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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Felde die rechten Männer um sich zu scharen und sie auf die rechten Posten zu stellen, und zugleich übte er die, bei Monarchen noch seltenere, Selbstverleugnung, der erprobten Einsicht dieser Männer, bisweilen wohl sogar mit Hintansetzung der eigenen Wünsche, rückhaltlos sich anzuvertrauen.

Rührend, wie dieses Vertrauen, war auch die Bescheidenheit, womit er den Dank der Nation und den Ruhm bei Mit- und Nachwelt für all das Große, was ihm gelungen, von sich auf Die abzulenken suchte, die ihm dabei rathend oder helfend zur Seite gestanden hatten. Nach dem glorreichen Tage von Sedan richtete er – damals noch König Wilhelm – an die im Feldlager mit anwesenden deutschen Fürsten eine Ansprache, worin er sagte:

„Sie wissen, meine Herren, welch großes geschichtliches Ereigniß sich zugetragen hat. Ich verdanke dies den ausgezeichneten Thaten der vereinigten Armeen, denen ich mich bei dieser Veranlassung gedrungen fühle meinen königlichen Dank auszusprechen um so mehr, als diese großen Erfolge wohl geeignet sind, den Kitt noch fester zu gestalten, der die Fürsten des Norddeutschen Bundes und meine anderen Verbündeten, deren fürstliche Mitglieder ich in diesem großen Momente zahlreich um mich versammelt sehe, mit uns verknüpft, so daß wir hoffen dürfen, einer glücklichen Zukunft entgegenzugehen. Meinen Dank jedem, der ein Blatt zum Lorbeer- und Ruhmeskranze Unseres Vaterlandes hinzugefügt!“

Und beim Mittagsmahl im großen Hauptquartier am 3. September brachte er folgenden Trinkspruch aus:

„Wir müssen heut aus Dankbarkeit auf das Wohl meiner braven Armee trinken. Sie, Kriegsminister v. Roon, haben unser Schwert geschärft, Sie, General v. Moltke, haben es geleitet, und Sie, Graf v. Bismarck, haben seit Jahren durch die Leitung der Politik Preußen auf seinen jetzigen Höhepunkt gebracht. Lassen Sie uns also auf das Wohl der Armee, der drei von mir Genannten und jedes einzelnen unter den Anwesenden trinken, der nach seinen Kräften zu den bisherigen Erfolgen beigetragen hat!“

Ihm stand überhaupt die Sache des Vaterlandes und des Volkes allezeit weit höher als seine Person. Gleich seinem großen Vorfahr Friedrich II. betrachtete er sich nur als den „ersten Diener des Staats“ und handelte streng in diesem Sinne. Es mag ihm nicht immer leicht geworden sein, langgehegte Ansichten, werthgehaltene Einrichtungen den Wünschen des Volkes, wie sie durch dessen gesetzliche Vertreter an ihn gelangten, oder dem selbsterkannten Bedürfniß der Zeit zu opfern; aber niemals hat er eigenwillig an überlebten Zuständen festgehalten oder einem einseitigen Interesse das Interesse des Ganzen nachgesetzt. Nie war sein Ohr jenen falschen Freunden des Königthums geöffnet, welche dem Monarchen einzureden suchen, seine wahre Größe bestehe in der Unbeschränktheit seiner Machtbefugniß, und wenn in seinen letzten Lebensjahren ihn bisweilen die Besorgniß zu beschleichen schien, als könne die Würde der Monarchie leiden unter einer zu weiten Ausdehnung volkstümlicher Einrichtungen, so hat doch diese Besorgniß ihn nie zu dem Versuche verleitet, die Schranken zu verrücken, welche eben diese Einrichtungen der Gewalt des Staatsoberhauptes setzen.

Geboren, auferzogen und zum Manne gereift in den Formen und Bräuchen des absoluten Königthums, der Abkömmling eines Herrscherhauses, welches sich wie wenige mit Recht rühmen darf, durch eine Reihe ausgezeichneter Regenten aus seinem Schoße die Größe seines Staates und die Wohlfahrt seines Volkes begründet und gefördert zu haben, in einem Alter, wo es selbst dem Privatmann schwer fällt, seine Ansichten und Lebensgewohnheiten noch zu ändern, hat er, wenn auch vielleicht nicht immer ohne Ueberwindung, doch immer ohne Rückhalt, sich in die neuen Verhältnisse geschickt und den Anforderungen einer neuen Zeit stattgegeben. Als 1844 sein königlicher Bruder sich anschickte, die Verfassung des Landes auf wesentlich veränderte Grundlagen zu stellen, da hat er seine Bedenken dagegen nicht zurückgehalten; nachdem jedoch die berufenen Rathgeber des Königs in ihrer großen Mehrheit sich für die Notwendigkeit einer solchen Aenderung ausgesprochen, hat er diesen Bedenken entsagt und seine Stimme ebenfalls für die Aenderung abgegeben, indem er jene denkwürdigen Worte sprach:

„Ein nettes Preußen bildet sich; das alte geht zu Grabe. Möge das neue so erhaben und groß werden, wie es das alte mit Ehren und Ruhm geworden ist!“

