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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

blind könnte sich der Mensch in dem Trümmerwerk gucken und fände doch nicht das kleinste Flinkerchen! Nein, damit ist’s nichts! Das ist alles der Mordbrennergesellschaft von dazumal an den Fingern hängen geblieben – haben sie doch gar dem Jesukindchen das bischen Goldsachen von seinem Seidenrock gerissen! – Aber muß es denn gerade ein Spartopf oder so ’was wie Silberkannen oder Abendmahlskelche sein? … Sehen Sie, zum Kloster hat einmal viel Land gehört. Von außen her sind Klosterjungfern eingetreten, die Hab und Gut, meist liegende Gründe, mit eingebracht haben, und das ist alles zu Klosterhöfen gemacht worden. Da hat’s Zehnten an Korn, Federvieh, Honig und Gott weiß was noch, die schwere Menge gegeben, und die Klosterhöfe sind gut bewirthschaftet worden. Dazumal ist hier in dem Trümmerwerk Milch und Honig geflossen, wie im Lande Kanaan, und sollen es die Nonnen gar gut verstanden haben, aus den schönen Sachen genug bare Batzen zu schlagen. Gar manchmal haben da die Frachtwagen vor dem Kloster gestanden und Fässer und Kisten in die Welt ’nausgefahren … Ja, dumm sind die Frauenzimmerchen von dazumal nicht gewesen, dumm gar nicht! – Heide, Himbeeren und Heidelbeeren, das beste Bienenfutter, hat’s hier und auf den Klosterhöfen genug und übergenug gegeben, und da haben sie eine Bienenzucht gehabt, wie in unserer Zeit kaum die großen Güter in Ungarn. Na ja – und da bin ich gestern Abend unten im Keller; ich hatte schon lange ein paar wackelige Steine an der Mauer gesehen; aber im Frühjahr giebt’s immer viel zu thun, und dazu kam die Räumerei und das Reinmachen im oberen Stockwerk, und da verschob ich die Flickerei von einem Tag zu dem anderen. Gestern aber dachte ich doch, ich müßte mich schämen, und Sie hielten mich für einen liederlichen Hausverwalter, wenn Sie das sähen, und da hole ich mir gleich Kelle und Mörtelgelte. Wie ich aber den ersten wackeligen Stein anfasse, Herr meines Lebens, da wird es doch ordentlich lebendig unter meinen Fingern! Es rückt und wankt – kein Wunder, ist’s doch auch nur in der Angst und Flucht gemacht gewesen – und ehe ich mich recht versehe, ist das liederliche Mauerwerk zusammengeprasselt, und ich gucke in ein mannshohes Höhlenloch – ja, in ein Gewölbe, von dem kein Erdenmensch mehr ’was gewußt hat! Und was war drin? – Wachs!“

Er hielt einen Augenblick inne, als schwelge er noch in der Erinnerung an den Fund. „Ja, Wachs, schönes, reines, gelbes Wachs,“ wiederholte er, jedes Wort schwer betonend, „Scheibe an Scheibe, ein ganzer, sommertrockener Keller voll, der gerade unter dem Thurm liegt!“ Er schüttelte den Kopf. „Die reine Wundergeschichte! – Ich alter Kerl lese noch für mein Leben gern so Zaubermärchen, wie ‚Tausend und eine Nacht‘, und da ist mir doch seit gestern zu Muthe, als hätte ich selber in so einen Berg Sesam geguckt; denn was da unten liegt, das ist auch so gut wie ein Kasten voll Baargeld. – Die Nonnen müssen lange Jahre d’ran gesammelt und gespart haben, lange Jahre! Es sind viele, viele Centner – und sie haben wohl am besten gewußt, was die ganze Pastete werth ist; sonst hätten sie nicht zugemauert, ehe sie auf und davon sind! Und weiß ich’s denn nicht auch? Bin ja selbst Bienenvater und verkaufe, was das fleißige Völkchen in meine Stöcke schleppt.“

Claudine hatte das Küchengeräth in ihrer Hand unwillkürlich beiseite gestellt und folgte sichtlich gespannt der lebendigen Schilderung. Ueber das gute, breite, brave Gesicht des alten Mannes huschten Freude, Stolz auf die Entdeckung und Schelmerei wie in wechselnden Lichtern. „Ja, ja, so ein paar tausend Thälerchen sind’s ganz gewiß!“ sagte er nach einem tiefen Athemholen mit lustigem Augenblinzeln. „Hm, so ein bischen Heirathsgut, das die Nonnenseelchen, die ja noch umgehen sollen, ganz extra für unser gnädiges Fräulein behütet und aufgehoben haben.“

Die schöne Hofdame mußte lachen. „Ich glaube nicht, daß wir uns den Fund so ohne Weiteres aneignen dürfen, Heinemann“, sagte sie dann ernst und kopfschüttelnd. „Die vorherigen Besitzer haben ohne Zweifel dieselben Rechte.“

