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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

hier durchaus bestätigt. Während in den oberen Schichten nur eine Wärme von 8 bis 10 Grad herrschte, konstatirte man auf dem Grunde des Loches eine Temperatur von 48 Grad Celsius, bei welcher ein Mensch nur unter besonderen Vorsichtsmaßregeln einige Minuten lang existiren könnte, da bekanntlich eine Erwärmung des Blutes bis auf 42 Grad bereits den sicheren Tod zur Folge hat. Der Mensch selbst wird also niemals bis zu bedeutend tieferen Schichten der Erde hinabgelangen können. Trotzdem dürfen wir aber, wegen der überall ausnahmlos vorgefundenen Steigerung der Temperatur nach unten (wenngleich dieselbe in verschiedenen Bergwerken in sehr verschiedenen Progressionen vor sich geht) mit Bestimmtheit schließen, daß dieselbe auch in größeren Tiefen so weiter fortschreitet, und da man die sogenannte „geothermische Tiefenstufe“, das heißt die Anzahl von Metern, um welche man hinabsteigen muß, um einen Grad Celsius Temperatursteigerung zu beobachten, im Mittel aus vielen Messungen etwa zu 33 Metern veranschlagen kann, so ergab ein der damaligen Anschauung entsprechendes einfaches Rechenexempel, daß bereits in einer Tiefe von etwa zwei Meilen eine Hitze herrschen müsse, bei welcher die meisten uns bekannten Stoffe in glühenden Fluß übergehen. Bei 6 bis 8 Meilen aber müßten selbst die am schwersten schmelzbaren Stoffe, wie beispielsweise Porcellanerde, die bei 1700 Grad flüssig wird, im Körper der Erde ein gluthendes Meer bilden.

Daß sich in Wirklichkeit die Sache so verhalten sollte, daß wir nämlich auf der Schale eines Eies spazieren gehen, dessen Inneres eine wahre Hölle aus glühenden Lavaströmen sei: das haben wir Alle längst in der Schule erfahren, und seit ich das wußte, habe ich immer heimlich gezittert, wenn einmal einer meiner Kameraden diese zerbrechliche Eischale in trotzigem Uebermuthe mit Füßen stampfte. Selbst später, da ich als junger Mensch einmal den ausgebrannten Krater der Solfatara bei Neapel besuchte und der Erdboden, welcher sich wie der Deckel über einen Topf mit kochendem Wasser über die alte Feueresse gelegt hat, hier und da an den Seiten zischenden Dampf durchlassend, gar dumpf und hohl erdröhnte, wenn man einen schweren Stein mit Wucht gegen ihn aufprallen ließ, selbst damals überkam mich noch dieses seltsame Gefühl der Unsicherheit, als müsse hier bereits einige Meter unter mir ein schrecklicher Schlund sich wölben, der unmittelbar in das unermeßliche Flammenchaos des flüssigen Gluthmeeres unter uns führt.

Offenbar war es ja auch das Nächstliegende, die Thatsachen so zu deuten, wie es uns der Lehrer angab. Wir erblickten ja in den Vulkanen „Sicherheitsventile“, welche dafür sorgen sollten, daß die Erde nicht plötzlich einmal mit einem entsetzlichen Krach von den Mächten des Feuers aus einander gesprengt werden konnte, und aus diesen Vulkanen sahen wir ja wirklich glühend flüssiges Gestein hervorquellen. Das mußte natürlich unmittelbar aus dem Gluthmeere im Innern heraufgedrängt worden sein, weil sich die äußere Kruste langsam abkühlen, dadurch aber enger werden und den heißen Kern einschnüren muß, bis er sich in solch gewaltigen Ausbrüchen Luft macht. Wie durch das Emporbrausen der flüssigen Gesteinmassen und durch die Dampfexplosionen, welche das hereinsickernde Wasser erzeugt, die Erde auf weite Strecken hin erzittern kann, wie ferner ähnliche Vorgänge, welche nicht ganz bis an die Oberfläche gelangten, Erdbeben hervorbringen können, selbst wo sich kein sichtbarer Vulkan befindet, das Alles war am Ende beinahe unmittelbar zu begreifen.

Aber wir müssen uns daran gewöhnen, jene Ansichten von der Natur, welche wir in unserer Jugend liebgewonnen haben, eine nach der anderen preiszugeben. Die Naturwissenschaften haben seit zehn oder zwanzig Jahren fast in allen ihren Verzweigungen so gewaltige Fortschritte gemacht, so fundamental verändernde Grundideen sind über das Weltgefüge ausgesprochen worden und haben sich allgemein Geltung zu verschaffen gewußt, daß von dem alten Baue schlechterdings fast gar Nichts mehr als das Material, die einzelnen Bausteine noch vorhanden sind, die zu einem ganz neuen Gebäude zusammengefügt werden mußten. In besonderem Maße fällt diese neubildende Aufgabe der modernen Geologie zu, und ich muß die Leser bitten, ehe ich weiter erzähle, zunächst mit den alten Ansichten im Geiste gründlich aufzuräumen.

