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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

und lästige Verwandte und gefährliche Widersacher mit Gift und Dolch aus dem Wege geräumt habe, ist eine unerwiesene Behauptung. Man würdigt ihn auch unverdienter Auszeichnung, wenn man ihn, „le genie même du mal“, den Vater der Revolution nennt, der allein den Sturm gegen Thron und Altar entfesselt und die Hunderttausende von umsturzsüchtigen Kommunisten und Schwärmern wie ein Feldherr geleitet habe. Dazu fehlte ihm der große Zug; er gehörte nie zu den eigentlichen Führern; denn es gebrach ihm ebenso an Muth wie an Ueberzeugungstreue. Allerdings haben die systematisch betriebene Verdächtigung der Königin, die Opposition der von ihm beeinflußten Journale, das Buhlen eines Prinzen von Geblüt um die Gunst der niedrigsten Volkskreise die allgemeine Aufregung und Verwirrung gesteigert, und es steht heute fest, daß einigen „großen“ Revolutionsmännern, u. A. dem nicht selten mit Brutus verglichenen Camille Desmoulins, schon vor den Tagen des Bastillensturmes ein regelmäßiger Sold im Palais Royal ausbezahlt wurde. Es war auch politische Berechnung im Spiele, wenn der Herzog die Anglomanie in Mode zu bringen suchte, sein Haar ungepudert trug, in Pantalons und langem Rock promenirte, seinen Wagen selbst kutschirte, nach englischer Sitte Kaufläden in seinen Palast aufnahm, kurz, alles nachmachte, was er während eines kurzen Aufenthalts in England gesehen hatte; es war damit beabsichtigt, dem Volk den Gegensatz zwischen dem alten Frankreich und dem „jungen“ Europa vor Augen zu bringen und sich selbst als vorurtheilslosen Freund der Gleichheit aller Stände, als Mann der Zukunft zu empfehlen.

Als Marie Antoinette im Januar 1788 durchgesetzt hatte, daß Herzog Philipp als notorischer Urheber der gegen die Königin in Umlauf gesetzten Lästerschriften auf sein Gut Villerscaterets verbannt wurde, legte das Parlament von Paris gegen diese Bestrafung Protest ein. Allerdings handelte es sich zunächst um die Principienfrage, aber auch die „Bürgerfreundlichkeit“ des Betroffenen war in Betracht gezogen worden. Ludwig XVI. mußte nachgeben und die Verbannung aufheben – es war ein Vorspiel zu den verhängnißvollen Auftritten des nächsten Jahres.

Welche Rolle spielte Orleans in den Revolutionstagen? Wenn wir Tournois Glauben schenken dürften, hätten wir uns zwei Lager zu denken: hier den König, beherrscht von der intriguanten „Oesterreicherin“, zu gefährlichsten Mißgriffen verführt durch seine aus Deutschen, Schweden und englischen Jakobiten zusammengesetzte Umgebung, – dort das Volk, das seinen König aus unwürdigen Banden befreien will, das instinktmäßig um einen Mann sich schart, der mit der abgelebten Vergangenheit gebrochen hat, als Sohn der Gegenwart sich fühlt und erhobenen Hauptes in die Zukunft blickt, das heißt, um den Herzog von Orleans. Wie wäre aber mit dieser Charakteristik die Thatsache zu vereinen, daß den Zug des entmenschten Pöbels nach Versailles kein Anderer in Scene gesetzt hat, als der „Kousin“ des Königs, der mithin an den Gräueln des 5. und 6. Oktober 1789 die Hauptschuld trägt!

Necker äußert in seinen Denkwürdigkeiten, der Herzog habe nur beabsichtigt, den König zu ängstigen und zur Flucht zu bewegen, um sich dann von seinen Getreuen zum Generalstatthalter ernennen zu lassen. Allein schon Oncken hat auf eine Angabe des Polizeiministers Real hingewiesen, wonach der Herzog am Abend des 6. Oktobers zu seinem Bankier sagte:

„Zahlen Sie heute nichts! Das Geld ist nicht verdient, der Tropf lebt noch!“

Ist dies die Sprache eines „nur von der unwiderstehlichen Macht der Umstände gefangenen Unglücklichen“? In den herzoglichen Gemächern des Palais Royal saßen die „Freunde der Freiheit“ über die „Feinde des Volkes“ zu Gericht, und die im Palais Royal eingerichteten Kaffeehäuser Foy, Valois, Corazza etc. waren die Mittelpunkte der revolutionären Bewegung. Freilich hielt der Herzog anfänglich noch für angemessen, sich von seinen Standesgenossen nicht gänzlich zurückzuziehen, aber das „Es lebe der Herzog von Orleans, es lebe der Vater des Volkes!“ im Munde der Sansculottes und Megären, die auf ihren Piken Köpfe von erschlagenen Gardisten im Triumph herumtrugen, gab Aufklärung, wessen sich der König und die Seinen von diesem „Nachkommen des heiligen Ludwig“ zu versehen hätten.

