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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

unthätig, ein gebundenes Lamm, wollte sie sich nicht schlachten lassen.

Kaum hatte Perser seine Zimmer betreten, als das erwartete Telegramm eintraf. Er machte sich am nächsten Morgen bereit, das Haus zu verlassen, wieder den kleinen Handkoffer und den Plaid zu sich nehmend. Früher wollte er noch mit der Kammerfrau Elise eine Abrechnung treffen, um seine bisherige Benützung des Quartiers zu begleichen. Eben als er Elise rufen wollte, kam sie selbst, und bei der ersten bezüglichen Bemerkung erklärte sie, den Auftrag zu haben, nichts von dieser Art mit dem Baron zu verhandeln, da ihn die Geheimräthin ausdrücklich als ihren Gast betrachtet haben wollte. Nicht um diese Botschaft zu bringen, sei Elise herübergekommen, wie sie sagte, sondern um ihn zu bitten, vor seinem Weggehen noch einmal vor der Geheimräthin zu erscheinen.

Erwartungsvollen Gemüthes trat Perser bei Brigitta ein. Das weiße Morgengewand stimmte zu dem leidenden Ausdruck der ganzen Erscheinung.

„Ich habe Sie noch einmal sprechen wollen, Herr Baron,“ begann sie zögernd, „weil ich – es wird so viel um mich her von Reisen gesprochen; ich habe selbst die Absicht, eine Reise anzutreten oder wenigstens für die Zukunft einen andern Aufenthalt zu suchen. Es ist Alles noch im Unklaren, aber –“

Perser, der wohl die Verwirrung bemerkte, in welcher sich die Gedanken Brigitta’s befanden, jedoch nicht wußte, auf welche Weise er ihr helfend entgegenkommen könnte, ließ ihr Zeit, sich zu sammeln, indem er seine Blicke aufmerksam auf eine Kreidezeichnung richtete, die in seiner Nähe lag. Es war ein Portrait, dessen Original er gesehen zu haben glaubte, ohne sich desselben bestimmt erinnern zu können. Inzwischen war Brigitta ruhiger geworden und setzte ihm ein sonderbares Anliegen aus einander.

Sie hätte, wie sie sagte, eine unwiderstehliche Neigung, im nächsten Frühling nach dem Rheine zu gehen, möchte sich aber früher dort ankaufen, um nicht in Miethe bei fremden Leuten zu sein. Es wären nun, wie sie erfahren hätte, gerade in der nächsten Umgebung des kleinen Besitzthums von Glowerstone Villen, Schlösser, Häuser, oder was immer für Sommerwohnungen zum Kaufe ausgeboten, und wenn sich dies bewahrheiten sollte, wenn Perser dort ein Haus fände, das ihm für sie geeignet erschiene, so möchte er ihr sogleich davon Meldung thun. Sie würde augenblicklich dahin abgehen, um das bezeichnete Besitzthum in Augenschein zu nehmen.

Perser erklärte sich natürlich mit Vergnügen dazu bereit; aber es schien, als ob dadurch nicht völlig erreicht wäre, was sie wünschte. Sie rang sichtlich mit dem Bestreben, sich ganz verständlich zu machen, ohne eine verborgen gehaltene Absicht zu verrathen.

„Ich muß Sie noch bitten … es wird Ihnen seltsam erscheinen, aber manchmal beherrscht mich, wie vielleicht jede Frau, eine Laune so gewaltig, daß ich keine Hindernisse, keine Unmöglichkeit einsehe, wenn ich die Laune befriedigen will. Mir ist es hauptsächlich darum zu thun, sobald es nur immer geschehen kann, bestimmt zu erfahren, daß ein solches Domicil wirklich und wahrhaftig zum Kaufe angeboten sei. Es ist doch dann ganz natürlich, daß ich mich dahin begebe, es kann ja darin nichts Auffallendes liegen. Es kommt mir also darauf an, um es mit einem Wort zu sagen, daß die Angelegenheit außerordentlich beeilt werde, ja ich bin so maßlos unbescheiden, den Anspruch zu erheben, daß dies Ihre erste Sorge dort sei. Sobald Sie nur irgend Passendes gefunden zu haben glauben, dann telegraphiren Sie sogleich, nicht wahr? Und noch Eins! Sobald Sie dies gethan haben, sagen Sie auch Ihrer ganzen Umgebung, Glowerstone, der Gräfin, wenn Sie wollen, daß ich auf dem Wege bin, daß ich sogleich eintreffen werde und aus welchem Grunde. Daran liegt mir viel.“

Perser gab die Zusicherung, früher noch zu Glowerstone, der über verkäufliche Besitzthümer in seiner Gegend unterrichtet sein mußte, als nach Wiesbaden zu gehen, und Brigitta entließ ihn mit freundlicherem Gesichtsausdruck als am Tage vorher.




8.

