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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Soeben verließ sie die herzoglichen Gemächer –“

„Sie wollen sagen: ‚die Gemächer Ihrer Hoheit‘, mein Herr von Palmer,“ berichtigte nicht ohne Schärfe der Rittmeister, und eine leise Röthe stieg in sein Gesicht.

„Ich hatte das Glück, den schönsten Gast dieses Hauses auf dem oberen Korridor zu treffen,“ erwiderte Palmer lächelnd und vielsagend.

„Ah so! ‚Man wußte nicht, woher sie kam; und schnell war ihre Spur verloren, sobald sie wieder Abschied nahm‘,“ deklamirte der Jagdjunker lachend.

Der Rittmeister warf ihm einen unwilligen Blick zu. „Fräulein von Gerold war bei der Herzogin, hat in ihrem Salon gesungen und ist dann im Schlafzimmer Ihrer Hoheit gewesen,“ sagte er laut und bestimmt.

„Vorzüglich orientirt!“ flüsterte Palmer und verbeugte sich tief; der Herzog war soeben eingetreten. – – –

„Ich verstehe Claudine von Gerold nicht,“ sagte der Rittmeister ernst, als er nach beendetem Souper neben dem Jagdjunker den Korridor entlang schritt, an dessen Ende sich ihre Zimmer befanden. „Es ist Muth am unrechten Platz; sie sollte die Höhle des Löwen meiden. Unglaublich, mit welcher Tollkühnheit ein Weib seinen guten Ruf aufs Spiel setzt im Gefühl seiner Sicherheit und Tugend.“

„Vielleicht macht’s ihr Spaß, auf dem gefährlichen Seil zu tanzen,“ erwiderte der Jagdjunker leichthin; „strauchelt sie, dann sind ja die Arme längst geöffnet, die sie auffangen; strauchelt sie nicht – um so besser. Ich denke aber, es kann ganz amüsant werden; es ist ohnehin verteufelt langweilig in diesem deutschen Aranjuez.“

„Von einer Andern würde ich vielleicht auch so denken, lieber Meerfeldt; aber in Anbetracht dieser Dame möchte ich doch bitten, Ihre scharfe Kritik etwas mäßigen zu wollen.“

„Na, nur nicht tragisch, Rittmeisterchen,“ lachte der Andere. „Lassen Sie sich den Schlaf nicht vergehen darüber, vorläufig sehen Se. Hoheit noch nicht aus wie ein Beglückter; Sie waren mehr denn schlechter Laune. Die Langeweile! Die Langeweile! Dieses Altenstein ist aber auch eine tolle Idee. Wenn man hier dumme Streiche macht, so plädire ich für mildernde Umstände.“




Claudine langte vor dem Eulenhause an; sie hatte noch immer ein zerknittertes Papier in der Hand. Der alte Heinemann, der schon lange neben seinem Laternchen vor der Gartenthür auf sie gewartet, erhielt kaum mehr als einen flüchtigen Gruß von seiner jungen Herrin. Sie flog förmlich vor ihm her in das Haus hinein, und als er nachkam und die Thür verriegelte, hörte er nur noch das Rascheln ihres seidenen Kleides auf dem oberen Flur; dann ging eine Thür und es ward still.

Auch in dem kleinen Mädchenstübchen blieb es still und dunkel, als sei niemand drinnen; und doch saß am Fenster eine Gestalt und starrte regungslos in das Waldesdunkel, das schwärzer noch als die lichtlose Nacht das einsame Haus umgab, und mühte sich, das heute Erlebte ruhig zu überdenken mit Aufbietung aller Seelenkräfte. „Was ist geschehen?“ fragte sie sich. Und sie begann: „Der Herzog hat mir seine Liebe gestanden und – ich wies ihn zurück, auf immer zurück; aber um welchen Preis?“ Um das Bekenntniß ihres tiefsten heiligsten Geheimnisses, das sie sich selbst noch nicht zu gestehen wagte, weil sie es vor sinnbetäubendem Herzklopfen nicht auszudenken vermochte, daß sie liebte; ihr Stolz empörte sich gegen diese Thatsache; und jetzt wußte es derjenige, der ihr heute mit einem beleidigenden Geständniß genaht! Ob der Herzog ahnte, wen sie liebte? Es wäre unerträglich!

Sie ballte unwillkürlich das Billet in ihrer Hand zusammen und Tropfen heißer Scham traten ihr in die Augen. Rasch erhob sie sich, zündete Licht an, faltete das Papier wieder aus einander und bemühte sich, es zu glätten; dann stützte sie sich schwer auf den Tisch und starrte auf das zerknitterte weiße Kouvert; es war eben nur das Kouvert, weiter nichts – das Briefblatt fehlte! Unruhig begann sie in der nächsten Minute zu suchen, auf dem Tische, an der Erde; an dem Fleck, wo sie gesessen; sie schüttelte den Mantel aus und die Falten ihres Kleides, sie nahm endlich den Wachsstock und leuchtete das Treppchen hinunter in dem schlafenden todtenstillen Hause – auch dort nichts! Wie ein Dieb schlich sie zur Hausthür, schob den Riegel zurück und leuchtete hinaus auf die Schwelle und den Sandsteintritt – auch hier nichts zu sehen. In ihrer Besorgniß ging sie, das flackernde Flämmchen mit der hohlen Hand schützend, den Gartenweg entlang bis zur Pforte; möglicherweise war ihr das Papier beim Aussteigen entfallen. Die Gitterthür, die auf die Landstraße führte, knarrte, als sie von ihr geöffnet wurde; der Lichtschein flammte geisterhaft über den Weg – nichts Helles glänzte ihr entgegen. Mit angstvollen Augen spähte sie unter die Weißdornsträucher zur Seite der Pforte – nichts! Und plötzlich flackerte das Licht auf und erlosch dann und sie befand sich im Dunkeln; und so tief erschien den an das Licht gewöhnten Augen die Finsterniß, daß sie einen Augenblick rathlos stand und nicht zu unterscheiden vermochte, wohin sie sich wenden müsse, um wieder in den Garten zu gelangen.

