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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

einem kugelrunden, bläulich angelaufenen Kupferknopfe glich. Das linke Augenlid war geschlossen und tief in die leere Höhle eingesunken. Das andere Auge, von dessen entzündeten Rändern eine Thränengasse in den Bart verlief, hatte einen feuchten und steifen Glanz.

Gregor stutzte, als er den Alten näher kommen sah, und während er die Brauen in die Höhe zog, zuckte es in verächtlichem Aerger um seine schmalen Lippen. Auch der andere riß beim Anblick des Burschen sein weitoffenes Auge noch weiter auf, verzögerte seinen tappenden Gang, zog mit zitterndem Arme den großen Hakenstock höher an die Brust und nahm eine scheue Miene an. Die Beiden schienen sich zu kennen. Dennoch gingen sie wortlos an einander vorüber. Dann aber drehten sie zu


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gleicher Zeit den Kopf über die Schulter, kehrten sich um und blieben vor einander stehen.

Gregor schob die Hände in die Taschen und schaute aus stolzer Höhe auf den schmutzigen Kunden nieder, der ein Gesicht machte, als könnte ihm eine größere Ehre nicht widerfahren als diese Ansprache, deren er nun gewürdigt wurde.

„So? Haben s’ Dich wieder amal auslassen? Lump alter!“

„Ja, aber lang, mein’ ich, wird’s net dauern,“ entgegnete der Andere mit einer zerstörten Stimme, die so tief und hohl klang, als säße ihm der Kehlkopf zu unterst im Schlunde. „Der Winter is auch schon vor der Thür, da wird mir nix Anders übrig bleiben, als daß ich mich wieder ’neintummel’ in unserm König sein’ warme Stuben.“

Gregor lachte. „G’fallt’s Dir denn so gar gut da drin?“

„No mein, a z’friedens G’müth g’hört halt dazu,“ lautete die seufzende Antwort. „Und es is auch so weit gar net übel. A gut’s Essen – a langsame Arbeit – die schönste Liegerstatt – mehr kann sich ja Unsereiner net verlangen.“

„Aber der Schnaps? Was? Der Schnaps?“

„Der Schna – a – aps!“ quoll es mit wehmüthigem Stöhnen aus dem wackelnden Barte hervor. „Ah ja! Da fehlt’s freilich weit! Und g’wiß wahr, wenn mir da drin –“ dabei deutete der Alte mit dem Stock über die Schulter weg, „wenn mir da drin die Zung’ diemal gar so trocken worden is, da hab’ ich oft an dieselbigen Zeiten ’denkt, wo mir ein Glasl ums ander’ ’zahlt hast.“

Gregor lächelte und schaute ziellos ins Blaue, als dächte auch er an „dieselbigen Zeiten“.

„Ja – ja – a gut’s Herz hast allweil g’habt,“ kicherte der Alte, „und drum muß Dir’s auch gut gehn. Was is denn? Wie bist denn g’stellt jetzt?“ Er winkte mit einem Blicke gegen das Haus. „G’hörst ’leicht da ’rein?“

„So halb und halb.“

„So halb – und halb?“ wiederholte der Andere, wobei seinem starren Auge das versuchte pfiffige Blinzeln nicht recht gelingen wollte. Dann streckte er den Kopf und raunte gegen Gregor’s Ohr: „Du! Da halt’ Dich fein fest an! Is a nobligs Haus! Zehn Pfennig hab’ ich ’kriegt und –“ verstummend trat er einen Schritt bei Seite und schaute an Gregor vorüber mit steifem Blick dem Knechte nach, der aus dem Hause getreten war und quer über den Hof nach den Ställen ging. „Was habt’s denn da für Ein’ im Haus? G’hört der am End’ zu Dir?“

Hastig wandte Gregor das Gesicht und konnte gerade noch sehen, wie Götz in der Thür des Pferdestalles verschwand.

„Ah ja – ich täusch’ mich net – er is ’s schon!“ murmelte der Alte. „Wie heißt er denn gleich?“

„Gotthard Sauer,“ erwiederte Gregor mit leiser Stimme, während sich in seinen Zügen eine lauernde Spannung zeigte.

„Gotthard Sauer? Ah na! So hat derselbige net g’heißen. Aber macht nix. Ich hab’ mich net verschaut. Schon wie ich ’kommen bin und wie er vor mir ins Haus ’nein is, da hab’ ich ihn schon gleich wieder ’kennt am ersten Blick. Und wenn’s auch schon lang her is – er hat ja ’s G’sicht darnach – zum merken.“

„Und woher kennst ihn? Woher?“

„Aus der warmen Stuben! Ja, a meiniger Kamerad is er g’wesen!“ kicherte der Alte, und während er mit dem Ellbogen den Hakenstock an sich drückte, ahmte er mit den zitternden, von Schmutz überkrusteten Fingern die Bewegung des Spinnens nach.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_797.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2023)