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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

am andern Tage wieder zugestellt und gestern sei ihm dasselbe von einer unbekannten Person zum Verkauf angeboten worden. Ist es so?“

Meine Augen hingen wie gebannt an Jascha’s Gesicht; ich wußte ja, es war ihr Kreuz.

Sie rührte sich nicht.

„Jascha!“ murmelten einige von uns, „Jascha, es ist ja das Ihre!“

„Jascha!“

Sie hob die Wimper und sah zur Frau Doktor auf. „Es gehörte mir,“ sprach sie leise.

„Verloren Sie es?“ forschte Frau Doktor gütig.

„Nein!“

„Wie kam es in die Hände einer Fremden?“

„Ich hatte kein Geld und sie bat mich um Unterstützung,“ brachte Jascha mühsam hervor.

„Kein Geld! Und Sie sind eine von Denen, die über das reichhaltigste Taschengeld verfügen?“

Sie wurde purpurroth und schwieg.

„Sie hatten wohl Ihr Portemonnaie vergessen?“

Das Mädchen nickte.

„Nun, da nehmen Sie Ihr Kreuz und händigen Sie Levysohn eine kleine Summe ein für die Person, wenn sie wiederkommt. Er hat ihr nämlich gesagt, er müsse das Kreuz erst taxiren. Sei so freundlich, Liddy,“ wandte sie sich an die jüngste von uns, „und bitte Herrn Levysohn hierher.“

Das junge Mädchen flog davon und kam bald zurück, gefolgt von dem kleinen jüdischen Händler, der, den Hut in der Hand, die possirlichsten Verbeugungen nach allen Seiten machte.

Jascha hatte sich erhoben. Das Kreuzchen in der Hand, trat sie dem Mann entgegen.

„Welchen Werth hat dieser Schmuck, mein Herr?“ fragte sie leise.

„Nun, was wird er sein werth? Hätte ich ihn der Frau abgekauft, so würde ich gezahlt haben drei Thaler höchstens, allerhöchstens drei Thaler, gnädiges Fräulein.“

„Drei Thaler? So wenig?“ stammelte sie erschreckt.

„Nicht einen Groschen mehr; es ist hohl und die Türkisen haben keinen Preis; der Werth steckt in der Arbeit, und kann ich doch nicht bezahlen die Arbeit, ich bezahle nur das Gold.“

„Sie wollen den vollen Werth geben, Jascha?“ fragte Frau Doktor freundlich, als sie sah. wie das Mädchen aus ihrem Portemonnaie mehrere Silberstücke nahm. „Für eine fremde Bettlerin ist es ein wenig opulent, wie?“

„O, sie sah so bedrückt aus,“ murmelte Jascha.

„Nein, nein, sie sah nicht aus bedrückt, sie sah aus abenteuerlich,“ fiel eifrig Herr Levysohn ein. „Gott soll’s wissen. habe ich gesagt zu meinem Sahrchen, wenn die nicht ist weggelaufen von den Kunstreutern, so bin ich nicht der Levysohn aus dem Rathhausgewölbe. Lauter seidenes Gelump um den mageren Leib. falsche Haare und Schminke und ein Blick, als wäre sie meschugge. Geben Sie nur einen Thaler, gnädiges Fräulein, und sie wird sich freuen, wird sich sehr freuen. Ich weiß schon, weiß schon, gnädiges Fräuleinche,“ fuhr er beschwichtigend fort, als Jascha ihm einen Schritt näher trat mit einem förmlich drohenden Ausdruck in den Augen, „junge Lait in Ihrem Alter haben mildthätiges Wesen. aber keine Erfahrung; sie glauben Alles. Nun, mir soll’s recht sein, geben Sie her die Thaler!“

Und die Rechte ausstreckend empfing er das leise klirrende Geld aus Jascha’s Hand.

„Mag’s Ihnen Segen bringen,“ setzte er hinzu. „Empfehle mich, meine Damen, und wenn die hochgeehrten Fräuleins gelegentlich bei meinem Laden vorübergehen wollten, ich habe Neuheiten feinsten Genres. Armbänder, wie sie sich die Freundschaft schenkt, Herzchen von Gold für Photographien eingerichtet, echte Georgenthaler, wenn Eine hat ’nen Bruder oder Bräutigam, der viel reitet zu Pferde.“

Unter diesen Anpreisungen ging er rückwärts den Gartensteig entlang, vom Lachen und den Versprechungen der Mädchen begleitet.

Dann ward es still in unserem Kreise. Jascha war zu Frau Doktor getreten und hatte mit halblauter Stimme gefragt, ob sie sich zurückziehen dürfe, sie habe Kopfweh. Sie ging gleich darauf, die Hand an die Schläfe gepreßt, in das Haus.