„Herr d’Orleans,“ schrieb Lafayette an den Bailli Ploën, „hat niedrig spekulirt auf die Krone, wobei sein Leben das einzige war, was er nicht aufs Spiel setzte, und sein Geld das einzige, dessen Verlust ihn schmerzte!“

Welche Stirn muß der Mann gehabt haben, der, obwohl seit Juni 1791 Mitglied des Jakobinerklubs, doch noch beim Lever des Königs sich einfand, angeblich um sich ein Kommando zu erbitten, damit er sich der lästigen Zudringlichkeit der Pariser entziehen könnte! Freilich fand er bei den Getreuen des Königs nur eine Aufnahme, wie er sie verdiente. Die Kavaliere drängten ihn, wie der Minister Motteville erzählt, ziemlich unsanft zur Thür, und als er ins Gemach der Königin trat, wo die Tafel gedeckt war, wurden rasch die Schüsseln entfernt, aus Furcht, der ungebetene Gast möchte im Vorbeigehen ein Pülverchen in die Speisen mischen. War dies aber unverdiente Unbill für einen Prinzen, der im Jakobinerklub zur Schmach seiner Mutter versicherte, er sei gar kein Orleans, sondern der Sohn eines Kutschers Lacroix; der den Namen Egalité annahm und eine Erklärung veröffentlichte, er werde stets der Pflichten eingedenk sein, die ihm der stolze Name auferlege? Im Sinn und nach dem Herzen von Gracchus Babeuf und Genossen erfüllte er auch dieses Versprechen, indem er in der berüchtigten Konventsitzung am 17. Januar 1793 auf die Frage, ob „Louis Capet“ des Todes schuldig, mit einem lauten „Oui!“ antwortete. Sogar bei den Mitgliedern des Bergs und bei den Tricoteuses auf der Tribüne wurde ein Murren der Entrüstung laut, und als Egalité noch einmal die Worte sprach. „Ich stimme für den Tod!“ riefen zahlreiche Stimmen: „Oh, horreur, oh ce monstre!“

Doch nachdem einmal das Haupt des unglücklichsten Königs der Guillotine zum Opfer gefallen war, wurde die Revolution immer unersättlicher, bis sie zuletzt die eigenen Kinder verschlang. Es ging in Erfüllung, was der Girondist Manuel nach jener Abstimmung Philipp’s prophezeit hatte. „Heute ist er Richter, morgen wird er Henker sein, übermorgen Opfer!“

Schon wenige Tage nach dem Königsmord dennucirte Buzot im Konvent „eine Partei, die er nicht nennen wolle, die für den Tod des Königs nur deshalb stimmte, um einen andern König zu erheben.“ Damals wurde die Warnung nicht beachtet; Egalité war ja der Zechkumpan Danton’s, des „Bonvivants in der grausen Tragödie“, der Busenfreund Desmoulin’s, des „Generalanwalts der Laterne“.

Allein nach dem Abfalle des Generals Dumouriez von der Sache der Republik schlug die Stimmung gegen Philipp jählings um. Der Sohn, Louis Philipp, Herzog von Chartres, war im Lager Dumouriez’ – Grund genug, um den Vater zu verdächtigen, daß auch er im Grunde des Herzens die Republik nicht liebe oder wohl gar zu stürzen wünsche. Robespierre, der nie zu den Freunden des Herzogs gehört hatte, in den Tagen der „Orgien des Blutdurstes“ der eigentliche Gebieter Frankreichs, ließ den abtrünnigen Bourbon verhaften und vor das Tribunal stellen. Trotz der Erklärung, er halte zwar den Sohn für unschuldig, wolle aber, wenn ihm dessen Schuld nachgewiesen werde, wie ein zweiter Brutus handeln, wurde Philipp zum Tode verurtheilt. Am 6. November 1793 starb er durch Henkershand auf dem nämlichen Eintrachtsplatz, wo König Ludwig das Schaffot bestiegen hatte. In den letzten Augenblicken legte Philipp eine Würde an den Tag, die er im Leben nur allzu häufig hatte vermissen lassen. Beaulieu, der ihn vom Fenster seiner Zelle durch den Gefängnißhof schreiten und den verhängnißvollen Karren besteigen sah, versichert: „Man hätte ihn eher für einen General halten können, der seine Truppen zur Heerschau führt, als für einen Verurtheilten, der sich zum letzten Gang anschickt.“

Als der Zug mit dem Armensünderwagen in die Nähe des Palais Royal kam, fing eine Rotte bewaffneter Arbeiter mit den Soldaten der Eskorte Händel an, wurde aber rasch zurückgedrängt.

Der Vorfall veranlaßte ein Gerücht, orleanistische Parteigänger hätten die Absicht gehegt, den Gefangenen zu befreien, Robespierre zu ermorden und den Herzog zum Diktator zu erheben, und der Anschlag sei nur durch zufällige Abwesenheit Robespierre’s vereitelt worden. Ob ein derartiges Komplott wirklich bestand, ist nicht festzustellen. In den Memoiren des damaligen Präsidenten des Konvents, Barère, findet sich die Behauptung, der ganze Proceß gegen Philipp Egalité sei von den Emigranten angestiftet worden und Robespierre sei nur das Werkzeug der in Koblenz geplanten Intrigue gewesen; auch die Wahrheit dieser Angabe ist nicht erhärtet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_091.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)