als an seiner Thür geklingelt wurde. Er öffnete und die Beleuchtung der Treppe ließ ihn den Legationsrath Malköhne erkennen, der, höflich den Hut ziehend, um die Erlaubniß bat, dem Baron Perser einige Augenblicke rauben zu dürfen. Dieser, höchlich überrascht, antwortete gleichwohl mit der schicklichen Ruhe und den herkömmlichen Redensarten. Die Lampe wurde wieder angezündet, die Herren nahmen Platz und der Legationsrath sprach zuerst im Allgemeinen von der Schwierigkeit, wirklich gebildete und zugleich mit den Formen der höheren Gesellschaft vertraute Personen für bloß vorübergehende diplomatische Geschäfte zu gewinnen. Dann theilte er mit, daß er noch im Laufe dieser Nacht abreise, und weil sich die Angelegenheiten so sehr gedrängt hätten, wäre er nicht zum Wichtigsten gekommen, zum Engagement eines brauchbaren Mannes, eines Begleiters und Sekretärs, kurz eines Vertrauensmannes.

Perser, obgleich ihm das Herz in ahnungsvoller Hoffnung schlug, zwang sich zu einem vornehmen und fast stolzen Gleichmuth, schweigend das Weitere erwartend. Malköhne fuhr fort:

„Zufällig habe ich heute Ihre Hauswirthin besucht, die Frau Geheimräthin Forstjung, und sie hat mir zum ersten Male von der Vermiethung gesprochen. Kaum hatte sie Ihren Namen genannt, Herr Baron, so war es mir, als hätte ich das Geeignete plötzlich gefunden; denn Ihr Name ist in unseren Kreisen wohl bekannt. freilich war dies nur ein abenteuerlicher Einfall von mir, denn ich habe ja nicht die Ehre, über Ihre Person und Ihre Verhältnisse im Geringsten unterrichtet zu sein. Die Geheimräthin erwähnte jedoch, daß Sie ein vorzüglicher Briefsteller seien, was ich am meisten brauche. Auch meinte sie, daß Sie erst vor einigen Tagen aus Paris gekommen, daß Sie folglich hier vielleicht noch nicht durch Ihre Konnexionen so gebunden seien –“

Der Legationsrath zögerte und stockte; der fast hochmüthige Gesichtsausdruck Perser’s ließ befürchten, es sei ein falscher Schritt geschehen. Die Zurückhaltung Malköhne’s ließ aber wiederum den Baron befürchten, er könnte durch allzu große Reserve eine günstige Wendung verscherzen. Darum erwiederte er freundlicher:

„Ich bin allerdings in mancherlei Beziehungen getreten, so kurz auch mein Aufenthalt ist, allein was an die Diplomatie streift, hat mich von jeher gereizt! ich habe eine wahre Passion, mich in solche Dinge zu mischen, und habe meinen Beruf verfehlt, daß ich nicht Noten und Depeschen schreibe. Aber was wollen Sie, Herr Legationsrath? Wir sind von Geburt Müßiggänger, und wenn nicht gerade pekuniäre Verhältnisse drängen, was bei mir natürlich nicht der Fall ist, so kommen wir zu nichts Ernsthaftem.“

Perser glaubte, versteckte Geister in seinem Innern kichern zu hören. Auch über des Andern Lippen flog eine Sekunde lang ein Schmunzeln! die Geheimräthin mochte ihm die Lage des hier so stolz aufgerichteten Mannes angedeutet haben. Indessen nahm der Legationsrath den Faden der Unterhaltung mit aller Gemessenheit wieder auf.

„Diplomatisch ist die Angelegenheit eben nicht; sie bedarf nur eines Helfers, der, wie Sie, Herr Baron, mit dem Tone, der Haltung der höheren Kreise vertraut ist und eine gebildete Feder führt. Wenn Sie nun sich dazu herbeilassen könnten, in dieser Jahreszeit zu reisen und einige Zeit von hier entfernt zu bleiben, so würden Sie vielleicht Ihre eigene Liebhaberei für das politische Getriebe einigermaßen befriedigen können. Natürlich müßten Sie es sich gefallen lassen, Herr Baron, daß wir Ihre Dienste nicht als ein Geschenk betrachten, welches Sie dem Ministerium machen würden, Sie müßten zustimmen, daß wir Ihre Zeit, Ihre Mühe vergelten, als ob Sie dessen wirklich bedürften.“

Perser strich sich mit der Hand nachdenkend das Kinn und zog die Augenbrauen finster zusammen, als ob die letzte Andeutung des Legationsrathes ihn eigentlich tief verwundete. Doch schien er zur Verzeihung geneigt zu sein, denn mit mildem Lächeln gab er den Bescheid:

„Ich habe nicht das Recht, Ihnen Herr Legationsrath, oder dem Staate Freundesdienste zu erweisen, und würde mich aus Liebe zur Sache auch mit der herkömmlichen Entlohnung verstehen; die Form muß ja überall gewahrt werden.“

Malköhne beeilte sich aus einander zu setzen, was man von Perser verlangte, und dieser erklärte sich damit außerordentlich zufrieden. Er sollte auf ein Telegramm, welches in zwei bis drei Tagen eintreffen werde, nach Wiesbaden abreisen, wohin der Legationsrath, wie erwähnt, schon in wenigen Stunden abzureisen gedachte. Am nächsten Tage werde ein Beamter aus dem bezüglichen Ressort beim Baron erscheinen, um die unleidlichen Formalitäten, das Reisepauschale und die Diäten zu erledigen. Der Baron reichte mit einer Gebärde, die eben so wohl Freundschaft wie Herablassung ausdrückte, dem Legationsrath die Hand, und Beide schieden sehr befriedigt von einander.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_759.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)