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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Möchte es unserer von deutscher Liebe und deutscher Dankbarkeit. geführten Feder gelingen, ein treffendes Bild des in seinem innersten Kerne so schlichten und in seiner welthistorischen Gestalt doch so erhabenen Herrschers zu zeichnen; eines Herrschers, der die gewaltige Höhe, welche er erstiegen, weniger einer genialen Begabung als dem ernsten und unablässigen Bestreben verdankt, seinen Charakter in sonnigen und stürmischen Tagen zu festigen und zu stählen, um dadurch befähigt zu werden, in immer gleichbleibender Pflichttreue als ganzer Mann bis zum letzten Hauche auf dem Posten auszuharren, auf welchen sein Geschick ihn einmal gestellt hatte.

Glückliche Kinderzeit.
(1797–1806.)

Kein köstlicheres Gut kann einem Menschen mit aus seinem späteren Lebensweg gegeben werden, als die Erinnerung an eine sonnige Jugendzeit. Bis zu seinem zehnten Jahre ist unserem dahingeschiedenen Kaiser Wilhelm eine solche in vollem Maße zu Theil geworden.

Im elterlichen Palast war das reine Glück eines beinahe bürgerlich schlichten Ehelebens zu Hause. Der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm, in der fast scheuen Einfachheit seines Charakters so anders geartet als sein prunkliebender, gutgesinnter, aber innerlich schwächlicher Vater König Friedrich Wilhelm II., hatte „seine Frau“ – wie er sie auch noch als Königin mit Vorliebe nannte – die mit allem weiblichen Liebreiz und den edelsten Gaben des Herzens und Geistes geschmückte Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz, zum ersten Male im März 1793 in Frankfurt a. M. gesehen, wo zur Zeit das königliche Heerlager in dem wenig Erfolg bringenden Feldzuge gegen die erste französische Republik aufgeschlagen war.

Der Macht dieser nach Goethe’s zeitgenössischem Urtheil „himmlischen Erscheinung“ der siebzehnjährigen Prinzessin konnte sich der dreiundzwanzigjährige Kronprinz nicht entziehen. An dem der Braut verwandten landgräflichen Hofe zu Darmstadt wurde bereits am 21. April desselben Jahres die Verlobung des liebenden Paares gefeiert.

Friedrich Wilhelm III. Königin Luise.

An prophetischen Worten hat es in den Tagen der Vermählung der Eltern unseres Kaisers Wilhelm nicht gefehlt. Bei ihrem Einzuge in Berlin wurde die Braut am 22. Dezember 1793 von einem lieblichen jungen Mädchen mit einem Gedicht begrüßt, dessen Schlußworte lauteten:

„Heil Dir! Der künft’gen Welt wirst Du Monarchen geben,
beglückter Enkel Mutter sein!“

Und bei der Trauung im weißen Saale des königlichen Schlosses am Weihnachtsheiligenabend betete Hofprediger Sack für das Brautpaar: „Laß durch dasselbe den Glanz des preußischen Hauses vermehrt und auch für die künftigen Geschlechter eine Quelle neuer Segnungen eröffnet werden!“

Wie köstlich sind diese Wünsche und Bitten in Friedrich Wilhelms und Luisens zweitem Sohne in Erfüllung gegangen!

Der erste, nachmals König Friedrich Wilhelm IV., war dem Paare am 15. Oktober 1795 geboren worden. Die Wiege Kaiser Wilhelms stand ebenso die die seines Bruders im kronprinzlichen Palais zu Berlin, demselben, welches auch dem ersten Kronprinzen des Deutschen Reiches und seiner Gemahlin zur Wohnung gedient hat.

Das früheste Urtheil über den am Nachmittage des 22. März 1797 zwischen 1 und 2 Uhr geborenen zweiten Prinzen empfangen wir aus den Aufzeichnungen der Oberhofmeisterin des kronprinzlichen Paares, der würdigen Gräfin von Voß. „Es ist ein prächtiger kleiner Prinz“, schreibt sie in ihrem Tagebuche, und fügt hinzu. „Ueberall war große, große Freude.“

Am 3. April wurde im Audienzsaale des kronprinzlichen Palais durch den Hofprediger Sack die Taufe vollzogen. Die Oberhofmeisterin brachte den Täufling dem König Friedrich Wilhelm II., welcher seinen Enkel während der Taufhandlung hielt. Der Prinz empfing die Namen Friedrich Wilhelm Ludwig mit der Bestimmung, daß sein Rufname „Wilhelm“ sein solle. Zu den achtzehn Fürsten und Fürstinnen, welche als Taufzeugen geladen waren, gehörten auch der durch den russischen Gesandten vertretene Kaiser Paul von Rußland und seine Gemahlin.

Diese Taufe des zweiten Enkels war der letzte historische bedeutsame Familienakt, welchem Friedrich Wilhelm II. beiwohnte. Am 16. November starb bereits der König, und so bestieg schon im ersten Lebensjahre des Prinzen Wilhelm sein Vater als Friedrich Wilhelm III. den preußischen Königsthron.

Mit ihm zog ein neuer, gesunder Geist in die Regierung des durch Verschwendung, Sittenlosigkeit und Heuchelei arg zerrütteten Staates Friedrichs des Großen wieder ein. Die Grundsätze bürgerlicher Einfachheit, Schmucklosigkeit und Sparsamkeit herrschten fortan im königlichen Hause, als welches das bescheidene bisher kronprinzliche Palais auch während der ganzen Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. beibehalten wurde. Die Eindrücke, welche Prinz Wilhelm nach dieser Richtung früh im Vaterhause empfangen, die veredelnde Wirkung, welche die Vorbilder der in inniger Liebe unter sich und mit ihren Kindern verbundenen Eltern auf das offene Knabengemüth ausübte, sind

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_178.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)