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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

will’s in der Arbeit zeigen, daß ich noch Einer bin, der unter die Menschen sein’ ehrlichen Platz verdient. Ja – Narr, der ich g’wesen bin! Mit mir allein g’rad hab’ ich g’rechnet, und hab’ net an das Wörtl ’denkt, das hinter mir nach’gangen is als wie mein Schatten. Alles hat mich verlassen; mein’ junge Zeit, mein Glück, mein Deandl – und treu ’blieben is mir ganz allein das gottverhaßte Wort – so treu wie a blinder Hund. G’wesen is, als traget ich ’s Eisen als a unsichtbarer noch hinter der Hand –“ Aufseufzend streifte er von seiner Linken den Aermel zurück und starrte auf den Knöchel nieder, als wären an ihm die Spuren der Kette noch zu sehen. „Und wo mir Einer gut worden is um meinetwegen und hat mir meine zwei Händ’ in Dank oder Freundschaft g’schüttelt, da hat sich ’s Eisen g’rührt, und da hat noch a Jeder mein’ Hand von ihm g’stoßen in Schimpf oder Grausen!“

Noch hatte Götz nicht ausgesprochen, als eine leidenschaftlich gehobene Stimme durch die Stube schrillte: „Na, Götz – na – net a Jeder! Dein’ Hand gieb her – und da – da hast die meinig’!“

Als Götz mit einem jähen Ruck das Gesicht erhob, fühlte er schon seine Hände von heißen Fingern umschlossen, und Kuni stand vor ihm, die Wangen von brennender Röthe überglüht, mit flammenden Augen, vor Erregung zitternd am ganzen Leibe. „Und mögen’s die Andern halten, wie’s ihnen taugt – und mögen s’ ihren Hochmuth reden lassen statt ihr Herz – und die ganze Welt wenn sich abkehren thät’ von Dir – ich, Götz – ich stell’ mich an Dein’ Seiten!“ sprudelte es in wilder Hast von ihren Lippen. Mit jedem Worte steigerte sich noch die Leidenschaft ihres Tones, und Thränen stürzten aus ihren Augen. „Ich stell’ mich an Dein’ Seiten,“ schrie und schluchzte sie, „und ich halt’ aus bei Dir auf Biegen und Brechen. Bis zur heutigen Stund’ hat’s mir noch kein’ frohe Minuten ’bracht, daß ich den Pointnernamen trag’ – jetzt aber freu’ ich mich d’rum! Jetzt bin ich da – jetzt will ich mich anhalten an mein Recht! Und so lang’ ich noch unter dem Dach da a Wörtl zum reden hab’ – so lang’ ich noch an Schnaufer hab’, da, Götz, da schwör’ ich Dir’s in d’ Hand! – so lang’ sollst Du im Pointnerhof kein ungut’s Wörtl hören, so lang’ sollst Du an meiner Seiten Dein’ Heimath haben, wo Dir verdient hast in ehrenhafter, blutiger Arbeit!“

„Kuni – Kuni!“ stammelte Götz, und dabei war in seinen nassen Augen ein Blick, als könnte er nicht fassen, was er sah und hörte. „Von Dir am allerwenigsten hätt’ ich mir ’denkt, daß Du die Erste bist –“

„Ja – ja – Schand’ g’nug für aus, daß sie die Erste war,“ unterbrach ihn Karli mit erregter, fast zornig klingender Stimme, „sie g’rad, die kaum vom Hörensagen weiß, wie Du Dich in elf Jahr’ schier krumm g’arbeit’ hast für unser Haus und Gut. Schamen müssen wir uns, mein Vater und ich, daß net einer von uns gleich ’s erste Wörtl g’funden hat!“

„Ja ja, schamen muß er sich – er und der Vater!“ kollerte Stoffel vor sich hin, daß sich Zenz erschrocken nach ihm umwandte.

„Aber was von der Bäuerin g’hört hast, soll jetzt doppelt g’sagt sein von mir aus. Da, Götz – gieb mir die ander’ Hand – und da hast die meinig’! Und a Jeder, der wo Dir ’was anhaben will, der soll’s mit mir zum schaffen haben! Und g’halten sollst sein bei uns, daß zwischen morgen und gestern kein’ Unterschied net merkst. Gelt, Vater – gelt? So rühr’ Dich d ch – und red’!“

„Aber ja – no freilich – was wär’ denn da jetzt noch zum reden!“ stotterte der Pointner, in dessen bangen Zügen Verlegenheit mit Rührung kämpfte, während er sich zögernd erhob und mit beiden Händen hinter die Ohren fuhr: „Das is ja g’wiß – mich kennt er ja, der Götz! Aber – natürlich – es is halt so a Sach’! D’ Leut’ halt – d’ Leut’! Denkt’s nur g’rad an Spinner-Veit!“

