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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Blätter und Blüthen.

Geschenklitteratur für Weihnachten. Wir beginnen unsere Uebersicht mit den Prachtalbums, welche unserem deutschen Weihnachtstisch zur Zierde gereichen. Da liegt eine bei Theodor Stroefer in München erschienene Ausgabe von Goethe’s „Faust“, erster Theil, vor, die in 50 Kompositionen von Alexander Liezen Mayer illustrirt, mit Ornamenten von Rudolf Seitz ausgestattet ist. Die größeren und kleineren Illustrationen sind alle ausdrucksvoll: die Köpfe von Faust und Mephistopheles haben etwas Bedeutsames, ein scharfes vielsagendes, geistiges Gepräge. Sehr lebendig sind die größeren Gruppenbilder, der Spaziergang und besonders die Scenen in Auerbach’s Keller, in denen das wüst Bestialische einen genialen Ausdruck findet. Reizend sind die Gretchenbilder: Gretchen, welche das Blumenräthsel befrägt, Gretchen am Brunnen; überall spiegelt sich Anmuth und Lieblichkeit und stilles Glück in den Zügen des holdseligen Mädchens. Und als der Sturm die Blume geknickt hat: da gewinnen die Bilder ein anderes Gepräge, den Zug leidenschaftlicher Innerlichkeit und Zerrissenheit. Das Bild „Gretchen vor der Mater dolorosa“ bringen wir in dieser Nummer (S. 817); für die ausdrucksvolle Kunst des Zeichners giebt uns diese in innerer Zerknirschung sich verzehrende Magdalena den besten Beweis.

Auch das Werk eines neuen Dichters erscheint in einer Prachtausgabe: „Der wilde Jäger“, eine Waidmannsmär von Julius Wolff. Die G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung in Berlin hat die Dichtung mit zahlreichen Voll- und Halbbildern ausgestattet. Aehnlich wie beim Goethe’schen „Faust“ ist das dämonische Element in der Wolff’schen Dichtung stark vertreten, und so fehlt es nicht an Bildern von düsterer, gespenstischer Beleuchtung: dazwischen sind freilich auch heitere Genrebilder eingestreut und anmuthige Mädchengestalten. Das Grundmotiv, die wilde Jagd, kehrt in wechselnden Varianten wieder. Zu den anmuthigsten Gestalten der Dichtung gehört die Blumenpflückerin und Blumenspenderin Waldtraut, und die Verse, in denen ihre Waldwanderung unter den Blumen geschildert wird, das Lied, in welchem sie den Wegwart in ansprechender sinnbildlicher Beleuchtung verherrlicht, gehören zu den lyrischen Perlen der Dichtung. Als Probe der ansprechenden Illustrationen von Woldemar Friedrich bringen wir (S. 820) das Bild, das uns Wulfhild an Albrecht’s Leiche darstellt, nach der Erstürmung der Burg durch die Bauern.

Eine bisher noch nicht veröffentlichte Dichtung von Friedrich BodenstedtSakuntala“ erscheint zum ersten Male in einer Prachtausgabe, zu welcher Alexander Zick die Illustrationen geliefert hat (Leipzig, Adolf Titze). Welchen bedeutenden Eindruck das indische Drama „Sakuntala“ auf unsere großen Dichter gemacht hat, dafür liegen Zeugnisse genug vor und es hat neuerdings nicht an Bemühungen gefehlt, dasselbe auf die deutsche Bühne zu bringen, Bemühungen, die zum Theil von Erfolg gekrönt waren. Bodenstedt hat das Drama in eine poetische Erzählung aufgelöst: der originelle Reiz dieser indischen Dichtung, die gleichsam aus einem Lotosblumenkelch herausgewachsen erscheint, tritt uns in Text und Bild der neuen Dichtung lebhaft entgegen. Außer den idyllischen Bildern der Siedelei, den Begegnungen zwischen Sakuntala und dem König finden sich auch Gruppenbilder, welche das indische Leben in seiner Eigenart illustriren.

Ein Lieblingsbuch der Lesewelt: „Paul und Virginie“ von Bernardin de Saint-Pierre erscheint mit Illustrationen von M. Leloir und einer Einleitung von Professor Lotheissen in C. F. Amelang’s Verlag in Leipzig. Das Titelbild zeigt uns den Dichter dieser Robinsonade, die seit so langer Zeit das Lesepublikum aller Nationen erfreut hat. Die Vollbilder stellen meistens die eigentlichen Begebenheiten des Seeromans dar: einige tragen exotische Färbung zur Schau. Die Holzschnitte des Textes bieten mannigfache kleinere Scenen und Landschaftsbilder und schlingen einen Kranz fremdländischer Früchte und Blüthen durch das Ganze.

