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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

setzt. Da sieht er und hört er sein’ ganzen Bezirk aus. Und wenn er schon draußen war und kommt heim als a Nasser, so hat er sein Stübl und hat sein’ Ofen. Und mit’m Essen kann er sich’s einrichten, g’rad wie er mag. In der Fruh hat er sein’ Kaffee oder sein’ Brotsuppen – auf Mittag kocht er sich an Schmarren oder Kaasnocken, oder was ihm sonst g’rad taugt – und fürn Abend, da liegt a Flascherl Bier in der Kellergruben. In der Nacht hat er sein’ warme Liegerstatt, und wenn’s a recht Verzogener is, der’s Kratzen vom Heu net vertragt, der hat sein’ Matratzen, sein’ wollene Decken und sein Polsterkissen. Und G’sellschaft hat er dengerst auch a paarmal in der Wochen – und da sind nachher die lustigen Stunden daheim auf der Hütten. Ja, g’rad a nobligs Leben is daheroben!“

So plauderte der Graubart weiter und wurde nicht müde, die Vorzüge und Reize des Hüttenlebens vor mir zu entwickeln. Seltsamer Weise dachte er dabei gerade an einen Vorzug nicht, den er meinem eigenen Geschmacke nach in erster Reihe hätte nennen müssen: den Reiz der landschaftlichen Umgebung.

Der Zweck, dem diese Hütten dienen, bringt es mit sich, daß sie zumeist an Stellen erbaut sind, von denen aus ein möglichst großer Theil des betreffenden Jagdbezirkes zu übersehen ist. Da steht solch eine Hütte inmitten eines weit gedehnten Berghanges auf scharf vorspringendem, steilem Felsenerker, der einen Ausblick von unbeschreiblicher Schönheit bietet, sei es über eine wild zerklüftete Waldschlucht oder einen lieblichen Almengrund, sei es über das tiefliegende, bewohnte Thal oder über die waldigen Vorberge hinaus in die graue, bis in unabsehbare Ferne sich dehnende Ebene. Eine andere Hütte wieder erhebt sich auf einem schütterbewachsenen Hügel im Centrum eines stundenbreiten Hochplateaus, das rings umschlossen ist von kahl aufstarrenden Wänden, von mächtig in die Lüfte ragenden Felskolossen, über deren höchste Gehänge der ewige Schnee herniedergreift bis in die grünen Latschenfelder, zwischen welchen wohl auch mit dunkelblauem Wasser ein kleiner Hochsee still gebettet liegt, der sich ansieht wie eines versteinerten Riesen lebendig gebliebenes Auge, das mit unergründlich tiefem, schwermuthsvollem Blick den Himmel sucht.

Was erhebender wirkt, was tiefer in das Gemüth eines für Naturschönheit empfänglichen Menschen greift, ich weiß es kaum zu entscheiden: der erste, jähe, in einen einzigen Blick gefaßte Eindruck solch einer Scenerie oder das tagelange, beschauende Verweilen an solchem Orte, das sinnende Betrachten des allmählichen Wandels in diesem Bilde, der mit dem wechselnden Lichte des verrinnenden Tages sich vollzieht, von der frühen, dämmerigen Stunde an, in welcher das Auge nur mit Mühe die grauen Schatten durchdringt, bis zum Erwachen des gebrochenen, in allen Tönen spielenden Morgenlichtes, bis zum rosigen Erglänzen des ersten Sonnenstrahls, bis zu der drückenden, alle Kontouren verwischenden Schwüle des Mittags, bis zum lauen, klaren, herrlichen Abend, an welchem unter dem Scheidegruß der Sonne die kahlen Felsen in dunklem Purpur erglühen, bis die sternenhelle Nacht mit ihren schwarzen Schleiern die letzten Farben löscht.

Und solch einem Tage gegenüber nun ein anderer, mit seinen jagenden Wolken und flatternden Nebeln, mit seinem Gießen und Strömen, mit seinen triefenden Bäumen und tropfenden Wänden, mit seinen rasch entstandenen und rasch wieder verrinnenden Sturzbächen, mit zuckenden Blitzen und mit krachendem Donner, unter dem die Erde schüttert und die Berge zu erzittern scheinen, während das dumpfdröhnende Echo des einen Schlages hinüberrollt in den nächsten.

So wechseln die Bilder der Tage und fügen Zug an Zug zum Gesichte des Jahres, von seinem Morgen, an dem der Jäger nach „harber“ Winterszeit zu der vom Schnee erlösten Hütte steigt, vom Frühling an mit seinem brausenden Föhn, mit seinen stürzenden Lawinen, mit seinem licht und schüchtern ersprossenden Grün, bis zur prunkenden üppigen Pracht des Sommers, bis zum Herbste, in welchem das Thierleben der Berge seinen regsten Pulsschlag zeigt, in welchem ein immerklarer, tiefblauer Himmel niederlächelt auf den grellen, buntfarbigen, fast koketten Aufputz der alternden Natur, bis jählings eines Morgens der erste, blendendweiße Neuschnee die steilen Gehänge deckt, die geduldigen Bäume drückt, das Wild in die tieferen Gehege treibt und den Jäger von der Hütte heimwärts schickt in das winterliche Dorf.

