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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Der gute Muth des deutschen Soldaten.
Von Fritz Klien. Mit Originalzeichnungen von O. Gerlach.

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Eine Fülle kecker Lebenslust steckt in unserm deutschen Soldaten. Man findet sie allerdings nicht bei militärischen Uebungen, wenn die starren schweigsamen Linien unseres Heeres sich scheinbar mechanisch und von einem unsichtbaren Willen gelenkt, den Bestandteilen einer Maschine gleich hin und her bewegen. Dann behält die strenge Manneszucht die Oberhand; der Humor kommt in freieren Stunden zur Geltung. Er klingt aus den Soldatenliedern; er verkürzt die langen Märsche; er macht das schlechteste Quartier, das verregnetste Bivouak erträglich. Auch bei Gelegenheiten, wo sich der Soldat „fein“ macht, wo er sich in „Extra“ wirft, um, seinen Schatz am Arm, ein militärisches Fest zu feiern, genügt ihm nicht Tanz und ein tüchtiger Trunk allein; nein, er will auch Etwas haben, worüber er lachen kann. Und was das Beste ist, dieser Humor entwickelt sich frei vor den Augen der Vorgesetzten; er fügt sich willig ein in die Grenzen militärischer Zucht und soldatischen Anstandes, er ist ein trefflicher Prüfstein für den guten Geist einer Truppe.

Wer einmal so einen Marsch in glühender Sonnenhitze mitgemacht hat – dicker Staub rings umher, keine Gelegenheit zu einem frischen Trunk weit und breit, wohin man sieht, ernste schweißtriefende Gesichter: der weiß es wohl zu schätzen, wenn sich endlich, endlich der Humor durchringt und es, zunächst noch etwas melancholisch angehaucht, in die schwüle Luft klingt:

„Was nützet mir ein schönes Mädchen,
Wenn Andre mit spazieren gehen
Und küssen ihr die Schönheit ab,
Woran ich meine, woran ich meine
      woran ich meine Freude hab.“

Aber es ist doch schon Etwas; der Bann ist gebrochen; die gedrückten Gestalten richten sich auf; das Auge wird lebhafter. Von Minute zu Minute klingen die Kehlen frischer und lustiger und immer mehr Stimmen fallen ein, und ehe man es sich versieht, ist man bei dem Lied angelangt, welches nur erklingt, wenn die Stimmung in der Kompagnie eine ganz vortreffliche ist, wenn das gefürchtete große Buch des Feldwebels lange Zeit zwischen dem dritten und vierten Knopf stecken geblieben ist, wenn der gestrenge Herr Hauptmann friedlich seine Cigarre raucht und für Den und Jenen ein freundliches Wort hat:

„Unser Hauptmann, der ist gut,
Wenn man ihm den Willen thut;
Aber hat man was verbrochen,
Wird man gleich ins Loch gestochen.
     Tschumderassassa, Tschumderassassa.

Morgens aus dem Scheibenstand,
Schießt man eine in den Sand,
Fängt der Hauptmann an zu fluchen:
Wart, der Kerl soll Kugeln suchen.
     Tschumderassassa, Tschumderassassa.“ etc.

Verstohlene Blicke fliegen zu dem Gestrengen hinüber. Er schmunzelt auf seinem Fuchs vergnüglich vor sich hin. Allgemeiner Jubel. Nun ist alle Hitze und Müdigkeit vergessen; jetzt braucht der Hauptmann nicht mehr zu fürchten, daß einer seiner Leute „schlapp“ werden wird.

Verregnetes Bivouak.

Nicht nur gegen Hitze, sondern auch gegen Kälte und anderes Ungemach findet der gute Muth des deutschen Soldaten – eine treffliche Verdeutschung für Humor – seine Mittel. Ein kühler Herbstmorgen nach einem Bivouak ist ein eigen Ding. Der frische kalte Thau liegt auf den Gräsern und macht alle Mühe, die man sich soeben mit seinem Schuhwerk gegeben, werthlos. Die Kompagnie steht fröstelnd umher, die Hände in den Hosentaschen vergraben; übernächtige Gesichter, wohin man blickt.