Rokoko“ betitelt sich eine Sammlung von Gedichten von Ludwig Ganghofer, die in einer Prachtausgabe erscheint, zu welcher Karl Schweninger 50 photographische Reproduktionen nach Gemälden geliefert hat (Wien und Leipzig, Franz Bondy). Die Gedichte sind stilvoll, fließend, schildern bisweilen in krausen Arabesken das Leben der Rokokozeit, die uns noch lebendiger in ihrem ganzen schnörkelhaften Schmuck, mit ihren Masken-, Schäfer- und Liebesscenen in stimmungsvollen Bildern entgegentritt. Wir erinnern uns bei den Ganghofer’schen Gedichten an diejenigen von Sallet und Gaudy, welche diese Rokokozeit so treffend charakterisirten. Ganghofer schließt sich ihnen mit diesen Gedichten würdig an.

Eine Auswahl aus den Werken deutscher religiöser Dichtung hat der Hofprediger Bernhard Rogge unter dem Titel „Allzeit im Herrn“ (Leipzig, Ferdinand Hirt und Sohn) herausgegeben. Einer der hervorragendsten religiösen Dichter, Karl Gerok, hat das einleitende Gedicht dazu geschrieben. Zahlreiche Holzschnitte nach Zeichnungen bewährter Künstler illustriren die Prachtausgabe: es finden sich darunter auch stimmungsvolle Landschaftsbilder und einige ansprechende Genrebilder neben denjenigen von mehr religiöser Färbung, wie denn überhaupt der Sammlung nachgerühmt werden muß, daß sie keine einseitig kirchliche Blumenlese bietet, sondern auch der weltlichen Dichtung, so weit sie religiöse Gefühle zum Ausdruck bringt, das Wort vergönnt. So finden sich neben Gerok, Spitta, Julius Sturm, Krummacher auch Geibel, Rückert, Chamisso, Uhland, Wildenbruch und selbst Heinrich Heine vertreten.

Eins der vornehmsten Prachtwerke ist das in Stuttgart im Verlage von J. Engelhorn erschienene: „Die Kunstschätze Italiens“, mit einem lebensvoll charakterisirenden Text von Karl von Lützow und ausgezeichneten Radirungen, welche den koloristischen Zauber der Originale wiederzugeben bestrebt sind. Die zahlreichen Holzschnitte führen Gemälde, Skulpturen, Bronzen u. A. vor. Die Namen der Radirer sichern dem Werke eine hervorragende künstlerische Bedeutung.

Die „Dresdener Künstlermappe“ (Dresden, Adolf Gutbier) bringt 24 Lichtdrucke nach Originalen Dresdener Künstler: es sind unter ihnen Hermann Vogel, Eduard Hübner, Eduard Leonhardi, Julius Scholtz, Albert Richter, Friedrich Preller u. A. vertreten. Die Bilder sind Aquarellstudien, Tusch- und Bleistiftzeichnungen, Kohlenkartons und enthalten ansprechende Genrebilder, stimmungsvolle Landschaftsbilder, allegorische Figuren in buntem Wechsel.

Für Freunde oberbayerischer Mundart wird die Gedichtsammlung „Der Juhschroa“ von Konrad Dreher (München, Friedrich Bassermann) um so mehr Interesse erwecken, als die 25 Illustrationen Münchener Künstler eine Reihe frisch aus dem Volksleben gegriffener meist heiterer Scenen uns vorführen.

Musikliebhabern wird das Prachtwerk „Deutsche Tondichter“ (München, 1887, Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft) willkommen sein. Dasselbe enthält zwölf Phototypen nach Originalgemälden von Karl Jäger, mit biographischem Text von Dr. E. Hanslick, dem vorzüglichen Wiener Musikschriftsteller. Die Bilder sind ausdrucksvoll, ohne daß die Portraits eine ideale Auffassung verleugnen.

In eleganter Ausstattung ist eine Sammlung von Gedichten zur Förderung deutscher Gesinnung unter dem Titel „Von deutscher Art“ von Anton Ohorn herausgegeben worden (Renger’sche Buchhandlung, Gebhardt und Wilisch in Leipzig). Sie enthält Gedichte von Arndt, Dahn, Geibel, Hamerling, Theodor Körner und Anderen mit kurzen biographischen Notizen über die Dichter und kann als ein Repertorium des deutschen lyrischen Patriotismus bezeichnet werden.

Die Leser der „Gartenlaube“ mögen indeß bei der Christbescherung ihre Lieblinge nicht vergessen, die seit langer Zeit ihnen Unterhaltung und geistigen Genuß gewähren.