Der mit den Stunden geizende Tourist, der die Thäler durchhetzt, im Schweiße seines Angesichtes hinter den Fersen des Führers eine „Hochtour“ abkeucht, in der Almhütte eine Schüssel voll saurer Milch auslöffelt und sich von der Sennerin belächeln läßt – er trägt von der „Bergnatur“, die er zu „studiren“ gekommen, wohl auch ein Bild mit fort. Wie weit entfernt aber ist seine kleinliche Vorstellung von der gewaltigen Wirklichkeit! Wer die Bergwelt, die mit jeder Stunde ein anderes Antlitz zeigt, seinem Verständniß erschließen will, der hat vor allem Zeit, Geduld und Ruhe vonnöthen. Dieses tage- und wochenlange Verweilen „auf der Hütte“, das ist eine der richtigen Hochschulen für die Erkenntniß der Bergnatur. Hier sitzt sie selbst in ihrer ganzen tiefernsten Würde auf dem Docentenstuhl und öffnet dem geduldig Lauschenden ihr innerstes Herz. Hier lernt man so recht ihre Sprache verstehen, die sich zusammensetzt aus dem dumpfen Poltern der stürzenden Steine und dem Grollen der Lawinen, aus dem Brausen des Sturmes, dem Aechzen der Bäume und dem Raunen der zitternden Blätter, aus dem Rauschen und Murmeln ihrer Gewässer und aus den hundertfachen Stimmen ihrer scheuen Geschöpfe. In jeder Jahreszeit, in jeder Stunde des Tages hat diese Sprache einen anderen Klang, eine andere Färbung. Und am tiefsten greift sie jenem ins Herz, der sie hört in dunkler Nacht, wenn die Sterne niederblitzen über die finster ruhenden Berge. Man sitzt auf einem moosigen Steinblock und starrt in Gedanken empor zu den leuchtenden Augen des Alls. Wie ein tiefes, langaushaltendes Athmen geht es durch den schwarzen Wald. Da plötzlich trifft ein unbeschreiblicher, hellvibrirender Ton das Ohr. Man weiß nicht, woher er kommt, und erräth nicht, was ihn erzeugt hat. Er kommt wie aus weiter Ferne, wie aus der Tiefe der Erde – man hört ihn – und leise verzittert er in der finsteren Nacht. Es ist als schliefe die Natur, als hätte sie im Traum gesprochen.

Wie manche solcher Stunden hab’ ich schon genossen, und immer wieder wirken sie auf mich in gleich ergreifender Weise. Da ist es mir nach und nach zur lieben Gewohnheit geworden, in der letzten Nacht vor dem Verlassen der Hütte lange Stunden unter freiem Himmel zu verbringen, bis mich die mahnende Stimme des Jägers oder das ungeduldige Knurren meines Hundes aus dem Sinnen und Schatten weckt und mich zurückruft in die Hütte, zur letzten kurzen Rast auf dem weichen, knisternden Bergheu.

Wie wird mir dann am anderen Morgen das Scheiden von der kleinen Hütte so schwer! Geht es aber nach Tagen oder Wochen wieder zu Berge und winkt mir nach langem, ermüdendem Anstieg das in der Sonne blinkende Balkenhaus über die Tannenwipfel entgegen, dann ist mit einem Schlag alle Müdigkeit vergessen. Da kräuselt sich der bläuliche Rauch aus den Schindeln; mit hellem Laut begrüßt mich der rothe Schweißhund, und nun tritt der Jäger unter die Thür und streckt mir lachenden Gesichtes die sonnverbrannte Rechte hin.

„Grüß’ Gott, Herr Doktor! Wieder einmal beim Zeug?“ so lacht er mich an. „Wie geht’s denn, han? Aber wie dumm als ich frag’! Wie kann’s denn schlecht gehn, wann’s auf d’ Hütten geht! Jetzt kommen S’ nur gleich ’rein. Die zwei Träger sind schon da seit a drei, vier Stund’ – der ein’ mit Ihrem Sach’, der ander’ mit’m Bier. Ich hab’s Faß’l gleich aufg’stellt – und wann S’ an Durst haben, kann ich anzapfen auf der Stell’.“

Dabei nimmt er mir den Bergstock aus der Hand und die Büchse von der Schulter, und erleichtert aufathmend tret’ ich unter die Thür, während mein Teckel mit dem Schweißhund ein schnupperndes Wiedersehen feiert. Ein kleiner Vorraum empfängt mich, der als Speisekammer und zuweilen als Küche dient. Eine Klappthür führt zur Kellergrube. Fast den vierten Theil des Raumes nimmt der selten benützte offene Herd ein, auf welchem jetzt das Bierfaß steht, mit naßkalten Tüchern umwickelt. Eine niedere Thür führt in die Stube, welche durch zwei kleine vergitterte Fenster ihr Licht empfängt. Die Balkenwände und die Decke sind mit weißen Brettern verschalt. In der einen Ecke steht der eiserne Kochherd, in der andern daneben das für drei Schläfer knappen Raum gewährende Heubett mit zwei groben Wolldecken und einem zerlegenen Polster. In der Fensterecke steht der kleine Tisch vor der in die Wände eingelassenen Winkelbank. In der vierten leeren Ecke ist hoch an der Wand ein Brett

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_043.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)