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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

auslassen hätt’. Die stärksten Bäum’ hat’s Dir hing’worfen wie d’ Waizenhalm’ – und a Krachen war’s – zum Schaudern und Grausen. Und ich – ich will noch auf’s Deandl zuspringen – und da wirft’s mich über a Wurzen – an Kracher hör’ ich hinter mir – und hör’ an Schrei und g’spür’ noch, wie mich ’s Deandl auf d’ Seiten reißt – und da saust der Baum mit die ganzen Aest’ schon nieder neben meiner – und – wie ich aufschau’, fallt mir ’s Deandl schon in d’ Arm’ – kaasweiß im G’sicht – voller Blut am linken Schlaf – und aufg’schnauft hat s’ noch an einzigs Mal – und ang’lacht hat s’ mich noch im letzten Schnaufer. Und überstanden war’s – ja – überstanden!“

In tonlosem Gemurmel verloren sich seine letzten Worte, und seine Gestalt versank in sich, als hätte sich eine drückende Last auf seine Schultern gesenkt. Er schien es kaum zu merken, daß Karli unter stammelnden Worten seine Hände ergriff, daß er ihn niederzog auf die Holzbank, daß er sich an seine Seite setzte und unter Thränen unermüdlich auf ihn einsprach, bald in lautem Jammer und bald in herzlichem Troste.

„Und Recht, Götz, Recht hast g’habt, daß gleich auf uns ’denkt hast,“ so sprudelte es nach all diesen Reden von Karli’s Lippen. „Und jetzt bist da! Und da giebt’s kein Fortgehn nimmer! Der Vater und ich und mein’ Sanni – ja, denk’ Dir, Götz, am Lichtmeß hab’ ich g’heirath’ – und d’ Sanni, Du, da wirst schauen, wenn mein’ Sanni siehst – und g’wiß, Götz, g’wiß – wir Drei, wir werden’s an gar nix fehlen lassen, daß bei uns Dein’ Ruh wiederfindst, und a Trösten – Du armer Kerl, Du!“

Mit trübem Lächeln schüttelte Götz den Kopf und löste seine Arme aus Karli’s Händen.

„Ruh und Trost? Und bleiben? Na, Karli, das is a verlorenes Wort! Daß ich das Blattl dort ’bracht hab’, war mein’ ganze Schuldigkeit. Und jetzt liegt’s da – mein G’schäft is aus – und so kann ich ja wieder gehn!“

„Na, Götz, na, und tausendmal na! Ich laß’ Dich nimmer fort! Da giebt’s amal nix! Und wann der Vater mit meiner Sanni heimkommt –“

„Laß gut sein, Karli! Ich hab’ schon mein’ Platz. Mein Deandl und ich – wir g’hören z’samm! Und übrigens – ich kann net bleiben – ich hab’ ja noch an andern Gang. Mit mir hat ’s G’richt noch a Wörtl z’reden – von wegen mei’m falschen Nam’ und meine falschen Zeugniss’ –“

„Aber Götz! Götz! Ja was hast denn jetzt da im Sinn? Wer hat Dich denn g’fragt danach?“

„Ich will amal sauber machen mit mir! Und fertig will ich sein mit Allem, ehvor ich heimgeh’ zu mei’m Deandl.“

„So? Fortgehn? So? Jetzt sage ich Dir ’was! Da – da bleib’ ich sitzen, und nimmer laß ich Dich aus, bis der Vater und d’ Sanni heim kommt!“

„Dein Vater? Weißt es denn nimmer, wie er g’sagt hat? D’ Leut’ – d’ Leut’ halt, hat er g’sagt. Schau, Karli – und wann ich schon an sonst nix denken müßt’ – es wär’ a Sünd’ von mir, wann ich mein Elend und mein ’brochens Leben Dei’m Glück vor d’ Füß’ hinsetzen möcht’. Ich hab’ in der selbigen Nacht den Unfried’ mit fort’zogen aus Dei’m Haus – sollt’ ich ihn mit mir wieder ’reinführen jetzt? Unfried’ – ja – den Unfried’ habt’s mein Deandl g’heißen, ich aber, ich hab’ s’ mein’ Frieden g’heißen – mein lieben Fried’. No ja, der Herrgott wird schon wissen, warum er ihn mir net länger vergönnt hat – mein Fried’ – als g’rad a Jahr. Daß ich a Unrecht thu’ – ich hab’ mir’s g’sagt in der selbigen Nacht – aber daß ich gar so schwer drum büßen muß –“

Götz verstummte. Mühsam drückte er sich am Tisch in die Höhe, starrte mit nassen Augen gegen die Mitte der Stube, streckte die zitternde Hand und schluchzte: „Da – schau, Karli – g’rad an dem Fleckl da hat s’ gestanden, wie s’ mir selbigsmal ihr Hand hin’boten hat – die erste von allen –“

Seine Worte erloschen, und wankend tastete er nach dem Tische. Erschrocken sprang Karli an seine Seite. „Ja mein Gott – was is Dir denn auf amal?“

„Nix – gar nix! Müd’ bin ich halt a Bißl – müd’. Drei Tag schon bin ich am Weg’ – und heut’ – heut’ bin ich g’radaus ’gangen seit in der Fruh!“

„Jesses na! Ja wie hast denn so ’was vermocht? Und weßwegen hast denn nix g’sagt? So setz Dich doch nieder! Und geh – jetzt schau ich gleich um ’was z’essen und um an frischen Trunk.“

Unter diesen Worten rannte Karli schon der Thür zu: „Nannei! Nannei!“ schrie er in den Flur hinaus. Da draußen aber blieb Alles still. „Macht nix – so schau ich mich halt selber um!“ Er holte das Licht vom Tische, raffte ein Deckelgas vom Schranke und eilte aus der Stube.

