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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


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Josias.
Eine Geschichte aus alter Zeit von Fanny Lewald
(Fortsetzung.)

Wir sahen einen großen Kerl vor uns, dem ein Affe auf der Schulter saß, während er einen Bären an doppelter Kette neben sich hatte. Hinter ihm hielt ein starker noch junger Mensch ein altes kraushaariges Pferd, einen rechten struppigen Pollaken, das schwer und hoch mit allerlei Stangenwerk und sonstigem Kram beladen war. Ein kleines, verhutzeltes Weib trug einen zweiten, kleinen Affen in einem Korbe auf dem Rücken, und sie und ein schönes, etwa siebzehnjähriges Mädchen mit rabenschwarzem Haar und großen schwarzen Augen, aus denen sie finster vor sich hinstierte, hatten jede einen Pudel an der Leine.

Es war fahrendes Volk, wie es bald nach dem Kriege sich oft im Lande herumgetrieben hatte. Jetzt in den Friedenszeiten sah man es selten, und der Schulze und der herbeigerufene Gendarm wiesen mit lauter Abwehr die Bitte des Mannes zurück, der in Dambow nächtigen und am andern Tage dort vor allem Volke seine Künste machen wollte. Das Hin- und Herreden, das Hinzukommen von immer mehr Leuten hatte die Hunde unruhig gemacht, die laut bellend gegen die Menschen ansprangen. Der Bär brummte dazwischen, der fremde Ton und das zischende Quieken der Affen regte die Kinder auf, und des Schulzen beide Jungen wendeten sich vorbittend für die Truppe an den Vater.

Wie gesagt, es kam nur selten vor, daß solche Bande sich bei uns blicken ließ, und seit ich ein paar Mal mit den Eltern in Berlin gewesen war, wo man mich in die Komödie und in die Vorstellung einer Seiltänzergesellschaft mitgenommen, machten die Bärenführer mit ihrem Gefolge mir nicht mehr den früheren Eindruck. Aber in dem Stillleben auf dem Lande war doch jede Abwechselung etwas Willkommenes, und ich bat Herrn Hartusius, er möge sich ins Mittel legen, damit man die Leute in Dambow nächtigen lasse, wonach wir dann versuchen wollten, ihnen für den nächsten Abend eine Erlaubniß zum Nächtigen in Schönfelde von meinem Vater zu erwirken, der diesen Abend nicht zu Hause, sondern zu einem Erntefeste in der Nachbarschaft geladen war.

Der Führer der Truppe, den sein Gewerbe und sein Wanderleben zu schärfster Achtsamkeit gewöhnt, sah nach mir hinüber, errieth an meinen Mienen, daß er einen Bundesgenossen an mir habe, und sich schnell zu mir wendend, sagte er: „Ah! jung Graf! Pudel klug! Bär marschirt! Aff reitet wie Husar und zieht Säbel! und da! da! die da! Franull tanzt! Tanzt oben! hoch! schön hoch wie Dach!“

In dem Augenblick kam der Graf zum hinteren Gartenthore hinaus, übersah mit raschem Blick was vorging, und Hartusius, den die Schönheit und der finstere Blick in den Augen des Mädchens überrascht hatten, machte den Grafen auf dasselbe aufmerksam.“

„Das war Franull?“ fragte ich voll Erstaunen.

„Unterbrich mich nicht!“ mahnte Josias, der im Fortgang seiner Erzählung lebhafter geworden war.

„Der Graf, ebenso von dem Mädchen angezogen wie Hartusius und selbst ich, trat an das schöne Kind mit der Frage heran, ob der Führer ihr Vater sei. Das Mädchen schüttelte verneinend den Kopf; die Alte aber versuchte dem Grafen, der es ihr wehrte, den Rock zu küssen, und sagte in einem verständlichen Deutsch, dem man den Dialekt von Oberschlesien anhörte: ,S’ ist meiner Tochter Kind, allergnädigster Herr! Der Vater war auch Kroat wie der hier. Der Vater ist im Krieg geblieben. Der da, der Jablonski, lag bei mir verwundet im Quartier. Da sind die Preußen gekommen! Die haben uns das Dach über dem Kopf angesteckt, daß wir uns hingeschleppt bis in den Wald. Und wie er dann wieder gehen und ich das arme Wurm fortschleppen gekonnt, da ist’s denn so geworden. Erst sind wir herumgezogen mit einem Anderen, der die Franull auf die Beine gebracht! Ich hab’ gekocht für alle. Dann hat sich gut angelassen die Franull, und er hat sich selber zum Hauptmann machen können; aber sie parirt nicht! – und sie muß doch, wie der Bär und alles! Sie muß! Küß’ die Hand, Franull!‛

Das Mädchen gehorchte stumm und ohne aufzusehen. Der Graf, der kein Auge von der jungen Schönheit verwendet, hatte damit der Alten Zeit gelassen, ihre Geschichte abzuhaspeln. Mir war sie wie ein Märchen zu Herzen gegangen, um des Mädchens willen. Ich gab ihr das Geld, das ich bei mir hatte; sie nahm’s ohne Dank und reichte es dem Führer.