Vor Allem glaubt kein Forscher der Neuzeit mehr an die Eischale. Die Erdkruste ist im Gegentheil ohne Zweifel sehr dick. Die Bescheidensten nehmen einige fünfzig Meilen an; Einige aber gehen – auf wissenschaftlicher Forschungsbasis – bis 200 Meilen, und es giebt sogar Untersuchungen, welche eine vollkommen solide Erdkugel für sehr wahrscheinlich erklären.[1]

Zunächst zeugt nämlich, genauer besehen, die Temperaturzunahme des Erdreichs in der Tiefe durchaus nicht für einen glühend flüssigen Kern. Dieselbe Zunahme findet auch statt, wenn man sich in horizontaler Richtung durch einen Berg wühlt, wie man es bei Tunnelbauten thut. Dann richtet sich die Wärmeerhöhung genau nach der Höhe der überliegenden Gesteinsschichten. So fand man beispielsweise im Gotthardtunnel unter der höchsten Bergkuppe, als eine Schicht schwerer Gesteinmassen von 1700 Metern Mächtigkeit über den Häuptern der kühnen Eindringling ruhte, eine Temperatur des Gesteins von mehr als 30 Grad an, während bei Göschenen, etwas hinter dem Eingange des Tunnels, dasselbe Gestein eine von den äußeren Einflüssen unabhängige Temperatur von nur 8 Grad aufwies. Und doch war man im Innern des Tunnels dem Erdmittelpunkte um keinen Schritt näher als am Eingange. Die Temperatur wechselte, stieg und fiel in der ganzen Länge des Tunnels mit den Linien des Profils des über ihnen lastenden Gebirges. Es war kein Zweifel, daß die herrschende Wärme nur eine Folge des ungeheuren Druckes der überlagernden Gesteine sein konnte.

Dieser Druck wächst eben so regelmäßig mit der Tiefe, wie die Temperatur, und wir sind durch gar keine Anzeichen oder irgend einen haltbaren logischen Schluß berechtigt, anzunehmen, daß auch nur ein Theil der dort unten angetroffenen Wärme aus einem glühenden Kerne zu uns heraufstrahle. Bei streng mathematischen Untersuchungen über die Sonne hat man sogar ermittelt, daß der innere Druck in dieser gewaltigen Gaskugel heute noch viel mehr Wärme erzeugt, als sie in das Weltall zu unserm Nutz und Frommen ausstrahlt. Die Sonne wird also im Innern beständig heißer; sie giebt von innen keine Wärme an die Oberfläche ab. Bei der Erde liegen die Verhältnisse wohl etwas anders und man darf annehmen, daß sie sich in der That allmählich abkühlt und daß sie einstmals selbst bis zu ihrer Oberfläche glühend heiß gewesen ist; aber wir besitzen hierfür heute durchaus keine anderen Beweise mehr, als in der bekannten Entstehungsgeschichte der Planeten, welche einst Kant und Laplace ausdachten, begründet liegen. Darnach muß sich die Erde einmal als Gasball von der Sonne losgelöst und folglich damals die Temperatur der letzteren besessen haben. Die Urgesteinsschichten aber, welche wir zutiefst in der Erde ruhend finden, der Granit, Gneiß, Porphyr, welche allerdings mit der flüssigen Lava die meiste Aehnlichkeit haben und den ersten Panzer darstellen sollten, welcher sich über dem glühend flüssigen Ball erstarrend ausspannte: diese Urgesteinsschichten sind inzwischen eben so wohl als Ablagerungen aus Urmeeren erkannt, wie die überliegenden Schichten; nur daß sie durch den ungeheuren Druck, welcher ehedem über ihnen lastete, halb zerschmolzen, halb auskrystallisirt und alle Reste organischer Wesen in ihnen zertrümmert werden mußten.

Zugegeben, wird man erwiedern, daß dieser Druck die in der Tiefe herrschende Wärme erzeugt; dann muß sich aber doch dieselbe eben so andauernd steigern, als ob sie von innen her erzeugt würde, und es muß eine Tiefe geben, in welcher diese Hitze alle Gesteine in glühenden Fluß versetzt. Wir werden also durch die neuen Ansichten auf den alten Fleck zurückgeführt.

Die Frage ist aber, in welcher Tiefe dieser Fluß nach unseren neuen Ansichten eintritt, und hier liegt eben der wesentliche Unterschied. Obgleich es beispielsweise zweifellos ist, daß die Sonne an ihrer Oberfläche aus sehr leicht beweglichen Gasen besteht, halten doch die meisten Sonnenforscher dafür, daß dies in ihrem Innern keineswegs der Fall ist. Der ungeheure Druck hemmt die Atome in ihrer freien Beweglichkeit und es entsteht dadurch ein seltsamer Zustand, den man weder gasförmig, noch flüssig, noch fest nennen kann, der mit dem letzteren Eigenschaftsworte aber wohl beinahe am besten bezeichnet wird, weil ein Ding, dessen einzelne Theile sich gegen einander nicht verschieben lassen, für fest gilt. Solch „kritischer“ Zustand muß offenbar auch im Erdinnern herrschen.

In kleinem Maße sehen wir ähnliche Erscheinungen in unseren Laboratorien. Unter höherem Drucke bedarf es auch einer höheren Temperatur, um einen Körper zum Schmelzen zu

  1. Lesern, welche in die Theorien und Ansichten der modernen Geologie tiefer eindringen möchten, ist das vor Kurzem komplett erschienene, ganz vorzügliche Werk von Neumayr, „Erdgeschichte“, auf das Wärmste zu empfehlen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_010.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2018)