Wir blickten ihr sämmtlich nach, auch Frau Doktor, und ein leises Schütteln ihres Kopfes entging uns nicht. Alle warteten wir gespannt, ob sie Etwas sagen würde über Jascha Ponianska; aber sie senkte ruhig ihre Augen auf den blüthenweißen Strickstrumpf in ihrer Hand und bat: „Olga, gieße Kaffee ein, und nun wollen wir über Eure Toiletten berathschlagen. Ich denke, Ihr nehmt Alle weiße Spitzen und wählt nur die Schärpen und Unterkleider nach Eurem Geschmack.“

Sie brachte uns damit schnell und ganz auf andere Gedanken. Und als sie nach einem Weilchen aufstand und strickend langsam in das Haus schritt, dachten wir wohl an bunte Bänder, hatten aber Jascha völlig vergessen.

Irgend eine von uns schlug vor, ins Städtchen zu gehen und bei der Putzmacherin die Bandvorräthe und Blumen zu inspiciren, um, falls diese nicht genügten, Bestellungen bei ihr zu machen. Ich wurde ersucht, hinauf zu gehen und um Erlaubniß zu fragen. In ihrem gemüthlichen Wohnzimmer war Frau Doktor nicht, auch nicht im sogenannten Salon. Mademoiselle, die Französin, an deren Thür ich klopfte, lag längelang auf ihrer Chaise longue mit einem Buche in der Hand; sie hatte Migräne und antwortete nur ein verdrießliches: „Non, non, voyez donc –“

Miß Marten, meine halbe Landsmännin, lächelte, wie aus einem Traum erwacht, mit allen ihren falschen Zähnen. Sie war beschäftigt mit der Uebersetzung eines deutschen Romans in die englische Sprache und schüttelte stumm ihre langen Locken bei meiner Frage. Nun, sie wird ausgegangen sein. dachte ich und schritt den Korridor hinab zu meinem und Jascha’s Zimmer, um meinen Sonnenschirm zu holen. Die Thür war nur angelehnt und heraus klang Frau Doktors tiefe sanfte Stimme:

„Ich mußte Ihnen das sagen, Jascha; Ihre Frau Großmutter hat mich aufmerksam gemacht auf diesen Ihren Fehler; Sie haben wiederholt Ihre Großmutter um größere Summen gebeten und heute schrieb sie mir, daß sie Ihnen von jetzt ab Nichts weiter geben würde, als Ihr bestimmtes Monatsgeld, weil Sie eine entschiedene Anlage zur Verschwendung besitzen. Ich bitte Sie, Jascha, sagen Sie mir, wozu gebrauchen Sie all dies Geld? Ich sehe doch nicht. daß Sie Toilettenausgaben machen, Sie kaufen sich auch nicht theure Bücher, für Parfüms, Handschuhe und Briefpapier können Sie hier doch am Ende auch nicht soviel ausgeben?“

Ich hatte schon zu lange gehorcht und flog eilends zurück. Drunten beschlossen wir, den kleinen Gang ohne die feierliche Erlaubniß zu thun, und drängten uns zu diesem Zweck zu Vieren, die auserwählte Deputation, durch die Buchenhecke, um den kürzeren Weg durch den Schloßgarten zu wählen, und uns lebhaft unterhaltend gingen wir die prächtige Kastanienallee entlang, durch deren Laubgewirr die Sonnenstrahlen gleich Funken blitzten. Wie immer, herrschte eine vollständige Einsamkeit und Stille hier; zum Spazierengehen fanden die Bürger des Städtchens nicht Zeit an Werktagen, es war gar nicht Mode. Frau Doktors Pensionsdamen und der alte taube Oberst von D., der alle Tage die nämliche Promenade machte, waren für gewöhnlich die einzigen Besucher des köstlichen Gartens, um so wunderbarer erschien es, als Olga plötzlich rief: „Himmel, da sitzt aber eine komische Dame!“

Wir blickten beim Näherkommen Alle hinüber zu der Bank, auf der eine weibliche Gestalt saß, und unsere Augen mochten wohl vor Erstaunen immer größer werden, denn sie sah allerdings putzwunderlich aus. Sie trug einen mächtigen Rembrandthut mit einer schwarzen Straußfeder, die einst bessere Tage gekannt haben mochte; jetzt hing sie ziemlich geknickt über den Rand des Hutes hinweg. Blonde Ponyhaare waren in die Stirn eines entsetzlich mageren Gesichtes gekämmt, das im bläulich weißen Puderglanz leuchtete; die Augenbrauen dunkel gezogen wie mit einem Pinsel, die Wangen, das Kinn, die Ohrläppchen jugendlich rosa angehaucht, und doch so alt, so entsetzlich verlebt und krank schaute dieses Antlitz durch das kokette weiße Halbschleierchen. Dazu ein fadenscheiniges schwarzseidenes Kleid von längst vergangener Mode, eine bunte römische Schärpe als Umhang über die Taille; Schuhe, die einstmals hochelegant gewesen sein mochten, jetzt aber kaum noch in ihren Nähten zusammenhielten, und gewebte Handschuhe. So saß sie da, mit einem zerschlissenen Sonnenschirm in den Kies zeichnend, auffallend und abstoßend zugleich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 862. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_862.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2023)