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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

welcher Freude umarmte und küßte sie ihn, und er weinte bitterlich. Der Kronprinz und Prinz Wilhelm waren mit ihm gekommen; so viel die arme Königin es nur vermochte, versuchte sie noch immer zu sprechen; sie wollte so gern immer noch zum König reden, ach, und sie konnte es nicht mehr! – So ging es fort und sie wurde immer schwächer. Der König saß auf dem Rand des Bettes und ich kniete davor; er suchte die erkalteten Hände der Königin zu erwärmen; dann hielt er die eine und legte die andere in meine Hände, um daß ich sie warm reiben sollte. Es war etwa neun Uhr; die Königin hatte ihren Kopf sanft auf die Seite geneigt und die Augen fest gen Himmel gerichtet. Ihre großen Augen weit geöffnet und aufwärts blickend, sagte sie: ‚Ich sterbe, o Jesu, mach’ es leicht!‛ – Ach, das war ein Augenblick, wie niemand ihn je vergißt! Ich bat den König, ihr die Augen zuzudrücken, denn der letzte Athem war entflohen! – Ach, das Schluchzen und Weinen des unglücklichen Königs, der Kinder und aller, die umherknieten, war schrecklich. Die Wege Gottes sind unerforschlich und heilig, aber sie sind furchtbar zu gehen! – Der König, die Kinder, der Staat, der Hof, alle, ja alle haben alles auf der Welt mit ihr verloren!“

Wie hoch Luise auch von ihrem unerbittlichsten Feinde geschätzt wurde, ergiebt sich aus der Aeußerung Napoleons bei der Kunde ihres Hinscheidens: „Der König von Preußen hat seinen besten Minister verloren!“

Dem deutschen Volke aber wurde die vom Schimmer der Poesie Umwobene und Verklärte eine Märtyrerin, eine Heilige, von der Theodor Körner sang:

Kommt dann der Tag der
Freiheit und der Rache,
Dann ruft dein Volk, dann,
deutsche Frau, erwache,
Ein guter Engel für die
gute Sache!

Friedrich Wilhelm III. stellt den Offizieren seine dekorirten Söhne vor.

Ein „guter Engel“ blieb sie auch ihrem Sohne Wilhelm Zeit seines Lebens. So war sie es auch, zu deren Grabe es ihn als König an jenem entscheidungsvollen 19. Juli 1870 – dem Tage der französischen Kriegserklärung –, genau sechzig Jahre nach dem schmerzlichen Erlebniß seiner Jugend, ins Mausoleum zu Charlottenburg zog, um sich innerlich zu sammeln und zu stählen zu jenem gewaltigen Rachezuge wider den Neffen des Mannes, der seiner königlichen Mutter das Herz gebrochen.

Und hatte der dreizehnjährige Knabe in seiner sinnig stillen Weise einen Kranz aus Eichenlaub und Rosen gewunden, um unter Thränen das Todtenbett seiner Mutter damit zu schmücken, so legte der vierundsiebzigjährige Greis nach seiner Rückkehr aus dem Vergeltungskriege als deutscher Kaiser wiederum einen selbstgeflochtenen, aber unverwelklichen Kranz aus Siegeslorbeern und Friedenspalmen auf das Grab der Unvergeßlichen.

Während der Befreiungskriege.

„Das Land ist aufgestanden –
Ein herrlich Osterfest! –
Ist frei von Sklavenbanden,
Die hielten nicht mehr fest.“

Als der Sänger so das Osterfest der deutschen Erhebung feiern konnte, trat Prinz Wilhelm in Breslau in sein siebzehntes Lebensjahr, und die Befreiungskriege boten ihm die erste Gelegenheit zur Bethätigung persönlichen Muthes und zur Erwerbung der ersten militärischen Ehren. Freilich nicht gleich am Anfang; zunächst mußte er seiner schwächlichen Gesundheit halber eine Geduldsprobe bestehen, und seine brennende Begierde, den Vater in den Kampf begleiten zu dürfen, ging erst in Erfüllung, als die gewaltige Völkerschlacht bei Leipzig bereits geschlagen war. Dann aber bewährte er sich frühzeitig um so glänzender, und namentlich seine Betheiligung an der Schlacht bei Bar sur Aube war eine ruhmvolle, wenn er auch, wie nur natürlich, damals eine leitende Stellung in der Armee noch keineswegs einnahm.

Als der König am 30. Oktober auf wenige Tage nach Breslau kam und einwilligte, daß auch sein zweiter Sohn ihn zur Armee begleite, ernannte er ihn gleichzeitig zum Kapitän. Anfänglich sollte der Prinz, der seinem Vater immer noch als „zu schwächlich“ zum wirklichen Kriegsdienste erschien, nur auf sechs Wochen gleichsam zur Probe mitgenommen werden. Er mußte sich aber wohl in der schlesischen Luft sehr gekräftigt haben; denn als er am 5. November mit dem Könige in Berlin eingetroffen war, schrieb die Gräfin Voß in ihr Tagebuch: „Am meisten freute mich der Prinz Wilhelm, der unglaublich gewachsen ist, sehr gut aussieht und sehr nett ist.“

Am 8. November reiste er mit dem Vater über das noch deutlich die Spuren des großen Völkerringens zeigende Schlachtfeld bei Leipzig ins große Hauptquartier der verbündeten Monarchen noch Frankfurt am Main, wo er bis Ende des Jahres verweilte. Als der König am 1. Dezember mit seinen beiden Söhnen und dem Feldmarschall Blücher südwestlich von Wiesbaden im Angesicht des Rheins über das Yorksche Korps Heerschau abhielt, hörte Prinz Wilhelm von den Vorwerken der nahen Festung Mainz und der Rheininsel Petersau her zum ersten Male den Donner der französischen Geschütze.

Am ersten Tage des Jahres 1814 überschritten die verbündeten Armeen, in drei große Heeressäulen getheilt, an verschiedenen Punkten den Rhein. Das Korps des russischen Generals von Osten-Sacken, bei welchem sich Prinz Wilhelm mit seinem Vater und Bruder befand, bewirkte den Uebergang bei Mannheim. Da die Franzosen, durch eine große Schanze unterstützt, heftigen Widerstand leisteten, sah der Prinz hier zum ersten Male den Ernst blutigen Kampfes.

Im Verlaufe des Krieges war er sodann Augenzeuge des entscheidenden Sieges, den Blücher über Napoleon bei La Rochière am 1. Februar errang. Tags darauf gerieth er bei Rosny im Gefolge seines Vaters und des Kaisers Alexander mehrmals in den Strich der feindlichen Kugeln. Seine eigentliche Feuertaufe aber empfing der Prinz am 27. desselben Monats. Die Hauptarmee unter dem österreichischen Oberfeldherrn Schwarzenberg hatte auf Andrängen Friedrich Wilhelms III. endlich den durch einige glückliche Vorstöße Napoleon’s Mitte Februar veranlaßten und durch diplomatische Rücksichten verlängerten Rückzug eingestellt und wiederum die Offensive ergriffen, welche inzwischen Blücher mit Zustimmung seines Königs unter schweren Opfern allein fortgesetzt. So kam es an dem genannten Tage bei Bar sur Aube zur Schlacht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_189.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)