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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

besuchte niemand; und wenn man ihm Sonntags in der Kirche begegnete, sah man’s ihm an, wie versunken er in sich war, und daß er an seinen alten Bekannten und an nichts mehr Anteil nahm, obschon er in allem Geschäftlichen seine Schuldigkeit that und seinen Leuten nach wie vor ein gnädiger guter Herr geblieben war. Nur mit meinem Vater hielt er noch einigen Verkehr. Das stammte aus ihrer Kinderzeit.

So mochten drei Jahre verstrichen sein, als der König einmal in unsere Gegend kam, und als wolle er seinem früheren Major und Günstling öffentlich eine Ehrenerklärung geben, ließ er ihm die Nachricht zugehen, daß er bei ihm vorzusprechen denke, wenn er die Domäne Benwitz besucht haben werde, die ein gewisser Kräutner seit langen Jahren bewirthschaftete, und schlecht bewirthschaftete. Es war um die Zeit überhaupt die Rede davon gewesen, daß der König die bisherige Verwaltung seiner Güter nicht zweckentsprechend finde, daß eine andere Einrichtung mit den Domänen gemacht werden solle.

Die Nachricht, daß der König den Grafen mit seinem Besuche beehren werde, brachte mit einem Male Leben in das stille Schloß. Es wurden Reitknechte nach rechts und links gesendet; der Koch und die Dienerschaft hatten sich zu rühren, und auch unser Gärtner wurde in Anspruch genommen, in aller Eile die Ehrenpforten errichten zu helfen, mit denen der König empfangen werden sollte. Wer es konnte, war im Lande auf den Beinen, den König zu sehen, den man schon damals den ‚großen König‛ nannte; und es hatte sich viel Volk gesammelt, als er vor Schloß Dambow vorfuhr, wo der Graf, zum ersten Male wieder in voller Uniform, seinen Herrn an seines Gartens Thor empfing.

Es war dem Grafen die Weisung ertheilt worden, daß keine weiteren Gäste einzuladen wären, und nachdem der König den Grafen huldvoll begrüßt und seine Dankbezeigung gnädig aufgenommen, hatte man sich zu dem vorbereiteten Gabelfrühstück niedergesetzt. Vorher hatte jedoch der Generaladjutant dem Grafen mit flüchtigen Worten zu verstehen gegeben, daß der König nicht sonderlich aufgelegt sei, weil er mit der Verwaltung der Domäne und dem Kräutner unzufrieden gewesen wäre. Kaum aber hatte der Adjutant das gesagt, als der König sich erkundigte, wem das Nachbargut Schönfelde gehöre, da seinem Adlerauge, trotz des raschen Vorüberfahrens, die vielen, reiche Frucht versprechenden Obstspaliere und die Alleen der kräftig emporgewachsenen Maulbeerbäume bei uns aufgefallen waren.

Der Graf hatte darauf dem Könige meinen Vater genannt, hatte berichtet, was der König sonst noch zu wissen gewünscht, und sofort war auch ein Reitknecht nach Schönfelde geschickt worden, weil der König, der auf die Refugiés viel hielt, meinen Vater zu sprechen verlangte. Der Graf war meinem Vater, als man ihn in Dambow gemeldet, entgegengegangen, hatte ihn im Voraus benachrichtigt, um was es sich wahrscheinlich handeln würde, hinzusetzend, daß der König Aerger in Benwitz gehabt und daß der Vater sich darnach zu achten habe.

Wie der Vater darauf vor dem Könige erschien – und mein Vater war ein stattlicher Mann, der sich vornehm ausnahm in der schönen Tracht von damals – wie mein Vater also ehrfurchtsvoll und würdig vor seinem Könige stand, sagte dieser: ,Er stammt von den Refugiés, wie ich von dem Grafen vernommen, und ich lobe Seine Obst- und Seine Maulbeerzucht. So wie sie bei Ihm ist, will ich sie eingeführt haben; aber der Kräutner versteht sein Metier nicht und nicht meine Intention. Er hat Benwitz verwirtschaftet und muß fort. Verkaufe Er mir Schönfelde. Ich schlage es zur Domäne, und Er soll mir beide Güter bewirtschaften nach der Weise, wie Er Schönfelde in Kultur gebracht hat.‛“

Josias machte eine kleine Pause.

