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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Es ist originell, wie Du, meine kleine Franull mit den großen blauen Augen!“ entgegnete mir Josias. Dabei hob er mich auf und küßte mich. Die Mutter jedoch machte dem Spaß ein Ende und schickte mich in die Kinderstube, weil ich nicht so viel sprechen, so viel fragen sollte; und ich hatte zu gehorchen.

Inzwischen fing ich mir den Josias zu überlegen an. Dabei kam ich darauf, daß er wirklich ganz anders als die Andern war. Ich wunderte mich, daß ich das nicht längst bemerkt. Ich entsann mich, wie der Vater einmal gesagt, daß der Josias ein sehr schöner junger Mann gewesen sei, daß der Adel seiner Gesichtsformen, die Feinheit seiner Züge noch unverkennbar wären, obschon er durch sein Wohlleben zu stark geworden sei.

Vom Adel der Gesichtsformen, von der Feinheit der Züge merkte ich nichts. Ich sah nur, was ich immer gesehen, daß der Josias auffallend groß und stark war, daß er, obschon er ja nicht mehr jung war, einen wahren Wald von hellbraunem, lockigem Haar auf seinem Kopfe trug, daß ein voller kurzer Backenbart seine breiten Wangen umrahmte und daß er ein Doppelkinn bekommen hatte. Aber seine schönen dunkeln Augen, seine freundlichen Mienen waren mir vertraut und über seine kleinen Hände und Füße hatte ich mich aus freien Stücken früher schon gewundert. Wenn er ruhig dasitzend seine Hände über den Leib gefaltet hielt, hatte ich manchmal gedacht, ob das denn wirklich seine Hände wären; und ebenso, wie er es nur anfange, seinen großen, schweren Körper auf den kleinen Füßen fort zu bringen. Er ging jedoch rasch und leicht und trug sich aufrecht mit freier Hauptbewegung.

Auf seine Hände und Füße war er aber auch sehr stolz. Der Zeigefinger der rechten Hand war mit einem Siegelring geziert, den einer seiner Vorfahren aus Frankreich mitgebracht haben sollte, und der ihm ebenso als Familienerbstück wie um des schön geschnittenen Steines willen werthvoll war. An dem kleinen Finger der andern Hand hatte er einen hellglänzenden Brillantring, und in Gesellschaft erschien er immer mit seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen. Er kleidete sich überhaupt nicht wie die anderen Männer nach der damals aufgekommenen, bequemen englischen Mode, sondern so, wie es vorher in Frankreich Brauch gewesen war. Sie nannten es damals bei uns in Deutschland á la Werther: im blauen Frack, in Kniehosen, kurzen Stiefeln und weitem Hemdenkragen; wobei es ihn nicht anfocht, daß er damit in Gesellschaft und mehr und mehr auch auf der Straße auffiel.

Als einmal bei uns ein Fremder darüber eine spottende Bemerkung machte, entgegnete ihm mein Vater, Herr Courville sei allerdings in gewissem Sinne ein Sonderling, ein Original, aber ein so durchaus ehrenwerther, unterrichteter und vortrefflicher Mann, daß man ihn in seinen kleinen Grillen gewähren lassen müsse.

Nun hatte ich es also endlich ganz heraus! Ein Original war ein vortrefflicher Mensch, der Grillen hatte und den man gewähren lassen müsse. Warum auch nicht? Seine Schuhe und Schnallen und seidenen Strümpfe thaten ja Keinem was zu Leide, und er that Allen zu Liebe, was er nur wußte und konnte.

Je älter ich wurde, um so bessere Freunde wurden wir, wenngleich meine Vorstellungen von Josias immer öfter wechselten. In der Zeit, in welcher ich anfing, die preußische Geschichte zu lernen und die Reihenfolge der Kurfürsten und Könige mit Selbstbewußtsein am Schnürchen herzuzählen, war er mir eine Zeit lang zu einer historischen Person geworden, weil sein Vater eine Domäne des alten Fritz verwaltet hatte, weil einer von Ziethen’s Husaren, der Major Graf Josias v. Dubimin, sein Pathe gewesen war, und weil der alte Fritz, als er die Domäne einmal besucht, mit dem kleinen Josias gesprochen und ihm für sein dreistes Antworten einen Dukaten geschenkt hatte, den er dann zum Andenken an den großen König unter den andern Berloks an seiner Uhr trug.

Dann wieder hatte er mich angezogen, weil er im Gespräch bisweilen schöne Verse anführte, in welchen von Liebesleid und Liebesfreud’, von Tod und Seligkeit die Rede war. Man nannte ihn und diese Verse sentimental. Sie klangen aber gut, ich behielt sie gut; und da Josias doch einmal ein Original war, das Grillen haben durfte, so konnte er ja auch die Grille haben, sentimental zu sein, wenn’s ihm gefiel. Ich hätte nur gern wissen mögen, weshalb er eben ein Original geworden sei.