Der alte Gärtner sah plötzlich ganz betreten und erschrocken drein. „I, die werden doch nicht –?“ meinte er mit stockendem Athem. „Na, weiß Gott, das wär’ doch Sünd’ und Schande! Der Neuhäuser da drüben, dem fürstliches Hab und Gut nur so in die Tasche gefallen ist, der müßte sich ja doch eher alle zehn Finger abbeißen, als daß er sich an dem bischen Armuth vergriffe! … Freilich“ – er zuckte die Achseln mit niedergeschlagener Miene – „wer kann’s wissen! So manche von den Herren können nie genug kriegen; das erlebt man alle Tage, und da kann’s immer sein, daß der Herr Baron die Hand hinhält und nicht ‚Nein‘ sagt, wenn’s zum Treffen kommt. O je“ – er kratzte sich voll Aerger hinter dem Ohr – „da hätt’ ich auch eher an des Himmels Einsturz gedacht, als daß uns die von Neuhaus noch ein Querholz zwischen die Füße werfen könnten! – Da heißt’s nun abwarten und zusehen, wie Einem vielleicht die Butter vom Brote genommen wird.“ Er seufzte und ging nach der Thür. „Aber ansehen müssen Sie sich die Geschichte doch einmal, gnädiges Fräulein! Ich gehe jetzt hinunter und räume die letzten paar Steine weg, die noch im Wege liegen – muß auch erst einmal probiren, ob auch über dem Kopfe Alles in Ordnung ist, damit kein Unglück passirt – und nachher kann’s losgehen!“

Bald darauf stieg Claudine in seiner und ihres Bruders Begleitung in den Keller hinab.

Es war ein schönes, kühles, trockenes Gewölbe, auf welches der Schein der Laterne in Heinemann’s Hand fiel. – Ja, das waren noch Mauern aus jener Zeit, wo das Bauen kein großes Loch in den adeligen Säckel riß, wo der Bauer im Frohndienst das Baumaterial aus den Steinbrüchen und Kalkgruben herbeischleppen mußte – glatte, festgefügte, klafterdicke Mauern, die keine Spur von Erdenfeuchtigkeit durchdringen ließen. Da war es freilich kein Wunder, daß die Wachsschätze der Nonnen noch so da lagen, wie sie die längstzerstäubten Hände aufgeschichtet. … Ja, da reihte sich Scheibe an Scheibe, die Rinde wohl altersbräunlich gefärbt, aber an der Bruchfläche noch so schön gelb und frisch, wie eben aus dem Schmelz- und Reinigungsproceß hervorgegangen.

„So gut wie gemünztes Gold!“ sagte Heinemann, mit ausgestrecktem Arm über die rings an den Wänden aufgestapelten Wachsscheiben hinzeigend. „Und das Alles haben die kleinen Dinger in gelben Höschen zusammengeschleppt.“

„Und die Kelche, aus denen sie den Blüthenstaub geholt, haben vor Jahrhunderten geblüht,“ ergänzte Herr von Gerold bewegt. „Hätte ich über den Fund zu verfügen, so dürfte mir kein Finger daran rühren.“

„Ei bei Leibe!“ protestirte der alte Gärtner ganz erschrocken.

„Wenn auch kein Griffel irgend welche Gedankenzeichen auf den Scheiben verewigt hat, wie wir sie auf den Wachstäfelchen der Alten finden, so spricht doch hier ein ganzes Stück eingefangenen Klosterlebens zu uns,“ setzte Herr von Gerold hinzu, achtlos über den Einwurf hinweggehend. „Was mag wohl durch die Seelen der Klosterfrauen gegangen sein, während ihre fleißigen Hände das, was die summenden Honigträgerinnen von draußen aus der blühenden, sündhaft schönen Welt über die Mauern getragen, in die Form gebracht haben, wie sie hier vor uns liegt! An was mögen sie gedacht haben –“

„Mit Erlaubniß, gnädiger Herr, das kann ich Ihnen ganz genau sagen – an die vielen Batzen haben sie gedacht, die drin stecken, an sonst nichts!“ entgegnete Heinemann in ehrerbietigem, treuherzigem Ton, aber so verschmitzt blinzelnd, daß Herr von Gerold lachen mußte. „In den Klöstern sind sie zu allen Zeiten auf das Zusammenscharren versessen gewesen; man muß das nur in den alten Schriften lesen, da steht’s haarklein, was für lange Fingerchen die frommen Jungfern nach allem gemacht haben, was sich irgend hat erwischen lassen. Den letzten Sparpfennig und das letzte Aeckerchen haben sie sich für ihr Beten von den armen Seelen verschreiben lassen, die mit Angst und Zähneklappern aus der Welt gegangen sind. Es ist dazumal nicht anders gewesen, als heute noch – der Mensch nimmt’s, wo er’s kriegen kann – na, dafür ist er eben auch nur eine Erdenkreatur, und der soll noch geboren werden, der die Engelsflügel schon in unser Zeitliches mitbringt. Nur sollten sich die guten Leute nicht so mausig machen und dabei thun, als wollten sie dem lieben Gott die Füße abbeißen und hätten nichts als die pure Heiligkeit und Gottseligkeit auch inwendig.“

Er ließ das Licht seiner Laterne über alle Wände hinspielen. „Was das für ein schöner Keller ist! Da ist auch nicht eine Spur von der Feuersbrunst zu sehen, die doch sonst überall so fürchterlich gehaust hat. Den Keller können wir brauchen, gnädiges Fräulein. Alles andere Unterirdische ist ja total verschüttet, bis auf das klägliche Winkelchen da“ – er zeigte nach dem anstoßenden kleinen Kellerraum unter dem Wohnhause – „wo kaum Platz für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_038.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)