„Hörst es, Kuni? Hörst es, Karli?“ fuhr Götz, seine Hände lösend, mit bitterem Lachen auf. „D’ Leut’ halt – die Leut’! Recht hat er, Dein Vater, daß ich ihn kenn’! Er hat ja auch, wann’s diemal sein muß, ’s Herz am rechten Fleck. Aber er is halt im g’witzten Alter und weiß, daß Mensch sein heißt: so sein, wie d’ Leut’ Ein’ haben wollen! Ich kenn s’ ja, d’ Leut’! Vier Jahr’ lang hab’ ich s’ ausstudirt! Selbigsmal – wie ich frei worden bin – da hat’s mich in d’ Näh’ von meiner Heimath ’trieben! Ganz heim hätten mich vier Roß net ’bracht! Und ’s Erste, was ich erfahren hab’, is g’wesen, daß mein Schatz, mein lieber, lang schon g’heirath’ hat – ja – vor neun Jahr’ schon – akrat um die Zeit ’rum, wo mein Spruch verkündt worden is. Und so viel Mitleid haben s’ mit mir g’habt, die Bauernleut’ alle – aber keiner is g’wesen, der mich als Knecht hätt’ mögen. Weit fort hab’ ich gehen müssen, bis ich den ersten Dienst g’funden hab’. Aber keine sechs Wochen hat’s dauert, da hat sich schon mein Schatten g’rührt. Und so hat er mich ’trieben von Platz und Platz – von ei’m Dorf ins ander’. Vier Jahr’ lang hab’ ich’s ausg’halten – nachher hab’ ich mir ’denkt: probierst es in der Stadt; wo so viel Menschen sind, da drückt sich schon noch einer ’nein. Aber da hab’ ich gleich gar kein’ Platz net g’funden. Zeugniss’ haben s’ überall verlangt bis auf mein’ Schulzeit z’ruck – und da haben sie s’ halt g’mangelt – die g’wissen Jahr’! Jetzt aber is mir’s z’ viel ’worden – und ich hab’ schon g’sagt zu mir: a Lump werden magst net, ehrlich lassen s’ Dich nicht leben, so mach’ halt aus und gar mit Dir! Und wie ich mit dem Gedanken um einander renn’ zwischen die Häuser, da hat mir’s der liebe Herrgott ’geben, daß mein Kamerad an mich hinlauft – der einzige Mensch, der mir Freundschaft g’halten hat! Mein Gott, der hat sich weiters auch net g’altert g’habt! Is auch Einer g’wesen, den ’s Glück am Zug g’habt hat, und der in der Heimath kein’ Ruhstatt hat finden können. So hat er’s jetzt überm Wasser drüben probiren wollen – in der andern Welt. Götz hat er g’heißen – Gotthard Sauer –“

„Gotthard Sauer! So heißt ja Du!“ unterbrach ihn Kuni mit schrillenden Worten.

„Ja – seit dem selbigen Tag. Denn wie ich ihm mein Elend so vorg’jammert hab’, da hat er z’erst g’meint, ich sollt’ mit ihm. Aber an einzig’s Hemd am Leib und a paar Gulden noch im Sack – da reist Einer schwer. Und da hat er mich bei der Hand g’nommen – und da hat er g’meint, überm Wasser drüben thät’ kein Mensch mein’ Nam’ net kennen, keiner thät’ wissen, was für a Schand’ drauf liegt – da drüben wär’ ein Nam’ wie der ander’. Und so hat er mir an’boten, daß ich als Gotthard Sauer bleiben sollt’ – und weit davon sollt’ ich gehen, hat er g’meint, ’leicht wo ’nauf ins Oberland oder ins Fränkische ’nein – und er nachher, er thät’ als Lechner-Xaver fortgehn übers Wasser. Und so lang hat er mir zug’redt, bis ich Ja g’sagt hab’. Was thut man net fürs Leben! Sein Taufschein hat er mir ’geben, sein Zeugniss’ alle, sein’ Paß vom achten Regiment –“

„Jesus Maria – ja was is denn!“ kreischte mit einem Male der Pointner und streckte die Arme gegen Kuni, welche mit kreideblassem Gesichte, mit geschlossenen Augen und klaffendem Munde stand, taumelnd mit den Händen nach einer Stütze griff und lautlos in die Kniee brach, noch ehe der Bauer sie erreichte.

Karli, Zenz und Stoffel eilten auf die Ohnmächtige zu, und während der Pointner sich an ihrer Seite auf die Kniee warf, schalt er in rathlosem Zorn zu Götz empor: „Da schau – das hat man jetzt davon – von Deine grausigen G’schichten – daß Ei’m d’ Haar’ aufstehn möchten!“

Regungslos, mit erschrockenen Augen starrte Götz auf die Gruppe zu seinen Füßen.

„Sie schnauft schon wieder – da – ich g’spür’s!“ schrie Zenz. „A Wasser schafft’s her – a Wasser!“

Der Pointner schoß in die Höhe, und während er, um den Wasserkrug vom Tisch zu holen, an Götz vorüberrannte, fuhr er ihn an: „Was stehst denn noch da? Damit s’ gleich wieder den Schrecken hat, wann s’ d’ Augen aufmacht?“

Da bückte sich Götz, hob mit zitternder Hand die zerbrochene Pfeife von den Dielen, streifte noch mit einem scheuen, verlorenen Blick das bleiche Gesicht der Ohnmächtigen und verließ die Stube.

Ein heftiger Windstoß prallte ihm entgegen, als er die Hausthür öffnete. Mit Pfeifen und Rauschen umfuhr es die Mauern. Eine Weile zögerte er; dann fuhr er sich mit der Faust über die Augen und schritt hinaus in die stürmische Nacht.


(Fortsetzung folgt.)




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