In zitternder Hast erhob sich Götz. Er hörte die Kellerthür gehen und hörte Karli’s Tritte über die steinerne Treppe hinunter klappern.

„Fort – fort jetzt! Oder ich könnt’ die rechte Zeit verpassen – bei ihm – und ’leicht auch bei mir!“

So murmelte er in das Dunkel, das ihn umgab, tastete nach seiner Mütze, griff nach dem Stock und schwankte der offenen Thür zu.

Aufathmend trat er in den Hof. Schon wollte er sich gegen die Straße wenden, als er in der Nähe des Zaunes eine kichernde Stimme hörte. Erschrocken eilte er nach der Gartenseite am Haus entlang und drückte sich hinter eine Mauerecke.

Der alte Pointner und Sanni betraten den Hof. Unter der Hausthür stießen sie auf Karli, der eben aus dem Keller kam.

„Vater – so denk’ Dir g’rad – der Götz is da!“

„Was! Der Götz?“

„Ja – und – und kannst Dir auch denken, was er ’bracht hat –“ Da dämpfte sich Karli’s Stimme zu leisem Flüstern.

„Jesus Maria!“ hörte man den Pointner rufen. „Ja, kann’s denn wahr sein!“ Die Sprache verging ihm, bis er sie nach kurzem Schweigen unter schluchzendem Stottern wieder fand. „Der Herr gieb ihr die ewige Ruh’! Schad’, Karli – schad’ is dengerst drum!“

Götz trat aus seinem Versteck hervor.

„Ja – freilich schad’!“ stieß er mit gebrochenem Lachen vor sich hin. Einen letzten Blick noch warf er auf die helle Thür, dann eilte er mit hastigen Schritten dem Garten zu. Während er unter dem Schleier der stöbernden Flocken sich keuchend aufwärts mühte über den steilen, tief beschneiten Wiesenhang, hallte hinter ihm schon Karli’s Stimme: „Götz! Götz! Götz!“

Je lauter und dringender diese Rufe tönten, desto rascher flüchtete jener, dem sie galten, dem hohen Walde zu. In großen Klumpen hängte sich der Schnee an seine Füße; schwerer und schwerer ging sein Athem, immer wieder sank er in die Kniee, immer wieder raffte er sich auf und stürmte weiter, höher und höher, bis er den Waldsaum erreichte. Mit beiden Armen klammerte er sich an den ersten Baum, um vor Erschöpfung nicht umzusinken. Noch hatte er nicht ruhigen Athem gefunden, da stieg er schon wieder bergan, mühte sich durch wirres Gestrüpp und arbeitete sich von Baum zu Baum, überschüttet von den dicken Schneemassen, die aus dem schwankenden Gezweige klatschten. Auf seinem Gesichte stand der Schweiß, und dennoch fühlte er eine schauernde Kälte an seinem ganzen Leibe.

Nun erreichte er einen schmalen, quer über den Berghang ziehenden Pfad. Hier hielt er inne. Die Müdigkeit lag ihm wie Blei in den Gliedern. Und noch drei Stunden bis zu dem Dorfe, in dem er zu nächtigen gedachte! Er mußte eine Weile rasten, um seine schwindenden Kräfte wieder zu sammeln.

An der Stelle, auf welcher er stand, scharrte er den Schnee von der Erde, ließ sich nieder und lehnte den Rücken gegen einen Baum. Mit langsamen Blicken folgten seine Augen dem weißen Pfade.

Vor einem Jahr, da war er diesen gleichen Weg gegangen – mit ihr! Und damals hatte sein Weg ein Ziel gehabt, welches ihm das leere Herz mit stürmischem Leben füllte. Und nun!

Aufseufzend schlug er die Hände vor das Gesicht.

Dann wieder ließ er die Arme sinken. Er schloß die Lider – das kühlte ihm ein wenig die Augen, die wie Feuer brannten. Wie that seinem entkräfteten Körper diese Ruhe so wohl!

Er rührte sich nicht und athmete in langen, tiefen Zügen.

Und seltsam! Er wußte doch genau, woher er kam – vom Pointnerhofe – und dennoch war es ihm, als käme er aus dem winterlichen Bergwald, die Axt auf der Schulter, das Griesbeil in der Hand. Und wie leicht und flink sich auf dem weichen, weißen Schnee das Gehen machte! Er spürte kaum seinen Körper. Dieses Gehen war wie ein sanftes Gleiten, fast wie ein Fliegen. Wenn nur diese Flocken, diese riesigen Flocken nicht wären, die sich ihm mit so eisiger Kälte auf Hände und Wangen legen. Und von den Stellen aus, an denen diese Flocken schmelzen, geht es ihm wie scharfe, kalte Nadeln ins Blut. Wie macht es ihn da so froh, als er sein Haus erreicht und über und über beschneit in das matt erhellte Stübchen tritt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 894. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_894.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)