Siegfried Malköhne war inzwischen in Wiesbaden eingetroffen. Sein Verhalten zu Brigitta bewegte sich auf jener schmalen Linie zwischen Wahrheit und Täuschung, wie sie nicht bloß ein Diplomat in schwierigen Fällen zu wählen hat, sondern wie sie sich auch gewöhnlichen Sterblichen als nothwendig aufdrängt, sobald Leidenschaft und Gewissen mit einander in Streit kommen. Die politische Angelegenheit, die ihm eine Verständigung mit dem politischen Agenten in Wiesbaden, ja den Versuch, ihn zu gewinnen, zur Aufgabe gemacht, war durchaus in der Wirklichkeit begründet, und er hatte in der umständlichen Auseinandersetzung dieser Angelegenheit zu Brigitta kein falsches Wort gesagt. Verschwiegen hatte er der Geliebten nur das Einzige, daß er zugleich mit seiner amtlichen Mission eine ihn selbst betreffende verfolgte; verschwiegen hatte er die Anwesenheit Edith’s, ja die Existenz der schönen Tochter Glowerstone’s und sein ernsthaftes Interesse für sie.

In der ersten Zeit seiner Aufmerksamkeit auf das wunderbar geartete Mädchen hatte er sich selbst allerlei vernünftige Reden gehalten, um sich zu beweisen, daß es Pflicht für ihn sei, heilige Familienpflicht, eine Ehe mit Brigitta für unmöglich zu halten. Sein Vater, ja selbst sein Minister, hätte ihm die Verbindung mit einer zehn Jahre älteren Frau niemals verziehen, und ganz unüberwindlich wären plötzlich die Schwierigkeiten geworden, die Verbindung trotz alledem durchzusetzen. Warum sollte er Brigitta durch die Darstellung dieser nicht zu besiegenden Hindernisse kränken und verwunden, so lange er überhaupt noch ledig bleiben und sie hoffen lassen konnte?

Es ist wahr, er hätte niemals von sich selbst geglaubt, daß er einst von dem Gedanken, sie zu seinem Weibe zu machen, ablassen würde. Wie es nun mit einem Male dennoch geschehen war, das wußte er nicht deutlich; nur fühlte er eines Tages, daß er ohne die Begegnung mit Edith nicht so schmerzlos zu der Trennung von dem jahrelang gehegten Gedanken gekommen wäre. Allmählich kam es dahin, daß er nicht einmal mehr begreifen konnte, wie er jenen Gedanken jemals hatte hegen können. Da er indessen nicht lügen und betrügen wollte, so würde er einen plötzlichen Bruch, eine brutale Ankündigung, daß die Vergangenheit ein Ende genommen, Brigitta gegenüber nicht gescheut haben, wäre er nur über die Handlungsweise, die er nach diesem Bekenntniß einschlagen sollte, im Klaren gewesen.

Dazu fehlte aber vor allem eine Verständigung mit Edith. Er hatte niemals Gelegenheit, diesem Mädchen gegenüber aus den konventionellen Formen herauszutreten. Wäre dies aber selbst geschehen, welche Befriedigung hätte er daraus zu ziehen vermocht?

Denn die Scheu, die er schon seit Jahren allen Partien gegenüber gehegt, die man ihm als passende vorgeschlagen hatte, die Furcht, der Millionen seines Vaters wegen geheirathet zu werden, ein Gedanke, der viel dazu beigetragen hatte, seinen Bund mit Brigitta zu festigen, diese Scheu und Furcht beherrschten ihn auch Edith gegenüber. Gewiß war sie als eine Fremde in seine materiellen Verhältnisse nicht eingeweiht, und so ernsthaft dachte er schon an sie, daß er aus diesem Grunde, um sie nämlich in Unwissenheit darüber zu erhalten, eine persönliche Begegnung mit Albert Glowerstone in der Hauptstadt vermieden hatte. Dadurch war es möglich, daß auch dieser nichts über seinen Reichthum erfuhr und folglich der Tochter keine bezüglichen Andeutungen machen konnte.

Malköhne dachte nun, bei Glowerstone wie ein mittelloser Beamter auftreten zu können, der bloß gekommen sei, um das Anliegen des rheinischen Gutsbesitzers beim Ministerium zu erledigen. Damit dies gelinge, wählte er zu seinem ersten Erscheinen einen Tag, an welchem die Gräfin, obgleich auch diese über seine Vermögensverhältnisse nicht genau unterrichtet sein konnte, sich nicht bei ihrem Vetter, sondern in Wiesbaden befand. Dies war aber sogleich nach seiner Ankunft dort der Fall; die Gräfin hatte Edith nur in das Haus ihres Vaters gebracht und sodann den geheimnißvollen alten Lord aufgesucht, der zur Zeit ihrer Jugend am englischen Hofe verkehrt hatte.

Dem ersten Blicke Malköhne’s drängte sich in dem kleinen Hause Glowerstone’s eine Armseligkeit auf, die er nicht erwartet hatte. Sie betrübte ihn, weil sie Anlaß geben mußte, eine Verbindung mit ihm um so wünschenswerther erscheinen zu lassen, sobald es zur Kenntniß gelangte, daß er der Erbe eines Millionärs war.

Albert Glowerstone hatte sich seit seiner Jugend wenig verändert, weder in seinem Aussehen, noch in seiner dem Schmarotzerthum geneigten Lebensauffassung. Er war blond und zwar so entschieden, daß man versucht war, ihm sogar eine blonde Gesichtsfarbe beizumessen, und als ehemaliger Student der Philosophie war er noch immer zum Philosophiren geneigt, um dahinter Mangel und ungestillte Bedürfnisse anständig zu verstecken. Was er nicht begreifen konnte und sich vergebens durch Ethik und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_774.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)