Ah, richtig! Dort über ihrem Fenster leuchtete Joachim’s Studierlampe friedlich in die Nacht hinaus und sandte einen schmalen Streifen Helligkeit auf das Gärtchen und die Chaussee. Wenn er ahnen könnte, wie sie hier draußen stand, Angst und Zorn im Herzen! Sie beneidete ihn förmlich um den Frieden seiner engen Stube, in die kein Sturm von außen drang; sein Schifflein lag im Hafen, und ihres trieb auf dem wilden Meer, und wo es einst einen Hafen finden würde, das mochte Gott allein wissen! – Unwillkürlich hatte sie sich umgewandt und schaute sehnsuchtsvoll über die finsteren Berge hinweg nach der Richtung, wo Neuhaus lag, und gerade an diesem Punkte zerrissen die Wolken und blitzend trat ein einzelner Stern hervor. Sie mußte lächeln unter Thränen; es erschien ihr so trostverheißend, so glückbringend, wie ein gutes Zeichen.

Dann schrak sie plötzlich zusammen und huschte in die geöffnete Pforte. Auf der Landstraße scholl Hufschlag, nahe schon und immer näher; ein rascher Trab war es, und jetzt kam der Reiter dicht an ihr vorüber, und just in dem Lichtschein blieb er halten und sah zu dem Fenster des Thurmes hinauf. Sie faßte auf einmal, wie nach einer Stütze suchend, in die Latten der Pforte und starrte hinüber – Lothar! Was wollte er hier? Ein fast betäubendes Glücksgefühl überkam sie, der Leuchter entsank ihren Händen, die sich fest in einander schlangen wie zum Gebet. Sah sie recht? War er es wirklich? Was wollte er? Kam er wahrhaftig, um nach ihrem Fenster zu spähen? Barmherziger Gott, ein Zeichen, daß sie nicht träume, daß es Wirklichkeit!

Da wandte er das Pferd, und langsam ritt er zurück; die Dunkelheit verschlang aufs neue seine Gestalt; nur der Hufschlag klang noch lange in den Ohren des zitternden Mädchens nach, bis sie sich endlich in das Haus zurückschlich.

Sie dachte nicht mehr an das verlorene Billet; sie konnte überhaupt nicht mehr denken; ihre Augen brannten, und ihre Lippen waren trocken; es bohrte ihr schmerzend in den Schläfen. „Ruhe! Ruhe!“ flüsterte sie und barg die heiße Stirn in die Kissen, als sie hastig ihr Lager aufgesucht und die Lampe gelöscht – „Ruhe! Schlaf!“




Auf Neuhaus herrschte am andern Tage ein ganz ungewöhnliches Leben. Zu ebener Erde neben dem Wohnzimmer, links von dem großen Flur, stand in dem hohen geräumigen Speisesaal eine Tafel, die wesentlich abstach von derjenigen, an welcher gewöhnlich hier gegessen wurde. Während sie sonst mit einem blendend weißen, aber doch ziemlich derben Drelltischtuch nebst Servietten von gleicher Qualität gedeckt war, breitete sich heute schimmernder Damast darüber aus und hing bis auf den getäfelten Fußboden hernieder, der wahrhaft beängstigend glatt gebohnt erschien. Das einfache Geschirr von englischem Steingut mit blauen Rändchen war durch köstliches altes Meißner Porzellan verdrängt, welches schon seit langer Zeit den Stolz des Neuhäuser Geschirrschrankes ausmachte; reizend geformte Tafelaufsätze, deren Platten Früchte und Konfitüren trugen, hatten die Blechkörbchen ersetzt, in denen Beate für gewöhnlich den Nachtisch präsentiren ließ, mochte derselbe in Frühbirnen oder Winteräpfeln oder in kleinem Gebäck bestehen, und die sehr handfesten Solinger Messer und Gabeln mit Griffen von Hirschhorn waren den Silberbestecks gewichen, die glänzend wie eben aus dem Laden gekommen blinkten und Wappen, Namenschiffre der Gerolds und eine Jahreszahl trugen, welche das hohe Alter verrieth, wenn es ihre schöne Form nicht bereits gethan.

Die Arme des mächtigen Kronleuchters aus Bergkrystall über der Tafel, die übrigens nur sieben Kouverts zählte, waren mit gelblichen Wachskerzen besteckt, eben so die zahlreichen Wandleuchter.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_171.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)