Als dann 1848 König Friedrich Wilhelm IV. noch weiter gehend, eine Verfassung ganz im Geiste moderner Zeit verhieß, erklärte der damalige Prinz von Preußen auf eine an ihn von den Ständen des Belgarder Kreises gerichtete Adresse:

„Sie wissen, daß ich als Mitglied des Staatsministeriums das Patent Sr. Majestät vom 18. März, durch welches dem preußischen Volke eine konstitutionelle Verfassung verheißen worden ist, mit voller Uebereinstimmung unterzeichnet und mich dadurch zu deren einstiger Aufrechterhaltung verpflichtet habe. Sie kennen mich hinreichend, um zu mir das Vertrauen zu hegen, daß ich meinem gegebenen Worte mich treu erweisen werde.“

Zehn Jahre später, 1858, ergriff er selbst als Regent die Zügel der Regierung Preußens. Weit entfernt, durch hochtönende Verheißungen um die Gunst des Volkes oder um den Beifall der öffentlichen Meinung Europas zu werben, war er vielmehr fast ängstlich bemüht, überschwenglichen Erwartungen, die der Regierungswechsel erregen könnte, entgegenzutreten. „Von einem Bruche mit der Vergangenheit,“ so erklärte er in jener berühmten Ansprache an das neue Staatsministerium, „soll nun und nimmermehr die Rede sein; wohl aber soll die bessernde Hand angelegt werden, wo sich Willkürliches oder gegen die Bedürfnisse der Zeit Laufendes zeigt.“ Aber so bekannt und erprobt war bereits die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung und die Festigkeit seines Willens, daß diese strengbemessene Zusage mehr wahre Befriedigung erweckte, als alle noch so viel verheißenden Kundgebungen, wie sie sonst wohl vorgekommen.

Dann freilich kam gleichwohl eine Zeit, wo das Verhältniß zwischen Thron und Volk eine schmerzliche Trübung erfuhr – sicherlich für niemand schmerzlicher als für ihn. „Ich schlafe keine Nacht,“ sagte er tiefbewegt zu Herrn v. Beckerath, als dieser ihn beschwor, Frieden zu machen mit seinem Volke. Mit seiner strengen Pflichttreue als Monarch eines großen Staates und seiner ebenso strengen Gewissenhaftigkeit in Erfüllung gegebener Zusagen sah er sich vor die harte Wahl gestellt, entweder wohlerwogenen Plänen für die Wiedererhebung Preußens zu der ihm gebührenden Machtstellung, zugleich für die Einheit und Größe des gesammten Deutschlands zu entsagen, weil die gesetzlichen Vertreter des Volkes die zu deren Ausführung nötigen Mittel verweigerten, oder geschehen zu lassen, daß seine Regierung sich für einige Zeit außerhalb der Verfassung stelle. Wie lebhaft mag der hohe Herr den großen Moment herbeigesehnt haben, wo die Erfolge der gegen den Widerstand der Volksvertretung durchgeführten Maßregel das Vorgehen seiner Regierung, wie er sicher hoffen durfte, rechtfertigen und so zwischen ihm und seinem Volke die von ihm so schmerzlich vermißte Eintracht wiederherstellen würden! Wie sehr eilte er, noch unter dem frischen Eindrucke der glänzenden Siege in Böhmen und der nicht minder glänzenden diplomatischen Erfolge des Jahres 1866, zu dieser Aussöhnung die Hand zu bieten! Wahrlich, einen ähnlichen Akt edelster Selbstverleugnung, wie es unter den damaligen Umständen die von König Wilhelm angeordnete Vorlegung des Indemnitätsgesetzes an die Kammern war, dürfte man in der ganzen Geschichte des Konstitutionalismus wohl vergebens suchen!

Als Kriegsherr hat Kaiser Wilhelm mit den Truppen, an deren Spitze er in den beiden großen Kriegen von 1866 und von 1870 bis 1871 sich persönlich stellte, alle Gefahren und alle Anstrengungen redlich getheilt. Nur mit Mühe konnte ihn in den heißen Schlachten von Königgrätz und von Gravelotte seine Umgebung aus dem Feuer der feindlichen Geschütze entfernen, dem er unerschrocken und heldenmütig sich aussetzte. Mehr als einmal hat er mit dem dürftigsten Nachtlager und mit der knappen Kost des gemeinen Soldaten vorliebgenommen. Blieb er doch selbst im Frieden seinen militärischen Gewohnheiten so treu, daß er auch in seinem Königspalais zu Berlin nie anders als in einem schlichten eisernen Feldbett und unter einer einfachen Decke schlief. Was Wunder, wenn Offiziere und Gemeine, wenn die Söhne seines Preußens wie die aller andern Bundesstaaten mit einer Begeisterung ohnegleichen an ihm hingen. Er selbst zeigte sich fast überwältigt von diesen stürmischen Liebesbeweisen seiner Krieger.

„Den Empfang durch die Truppen kannst Du Dir denken! unbeschreiblich!“ – so telegraphirte er vom Schlachtfelde von Sedan aus an seine Gemahlin. Und dann wieder: „Ueberall ward ich begrüßt von stürmischen Hurrahs der heranziehenden Trains, welche die Volkshymne anstimmten; es war ergreifend! “

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_167.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)