Dem Grafen war das nicht entgangen. ,Er will hier bleiben und seine Künste machen?‛ sagte er zu dem Kroaten.

,Allergnädigster Herr! sind wir doch geworden Preußen in Schlesien. Wollen allergnädigster Herr lassen ehrliche Preußen ihr ehrlich Gewerb haben hier und sich lassen verdienen ihr elend Brot hier! – Machen schöne Kunst, junger Herr!‛ versicherte er mich dann wieder.

Es war nicht die Beredtsamkeit der Alten, noch des Kroaten Betheuerungen seiner Ehrlichkeit, sondern Franull’s finstere Schönheit, die auf den Grafen wirkte.

,Verstehst Du Deutsch?‛ fragte er.

Sie nickte, ohne zu antworten, mit dem Kopfe.

,Wo kommt Ihr her?‛

,Vom andern Dorf!‛ erwiderte sie, aber sie hob die Augen nicht zu ihm empor.

,Wie lang seid Ihr unterwegs?‛

‚Immer!‛

,Wo seid Ihr zu Hause?‛

,Nirgends!‛

Ihre Wortkargheit, ihre zusammengepreßten Lippen, ihre Blässe, die Erschöpfung, die man ihr ansah, hatten etwa Erschütterndes; und eben wollte ich eine Fürbitte bei meinem gräflichen Herrn Pathen für sie einlegen, als dieser einen seiner Leute heranwinkte.

,Bringt sie in den Schafstall!‛ – er stand leer, weil die Schafe noch draußen in der Hürde blieben. ,Bringt sie in den Schafstall! Gebt ihnen zu essen, auch Milch dem Mädchen! Sie mögen morgen, da es Sonntag ist, hinten auf der Koppel ihre Künste machen; aber Montag mit Tagesanbruch fort! ‛ herrschte er den Kroaten an.

,Fort!‛ sprach Franull dem Grafen nach, der sich auf das Wort noch einmal zu ihr zurückwendete, während Jablonski und die Alte in überschwenglichen lobpreisenden Ausrufen des Dankes kein Ende finden konnten.

Der Graf, dem ich für mein Theil dankend die Hand zu küssen hatte, trug mir einen Gruß an meinen Herrn Vater und meine Mutter auf und machte gegen Doktor Hartusius die Bemerkung: ,Schade um das schöne Geschöpf!‛

,Es wird unter die Füße getreten werden!‛ warf der Doktor ein.

,Wie anders!‛ entgegnete der Graf mit Achselzucken und ging davon, während wir unseren Heimweg antraten.

Zu Hause war von dem Vorgang nicht eben viel die Rede; denn es war ja kein außergewöhnlicher, aber ich konnte das sonderbare Mädchen nicht vergessen. Die großen finstern Augen sahen mich immer noch an, und auch der Doktor erwähnte der jungen eigenartigen Schönheit so lebhaft, daß mein Vater lächelnd sagte, wir hätten ihn neugierig gemacht, und wenn grade nichts dazwischen käme, so könne man sich ja das Wunder morgen einmal ansehen, falls das Wetter sich halte, das mit Regen drohte.

Indeß am Morgen hatten die Wolken sich vertheilt, die Sonne strahlte hell hernieder, als wir nach Benwitz zur Kirche fuhren, die der Graf, wie wir, mit strengster Regelmäßigkeit besuchte; und als wir nach dem Gottesdienste vor dem Kirchhof bei unsern beiderseitigen Wagen zusammentrafen, sagte der Graf scherzend zu mir: ,Nun, Monsieur Josias, Er wird wohl Lust haben, heute die famose Gesellschaft in Dambow ihre Künste machen zu sehen! Der Kerl hat mit merkwürdiger Geschicklichkeit und Schnelle das Gerüst aufgeschlagen und das Seil gespannt, auf dem das Frauenzimmer tanzen soll; und wenn es den werthen Nachbarn gefallen sollte, mit dem Josias und seinem Gouverneur den Kaffee bei mir zu nehmen, so würde ich erfreut sein, sie in Dambow zu empfangen.‛

Solche Einladungen kamen im Laufe des Jahres ab und zu einmal vor, wurden stets eben so dankbar angenommen als erwidert; und es war um die vierte Nachmittagsstunde, als wir in den Schloßhof einfuhren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_159.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)