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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Herr von Palmer sah zu dem Herzog hinüber, der von diesem kleinen Wortwechsel nicht die geringste Notiz nahm. Hoheit spielte mit seinem Monocle, indem er ernsthaft der weißen schwebenden Mädchengestalt nachschaute, an deren Arm zutraulich der Erbprinz hing und sie nach allem Möglichen befragte. Sie war schon eine ganze Weile in dem dichten Gewirre eines Jasminbosquetts verschwunden; da wandte der Herzog langsam den Kopf zurück und begegnete den Augen der Prinzeß Thekla; sie sahen noch funkelnder aus als sonst, es lag ein verbissener schadenfroher Ausdruck über ihrem mageren Gesicht.

„Er macht zeitig die Kour,“ sagte der Herzog unbefangen; „der Junge ist ja Feuer und Flamme!“

„Und guten Geschmack hat er auch,“ ging die Herzogin fröhlich auf den Scherz ein.

„Das hat er von seinem Papa,“ schrillte die Stimme der alten Prinzessin, und das liebenswürdigste harmloseste Lächeln der Welt verdrängte für einen Moment die Verbissenheit. Sie sah aus, als hätte sie nie ein Wässerchen getrübt, und setzte sich noch einmal so aufrecht in ihren Stuhl zurück.

Der Herzog nahm verbindlich den Hut ab und verneigte sich vor ihr.

„Ja, meine allergnädigste Tante, ich sah stets lieber eine schöne Frau, als eine häßliche, und wenn Sie meinen, der Erbprinz habe diese Eigenschaft von mir, so machen Sie mich sehr glücklich; ich danke Ihnen.“

In Herrn von Palmers scharfgeschnittenem Gesicht wetterleuchtete es vor unterdrückter Heiterkeit. Es war ja unbezahlbar; wenn die Berg das hören könnte! Prinzeß Thekla zupfte nervös an den Spitzen ihres Taschentuches; die Herzogin aber warf dem Gemahl einen bittenden Blick zu; sie kannte vollauf seine Antipathie gegen Tante Thekla. Die stammte noch aus seinen Jünglingsjahren, wo diese besagte Tante, mit einem hervorragenden Talent für Spionage begabt, seine tollen Streiche auskundschaftete, um sie bei der Herzogin-Mutter gesprächsweise anzubringen; natürlich nicht immer ganz der Wahrheit gemäß. – Jetzt würdigte sie Seine Hoheit keines Wortes mehr; sie wandte sich zu der Herzogin und überschüttete sie mit wahrhaft unheimlichen Freundlichkeiten, die eine mitleidige Färbung hatten, wie man zu Leuten zu sprechen pflegt, die unverschuldet einen großen, großen Kummer tragen; eine Freundlichkeit, die nervöse stolze Naturen bis aufs Blut peinigen kann.

Die Herzogin verstand sie nicht, aber sie litt unter all den Fragen und Rathschlägen und Erkundigungen, und als endlich Prinzeß Thekla seufzte: „Wenn ich nur ganz gewiß wüßte, ob Eurer Hoheit dieses Altenstein gut thun kann?“ ward sie ungeduldig und bat, man möge sie hinaufführen, sie fühle sich ermüdet.

Das galt als Zeichen zum Aufbruch; in kurzer Zeit war der Platz unter den Eichen leer, lagen die bunten Kugeln verlassen auf den Wegen, und auf der Chaussee rollten die beiden Prinzessinnen nebst ihrer Begleitung Neuhaus zu.

(Fortsetzung folgt.)




Aus dem Leben des Kaisers Wilhelm I.[1]
(Fortsetzung.)
Mannesjahre des Prinzen Wilhelm.

Ehe wir den Lebensgang des Prinzen Wilhelm weiter verfolgen, müssen wir den Gelöbnissen, welche er bei seiner Konfirmation ablegte, besondere Beachtung schenken. Der Prinz stand damals bereits in seinem 19. Lebensjahre; bei solcher Reife des Alters und dem Ernst seines Wesens darf man annehmen, daß die „Lebensgrundsätze“, welche der Hofprediger Ehrenberg mit Erlaubniß des Konfirmanden als Druckschrift erscheinen ließ, von dem Prinzen selbst verfaßt wurden und der ungeschminkte Ausdruck seiner Anschauungen sind. Für die richtige Beurtheilung seines Charakters und das Verständniß vieler Handlungen des späteren Fürsten ist daher die Kenntniß wenigstens der wesentlichsten dieser Lebensgrundsätze unerläßlich. Es sind dies namentlich die folgenden:

„Ich freue mich dieses (meines hohen) Standes nicht um der Auszeichnung willen, die er mir unter den Menschen verleiht, auch nicht um der Genüsse willen, die sich mir in demselben darbieten, sondern um deswillen, daß ich in demselben mehr wirken und leisten kann. Mein fürstlicher Stand soll mich immer an die größeren Verpflichtungen, die er mir auferlegt, an die größeren Anstrengungen, die er von mir fordert, und an die größeren Versuchungen, mit denen ich zu kämpfen habe, erinnern.

