Seite:Die Gartenlaube (1888) 201.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt.       Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Claudine hatte ihre Reise aufgegeben. Als sie der Herzogin von ihrer Absicht sprach, war dieselbe in leidenschaftliches Schluchzen ausgebrochen: „Ich kann Sie nicht halten, Claudine, gehen Sie!“ Und da hatte sie, erschreckt und gerührt zugleich, versprochen zu bleiben. Nun kam der Hofwagen, der sie nach Altenstein holte, täglich früher. Die Neigung der fürstlichen Frau zu dem stillen schönen Mädchen wuchs eben täglich, und sie war jetzt ruhig, ganz ruhig; sie fuhr in der Herzogin Wagen spazieren und saß in dem Boudoir derselben, vorlesend oder plaudernd. Zuweilen freilich trat der Herzog unangemeldet und rasch ein, von einem Freudenruf der fürstlichen Frau begrüßt, aber Claudine fürchtete seine Begegnung nicht mehr. Keiner jener heißen Blicke war ihr mehr gefolgt; keine Silbe hatte er zu flüstern versucht; sie wußte, er hielt sein fürstliches Wort. Sie kannte ihn genau durch seine Mutter; wie manchen tollen Streich hatte die alte Herzogin gelegentlich von ihm erzählt, von den Sorgen, die er ihr bereitet, von den Gebeten, die sie im heißen Flehen um diesen Sohn gesprochen vor dem Betschemel ihres Schlafzimmers unter dem Muttergottesbilde, über welchem die silberne kleine Lampe hing, daß er nicht untergehen möge in dem wilden Treiben seiner Jugend! „Und,“ hatte die alte Dame dann hinzugefügt, „es war doch nur überschäumende Jugendlust; sein Herz blieb edel; er war zu lenken, wenn man das richtige Wort fand.“ Und Claudine meinte, sie habe das richtige Wort gefunden. Sie gehörte zu den edlen Naturen, die nicht ruhen, bis sie das Gute in einer Menschenseele entdeckt haben; die suchen und suchen und, wenn sie das Gold gefunden, keine Grenzen kennen im Verzeihen.

[Ξ]

Prinz Friedrich Wilhelm und Prinz Eitel Friedrich von Preußen.
Nach einer Photographie von Selle und Kuntze in Potsdam.

Sie verzieh dem Herzog stillschweigend die Beleidigung, die er ihr zugefügt, als sie sah, wie ritterlich er seine Leidenschaft bekämpfte, wie er sich bemühte, gegen seine Gemahlin geduldiger zu sein, als vordem; wie er in ihr die Freundin dieser Gemahlin ehrte. Sie sei gefeit als solche gegen Lieb und Haß – das war ihr Glaube geworden. An die Herzogin-Mutter schrieb Claudine; es waren dankbare, gerührte Worte, mit denen das schöne Mädchen ihr Glück pries, die bevorzugte Gefährtin der Herzogin sich nennen zu dürfen. „O, wenn Ew. Hoheit wüßten,“ hieß es darin, „wie glücklich ich bin in der Liebe und dem Vertrauen des edelsten Herzens; ich sinne nur darauf, wie ich vergelten kann, daß ich die Freundin dieser liebenswürdigen Fürstin geworden. Selbst das, was Ew. Hoheit zuweilen tadelten, ist beim näheren Kennenlernen kein Fehler mehr; Ihre Hoheit trägt nicht nur äußerlich die Liebe für ihren hohen Gemahl zur Schau, Ihrer Hoheit ganzes Sein und Wesen ist so in diese Liebe getaucht, daß Hoheit sich verstellen müßten, wollten sie dieselbe verbergen.“

Claudine schien lebhafter als seit langer Zeit. Sie konnte mit Ungeduld den Wagen erwarten, der sie nach Altenstein holte. In der durchgeistigten Atmosphäre, die um die kranke Fürstin wehte, fühlte sie ihr eigenes Leid kleiner werden. Die Herzogin


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_201.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)