Da erscheint eine Reihe von Festgeschenken im Verlage von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Es bedarf nur eines Hinweises auf die von Paul Thumann illustrirte Prachtausgabe der „Goldelse“ von E. Marlitt, jener Erzählung, durch welche die Schriftstellerin ihren weitreichenden Ruf begründet hat. Als Novität wird der Roman „Herzenskrisen“ von W. Heimburg angekündigt, der den Lesern unserer „Gartenlaube“ ja wohlbekannt ist und sich allgemeinen Beifalls zu erfreuen hatte. Von E. Werner erscheint die Novelle „Heimathklang“; die beliebte Verfasserin hat auf dem Gebiete der Novelle wie auf dem des Romans ja Hervorragendes geleistet. Der Roman von B. Renz „Nach dem Sturme“ enthält eine anziehende Schilderung der Hamburger Kaufmannswelt.

Aus dem Werk von Johannes Scherr „Bildersaal der Weltlitteratur“, bekanntlich einer Anthologie im großen Stil, ist von der Verlagsbuchhandlung der Gebrüder Kröner in Stuttgart ein Separatabdruck, „Bildersaal der deutschen Litteratur“, veranstaltet worden, welcher den vielseitigen Wünschen gerecht wird, die deutsche Litteratur möchte als ein selbständiger, für sich käuflicher Band ausgegeben werden. Dieser Wunsch ist um so berechtigter, als es sich hier nur um Originalgedichte handelt, während die übrigen Abschnitte Uebersetzungen, allerdings in gediegenster Fassung und trefflicher Auswahl, bieten.

In demselben Verlage erschienen in neuer billiger Ausgabe die „Küstenfahrten an der Nord- und Ostsee“, geschildert von Edmund Hoefer im Verein mit namhaften Reiseschriftstellern und Autoren, die in jener Gegend heimisch sind. Mit den Illustrationen von Gustav Schönleber u. A. ausgestattet, wird dies Werk sich allen Freunden des Naturlebens, der landschaftlichen Reize der Ufergegend und der See- und Marinebilder empfehlen. †      

Vor dem Nikolaustag. (Mit Illustration S. 805.) Eine Erinnerung aus seinen Kinderjahren giebt uns Mathias Schmid in der Vignette, welche das sogenannte Kerbholzschneiden darstellt. In Paznaun beschert nicht das Christkind an Weihnachten den guten Kindern, sondern St. Nikolaus. Daß man aber ein gutes Kind ist, beweist man dadurch, daß man recht fleißig betet, und je mehr das Kind gebetet hat, desto reichlicher wird es von St. Nikolaus beschenkt. Es entwickelt sich daher einige Wochen vor dem Nikolaustag (6. December) unter den Kindern ein außerordentlicher Gebetseifer, und so oft ein bestimmtes Gebet vollendet ist, wird dies von dem Kinde für St. Nikolaus durch einen Einschnitt in ein Holzstäbchen (Kerbholz) kenntlich gemacht. Am Vorabend werden diese Stäbchen an einen bestimmten Ort gelegt, damit St. Nikolaus, wenn er kommt, sich überzeugen kann, ob und wie viel er bescheren soll. In banger Erwartung stürzt dann am Morgen die Kinderschar an die Stelle und fällt über die Aepfel und Nüsse, das Backwerk und die Spielsachen her. Niemand ehrt St. Nikolaus höher, als die überglücklichen Kinder.

Tafelmusik. (Mit Illustration Seite 809.) Edmund Herger’s Familienbild stellt uns eine der seltsamsten Mutterfreuden vor. Nur Freude ist’s, die aus dem Antlitz der jungen Mutter und eben so verständlich und verständig aus dem der Großmutter spricht, während die Geschwister über die Wehlaute des Brüderchens noch zweifelhaft sind, die Männer aber offenbar dieser Tafelmusik weniger Geschmack abgewinnen können. Wir haben hier eine der weisesten Einrichtungen der Natur zu bewundern. So lange das Kind nicht sprechen kann, ist es das scharfe Auge und das feine Ohr der Mutter, womit sie aus der Art der Bewegungen der Glieder und der Art der Schreilaute das Bedürfniß des Kindes erkennt. Sie weiß sofort, ob ihr Kindchen aus wirklichem Leiden schreit und wo sie den Sitz oder die Ursache der Schmerzempfindung zu suchen hat. In dem vorliegenden Fall ist’s unzweifelhaft, daß ein kerngesunder Hunger das kleine, stramme Bürschchen auf dem Schoße der Mutter zum Schreien zwingt, weil trotz des Fütterns das Schmerzgefühl des Hungers es noch quält und weil ihm eben deßhalb das Füttern nicht geschwind genug geht. Die etwa auftauchende Vermuthung, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_819.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2024)