„J“, ruft Einer, der es gewohnt ist, den Ton in der Kompagnie anzugeben, „wollen uns doch ein Bischen Bewegung machen.“

„Jawohl,“ tönt es von allen Seiten, „Frischwachs, Frischwachs!!“

„Was ist denn Frischwachs?“ fragt so ein junger Rekrut.

„Warte, mein Sohn, sollst es gleich kennen lernen,“ meint der Aeltere. Schnell bildet sich ein Kreis um den jungen Krieger, und voll Vertrauen giebt dieser dem Druck, der ihm den Kopf nach unten biegt, nach. Plötzlich fühlt er einen empfindlichen Schlag. Er fährt entsetzt empor und blickt in lauter fröhliche Gesichter, und aus achtzig Kehlen schallt es ihm entgegen. „Wer war’s?“

Der Aermste weiß es nicht, und das Spiel wiederholt sich. Aber Noth und körperlicher Schmerz machen erfinderisch. Bald trifft er den Missethäter, der nun an seine Stelle tritt. Das nächste Mal fragt er aber sicherlich nicht wieder: „was ist denn eigentlich Frischwachs?“ Wenn jetzt das Kommando „An die Gewehre!“ erschallt, dann ist die Kompagnie so warm und frisch, als hätte sie im schönsten Bett geschlafen.

Kommt man während des Manövers aber erst mit andern Truppentheilen zusammen, dann bricht die gute Laune des deutschen Soldaten mit Macht hervor. Je mehr buntes Tuch zusammenkommt, um so mehr fühlt sich der Soldat in seinem Element, um so stärker kommt es ihm zum Bewußtsein, wie stolz er ist, ein Mitglied unseres prächtigen Heeres zu sein.

Fast jedes Regiment hat seinen Spitznamen und trotz aller guten Kameradschaft giebt es auch hier Sympathien und Antipathien. Zumeist sind die ersteren auf die Kriege unseres Vaterlandes zuruckzuführen. Die große Zeit von 1870 bis 1871 ist Gottlob auch in diesen jungen Generationen lebendig geblieben, und Gefahren, welche die Altvordern im Rock des Königs gemeinsam bestanden, bilden auch für die noch bartlosen Nachkommen einen unverbrüchlich festen Kitt.

In manchen Regimentern begrüßen sich befreundete Truppentheile mit einem fröhlichen weithin schallenden „Lehmug“, ein Wort, über dessen Abstammung und Bedeutung die Gelehrten noch durchaus uneins sind. Keine Husarenschwadron reitet an einer Jägerkompagnie vorüber ohne ein einstimmiges „Guten Morgen, Kouleur“, welcher Gruß von den Grünen prompt erwiedert wird. Seit den Tagen des alten Fritz gehören die Jäger und Husaren zusammen; „leichte Waare“ nennen sie die Andern. Erscheinen aber die Dragoner mit den schwarzen Kragen, überall die „Eisenbahner“ genannt, dann geht der Spaß los. „Klinglingling – einsteigen, meine Herren, einsteigen – wann geht der nächste Zug nach K.?“ so schallt ihnen von allen Seiten entgegen, und die Schwarzkragen bleiben die Antwort nicht schuldig. – Eine besondere Pique hat die Infanterie auf die Jäger; sie sind ihnen zu fein, wollen stets etwas Besonderes haben. Ihre Unterofficiere heißen Oberjäger; sie tragen keine Tornister, sondern Dächse, führen keine Gewehre, sondern Büchsen – „und sind doch nichts weiter als grüne Infanterie,“ behauptet so ein eingefleischter Infanterist. Kommen die schmucken Jägersleute vorbeigezogen, sofort geht der

„Guten Morgen, Koleur.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_017.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2021)