Einmal, als eine größere geladene Gesellschaft bei uns versammelt war, erschien natürlich auch Josias in aller seiner Pracht. Bei seinem Eintreten war von irgend einer neu übersetzten indischen Dichtung die Rede, von der Seelenwanderung, wie die Inder sie sich vorwärts- und rückwärtsbildend gedacht; und mein Vater bemerkte scherzend, er werde danach wohl an einen geheimen Zusammenhang zwischen sich und den Elefanten denken müssen, weil ihm der Reis fast die liebste Speise sei.

Daß mein schöner, schlanker Vater so etwas von sich sagen konnte, das verdroß mich; aber wie ich mir den Josias darauf ansah, dachte ich, daß der wohl von solchen gutmüthigen Riesenthieren stammen könne; und während das Märchenhafte jener religiösen Vorstellung meine Phantasie lebhaft beschäftigte, blieb mein Auge den Abend, als hätte ich es nicht allezeit gesehen, an dem kleinen goldenen Ohrring haften, den Josias in dem linken Ohre trug, und ich fand das plötzlich lächerlich; denn außer bei den Schiffsknechten, welche die Kähne draußen bei uns am Spreeufer vorwärts stießen, und bei einzelnen Handwerkern hatte ich an Männern einen Ohrring noch nicht wahrgenommen. Kaum also entstand eine Pause in der Unterhaltung, so hielt ich mit der Frage nicht zurück: „Josias! nimm’s nicht übel, Du bist ja doch kein gemeiner Mann; weshalb trägst Du denn den Ohrring?“

„Das thut unser guter Josias wohl seiner Augen wegen!“ bedeutete mich die Mutter an seiner Statt, „es ist gut gegen Augenschmerzen.“

„Nein, Madame! nein!“ fiel Josias ihr aber ins Wort. „Wozu eine Unwahrheit in diesem Falle? – Meine Augen sind gesund, mein Kind! Der Ohrring ist ein Souvenir, eine Gage d’amour!“

Und wieder fand ich mich vor einem Räthsel! – Es war, das merkte ich, kein Fertigwerden mit Josias! Wie konnte meine Mutter sagen, daß ein Souvenir, eine Gage d’amour, ein Mittel gegen kranke Augen sein sollte? Aber in der That hielt man damals das Tragen eines Ohrringes noch für ein Heilmittel gegen manche Kopfbeschwerden; ich hatte es nur unter unseren Bekannten nie gesehen. Und während also mein Freund mir komisch vorkam mit seinem Ausputz, gewann er doch an dem Abende wiederum einen Stein bei mir im Brett; denn weil es mich bereits verdroß, wenn man mein allerdings oft ungehöriges Gefrage mit Ausflüchten und Halbheiten abspeisen wollte, wußte ich es dem guten Josias doppelt Dank, daß er dies nicht zugegeben und mir die ehrliche Wahrheit gesagt hatte.

Seine Wahrhaftigkeit hatte ich übrigens auch sonst schon rühmen hören, wie denn alle nur Gutes von ihm sagten. Man nannte ihn einen erprobten Landwirth, obschon er kein Gut besaß, sondern das von seinem Vater ererbte verkauft hatte. Einen tüchtigen Geschäftsmann hießen sie ihn, aber er betrieb kein eigenes Geschäft. Er lebte als ein reicher Privatmann in seinem schönen Hause, unfern von dem Predigerhause der französischen Kolonie, und machte von seinen Zinsen einen guten Gebrauch. Er war wohlthätig für die Armen, verwaltete als Rendant die Armenpflege der französischen Gemeinde unentgeltlich und übte in weitem Kreise eine feine, vornehme Gastlichkeit aus.

Er war eben ein ganz vortrefflicher Mann; nur der Ohrring hatte mir in dem Uebermuth meiner Jugend den guten, sentimentalen Elefanten nun einmal komisch gemacht, und den Eindruck wurde ich eine Zeit hindurch nicht los, wie sehr die Männer Josias auch achteten, wie gern die Frauen auch mit ihm verkehrten.

Von den Frauen aber verdiente er das allerdings in höchstem Grade, denn kaum ein Anderer war gegen sie so aufmerksam wie er; und man lebte damals doch noch in den Zeiten, in welchen die Männer um die Gunst der Frauen sich durch Zuvorkommenheit gegen sie und ihre Neigungen und Wünsche bemühten, während heut zu Tage die Rollen allmählich gewechselt zu werden scheinen und es die Männer sind, welche immer mehr von den Frauen umworben werden, die ihnen zu gefallen streben.

Man mußte den Josias an den großen Ehrentagen sehen! An dem Geburtsfest meiner Mutter, an dem Hochzeitstage meiner Eltern, oder beim Jahreswechsel! Der Hausfrau bei solchem Anlaß nicht mit einem schönen Strauße aufzuwarten, ihr zum Neujahr nicht einen jener künstlich gemalten Neujahrswünsche zu überreichen, der, mehrfach zu ziehen, jedesmal eine Ueberraschung in galanten Versen und Sinnbildern enthüllte: das hätte Josias sich nicht verziehen; und wie für unsere Mutter

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