„Du kannst Dir wohl denken,“ nahm er darauf wieder das Wort, „daß es kein leichtes Stück war, ein Nein! zu sagen, wenn der große Friedrich seine scharfen blauen Augen, eine andere Antwort erwartend, auf einen seiner Unterthanen gerichtet hielt. Indeß der Vater hing an seinem, an dem Familiengute. Das Gut, in das durch nahezu ein Jahrhundert beträchtliches Kapital hineingesteckt worden war, konnte auch nicht billig fortgegeben werden, und daß der König ein knapper Zahler war und sein mußte, das war jedermann bekannt, das lag in den Verhältnissen. Allein da der Vater ein großer Verehrer des Königs war, da er auch den schönen Zug fühlte, einem Hohenzollern so weit es in seiner geringen Macht stand, sich dankbar zu erweisen für den Schutz, welchen unsere Vorfahren unter dem Scepter der Hohenzollern in Preußen gefunden, so sagte er, als der gewandte und rasch entschlossene Mann, der er gewesen ist alle Zeit: ‚Majestät werden es gutzuheißen geruhen, daß ein Refugié an seinem Grund und Boden, den er unter dem preußischen Adler erworben hat, mit derselben festen Treue hält wie an seinem neuen Vaterlande und an dessen ruhmreichem Könige und Herrn! Aber wenn Dero Majestät Zutrauen zu mir fassen könnten und Dero Unterthan eine große Gnade erweisen wollten, so getraute ich mir, da Schönfelde im Stande ist und mir freie Zeit läßt, die Domäne, wenn Herr Kräutner bleibt, zu beaufsichtigen oder zu bewirtschaften, wie Dero Majestät es zu befehlen geruhen, ohne daß ich Schönfelde deshalb aufgeben müßte; denn ich möchte es vererben auf den Sohn, auf das erste Kind, das mir in dieser Nacht geboren ist, wie meine Vorfahren es vererbt vom Vater auf den Sohn.‛

Mein Vater merkte an den Mienen der Anwesenden, daß sie von Seiner Majestät etwas Ungnädiges zu vernehmen erwarteten; sie hatten sich aber geirrt. Der König war zu gerecht, um einem Manne ein gerechtes Verlangen als Verbrechen anzurechnen. Er sah meinen Vater scharf an, dann sagte er:

‚Wenn Er nicht lassen will von seiner Scholle, behalt’ Er sie. Ich will’s mit Ihm probiren! Der Kräutner soll Ordre bekommen, sich Ihm zu unterstellen. Seh’ Er, ob’s mit ihm geht. Parirt er nicht, meld’ Er’s der Kanzelei, dann geht er. Aber nehm’ Er’s mit Benwitz gleich in Angriff! Sein Schade soll’s nicht sein, wenn Er seinen König kontentirt. Also aufs nächste Jahr, Monsieur Courville! Ich werde nachsehen lassen, wo Er halten wird.‛

Damit reichte er meinem Vater die Hand, der sie ihm mit stolzer Freude küßte; und als dann der König gleich darauf das Schloß verließ, nickte er dem Vater noch einmal gnädig mit dem Kopfe, bevor der Wagen dem Auge entschwand.

Der Graf lud den Vater darauf ein, mit ihm in das Schloß zurückzukehren, um bei einem Glase Wein zu besprechen, wann der betreffende Befehl an Kräutner eintreffen könne und wie es rathsam sei, bis dahin von der Angelegenheit zu schweigen. Dabei gab ein Wort das andere. Des Grafen Herz war aufgeschlossener als seit langen Jahren. Die Gnade des Königs hatte ihn neu belebt, und weil er sich befreiten Sinnes fühlte, mochte er auch Freude bereiten, wollte er dem einstigen Spielkameraden, dem Gutsnachbar, dem der König eben die Huld erwiesen, seine freien Dienste anzunehmen, auch eine Ehre anthun; denn der Vater war nun in des Grafen Augen noch mehr gestiegen und noch ein ganz Anderer geworden als bisher.

Er fragte den Vater theilnehmend nach dem Befinden der Wöchnerin, und setzte hinzu:

‚Da Ihnen, lieber Courville, gerade an dem Tage, den wir beide in unsere Annalen einzutragen haben werden, ein Sohn geboren worden, so nehmen Sie mich, als Jugendbekannten, zu seinem Pathen an, und da ich Ihr nächster Nachbar bin, werde ich das Vergnügen haben, ihn unter meinen Augen heranwachsen zu sehen. Ein Einsamer muß sich an fremdem Glücke erfreuen lernen!‛

Mein Vater erkannte natürlich diese Ehre dankbarst an, und weil des Grafen Stimme und Rede weicher und herzlicher geklungen, als er sie je vernommen, sagte er, er hoffe, der Graf werde nicht immer einsam bleiben, und auch ihm und seinem Hause werde noch Glück erblühen und der Erbe ihm nicht fehlen zu seiner Zeit.

Der Graf schüttelte verneinend das Haupt. ,Was hin ist, ist dahin!‛ sprach er. ,Der Baum, den ein Blitzstrahl getroffen, mit dem ist’s vorbei, der trägt keine Frucht mehr!‛

,Sie irren, Herr Graf! Es kommt nur auf die Kraft des Stammes an!‛ wendete ihm der Vater ein. ‚Wenn ich die Ehre haben werde, Sie in Schönfelde zu sehen, zeige ich Ihnen einen Baum, den der Blitz vor Jahren seiner mächtigsten Aeste beraubt hat; und er hat neue Aeste getrieben und verspricht noch auf weit hinaus Bestehen und gute Frucht.‛

Der Graf nahm das wie eine gewöhnliche Bemerkung hin. Nur ein flüchtiges Lächeln glitt über sein gefurchtes, düsteres Antlitz und es war weiter die Rede nicht davon.

Vierzehn Tage darnach ward ich in der Kirche der Domäne, in welcher wir und die von Dambow eingepfarrt waren, auf den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_144.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)