Ich will nie vergessen, daß der Fürst doch auch Mensch – vor Gott nur Mensch ist und mit dem Geringsten im Volke die Abkunft, die Schwachheit der menschlichen Natur und alle Bedürfnisse derselben gemein hat, daß die Gesetze, welche für andere gelten, auch ihm vorgeschrieben sind und daß er, wie die Anderen, einst über sein Verhalten wird gerichtet werden.

Mir soll alles heilig sein, was dem Menschen heilig sein muß.

Auf Gott will ich unerschütterlich vertrauen, ihm alles anheimstellen und mir im Glauben an seine Vorsehung einen getrosten Muth zu erhalten suchen.

Ich will an meiner Geistes- und Herzensbildung unablässig arbeiten, damit ich als Mensch und als Fürst einen immer höheren Werth erlange.

Ich weiß, was ich als Mensch und als Fürst der wahren Ehre schuldig bin. Nie will ich in Dingen meine Ehre suchen, in denen nur der Wahn sie finden kann.

Die Vergnügungen des Lebens will ich in Unschuld genießen und mich durch den Genuß derselben stärken zu des Lebens Pflichten, nie aber diesen Genuß mir zu einer wichtigen Angelegenheit machen oder als ein fürstliches Vorrecht ansehen.

Meine Kräfte gehören der Welt, dem Vaterlande. Ich will daher unablässig in dem mir angewiesenen Kreise thätig sein, meine Zeit auf das beste anwenden und so viel Gutes stiften, als in meinem Vermögen steht.

Ich will ein aufrichtiges und herzliches Wohlwollen gegen alle Menschen, auch gegen die Geringsten – denn sie sind alle meine Brüder – bei mir erhalten und beleben.

Ich achte viel höher, geliebt zu sein, als gefürchtet zu werden oder bloß ein fürstliches Ansehen zu haben.

Ich will das Verdienst aufmuntern und belohnen – und besonders das bescheidene und verborgene ans Licht ziehen.

Den Unglücklichen, die meinen Beistand suchen, oder von denen ich sonst erfahre, vornehmlich Wittwen, Waisen, Bejahrten, Männern, die dem Staate treu gedient, und ihren in Armuth Zurückgelassenen will ich Helfer und Fürsprecher sein, wie ich es vermag.

Für den König, meinen Vater, hege ich eine ehrfurchtsvolle und zärtliche Liebe. Ihm zur Freude zu leben, will ich mich auf das angelegentlichste bemühen. Seinen Befehlen leiste ich den pünktlichsten Gehorsam. Den Gesetzen und der Verfassung des Staates unterwerfe ich mich in allen Stücken.

Die Tugenden der Königin, meiner vollendeten Mutter, sollen mir unvergeßlich sein, und das Andenken der Verklärten soll bei mir stets in einem gerührten und dankbaren Herzen wohnen.

Meinen Geschwistern gelobe ich zärtliche Liebe und allen Mitgliedern der Familie, welcher ich angehöre, eine treue Ergebenheit.

Den Pflichten des Dienstes will ich mit großer Pünktlichkeit nachkommen und meine Untergebenen zwar mit Ernst zu ihrer Schuldigkeit anhalten, aber ihnen auch mit freundlicher Güte begegnen.

Verderbte Menschen und Schmeichler will ich entschlossen von mir werfen. Die Besten, die Geradesten, die Aufrichtigsten sollen mir die Liebsten sein. Die will ich für meine wahren Freunde halten, die mir die Wahrheit sagen, wo sie mir mißfallen könnte.“

Dies die bezeichnendsten Stellen aus den Lebensgrundsätzen. „Die Welt wird sehen, mit welchem Ernst und mit welcher

  1. Nach Ernst Scherenbergs Gedenkbuch für das deutsche Volk „Kaiser Wilhelm I“. (Leipzig, Ernst Keils Nachfolger.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_204.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)