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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Bleiben Sie, liebstes Kind, ich muß Ihnen noch weiter erzählen; die Herzogin bekam Briefe heute früh, und plötzlich – ich hatte die Kouverts aufgeschnitten – höre ich vom Nebenzimmer aus einen sonderbaren Ton, wie einen schweren Seufzer, und als ich zurückkomme, liegt die Herzogin wieder in den Kissen mit geschlossenen Augen. – Ich bemühte mich um sie, und da sagte Hoheit auf einmal mit eigenthümlich schwerer Zunge: ‚Gehen Sie hinaus, liebe Katzenstein, ich will allein sein‘– Ich ging widerstrebend, und als ich vorhin in meiner Angst hinein wollte, hatte die Herzogin sich eingeschlossen – etwas, was noch nie dagewesen ist. – Seine Hoheit hatten schon zweimal geschickt, um sich anzumelden, der Erbprinz vergeht vor Ungeduld; im Garten steht die Kapelle und wartet auf Befehl zum Beginnen des Ständchens, und noch rührt sich nichts in dem Zimmer der Herzogin.“

„Mein Gott, sie bekam doch keine schlimmen Nachrichten von ihrer Schwester?“

Die alte Hofdame zuckte die Schulterm „Wer kann es wissen?“

„Kommen Sie, liebste Frau von Katzenstein! Hoheit war gestern schon so sonderbar, so aufgeregt!“

Das schöne Mädchen mit dem sorgenvollen Gesicht stand an der kleinen Tapetenthür, die an das Schlafzimmer der Herzogin führte, und lauschte. Kein Ton zu hören. „Elisabeth!“ rief sie leise und angstvoll.

Dort innen wurde der Ruf gehört. Vor ihrem Bette knieete die Herzogin und hob den Kopf; ihre starren Augen wandten sich nach jener Richtung, aber ihre Lippen preßten sich nur noch fester auf einander. In der Hand hielt sie ein kleines, vielfach gebrochenes Billet. – Das Zweifeln, das Bangen war vorüber; mit der Gewißheit war Ruhe über sie gekommen, eine schreckliche starre Ruhe, und mit ihr der Stolz, der Stolz der königlichen Prinzessin, allgewaltig und stark. Niemand durfte es ahnen, wie arm sie geworden!

Nur diese kurze Rast noch, nur diese eine Stunde, um das todeswunde Herz zu beschwichtigen, zu betäuben! – Gönnte man ihr auch das nicht?

„Elisabeth!“ klang es wieder. „Um Gotteswillen, ich sterbe vor Angst!“

Die Herzogin erhob sich plötzlich. Sie trat einen Schritt auf die Thür zu, die Fäuste an die Schläfen gepreßt wie verzweifelt. Dann ging sie und öffnete.

„Was wollen – was willst Du?“ fragte sie kühl.

Claudine war eingetreten und blickte in zwei starre, glühende Augen, auf eine hoch aufgerichtete Gestalt. „Elisabeth,“ fragte sie leise, „was ist Dir? Bist Du krank?“

„Nein! – Rufe die Kammerfrau!“

„Kämpfe nicht so dagegen an, Elisabeth; lege Dich. Du siehst sterbend aus, Du bist leidend,“ stammelte Claudine, die furchtbare Veränderung gewahrend. Aus dem lächelnden Antlitz war eine starre Larve geworden.

„Rufe die Kammerfrau und bringe mir ein Licht!“

Claudine that schweigend, wie ihr befohlen. Die Herzogin hielt ein Papier in die Flamme; sie ließ es erst zur Erde fallen, als das Feuer um ihre schmalen durchsichtigen Finger spielte, und trat dann mit dem Fuße darauf.

„So!“ sagte sie, indem sie die Hand auf die Brust legte und tief Athem holte. Ein Zucken flog dabei über ihr Gesicht, als empfinde sie lebhaften körperlichen Schmerz.

Sie ließ sich ankleiden, aber sie befahl eine dunkle Toilette. Ihr Gesicht mit den zwei brennend rothen Flecken unter den Augen sah merkwürdig gelblich aus zu der dunklen heliotropfarbenen schlichten Robe. Sie ließ alles mit sich thun; als aber die Kammerfrau eine gelbliche Rose im Haar befestigte, riß die Herzogin ungestüm die Blume herunter und warf sie zur Erde.

„Rosen!“ sagte sie mit unbeschreiblicher Betonung. Wie in tiefen Gedanken stand sie dann vor dem Spiegel, Claudine etwas hinter ihr mit bekümmertem Ausdruck.

Endlich begann die Herzogin zu lachen. „Kennst Du das Sprichwort,“ fragte sie: „‚Alles verstehen, ist alles verzeihen‘?“ Und ohne die Antwort abzuwarten, wandte sie sich an die Kammerfrau: „Melden Sie Seiner Hoheit, daß ich bereit bin.“

Sie winkte Claudine und schritt mit ihr durch das Boudoir in den rothen Salon. Das reiche Gemach war von Blumenduft erfüllt; auf einem Seitentisch hatte man die Geschenke geordnet, Spielsachen, Bücher, ein prachtvolles kleines Gewehr. In der Mitte des Tisches prangte im reich geschnitzten Rahmen eine Photographie der Herzogin. Sie nahm das Bild in die leise bebende Hand und heftete ihre Augen darauf, als sei es etwas Fremdes, nie Gesehenes. „Es ist entzückend ähnlich geworden, Hoheit,“ sagte Frau von Katzenstein, „Hoheit sehen so frisch daraus aus, so glücklich.“

„Es ist ein schlechtes Bild,“ erwiderte die Fürstin hart, „tragen Sie es fort; es ist unwahr, ich bin es nicht.“

Frau von Katzenstein warf Claudine einen verzweifelnden Blick zu im Hinausgehen.

In diesem Augenblick öffnete ein Lakai die Thür, und der Erbprinz kam herein, gefolgt von dem Herzog, der den jüngsten Prinzen auf dem Arme trug und den zweiten an der Hand führte. Jubelnd wollte der Prinz zu seiner Mutter hinüber, aber sein Schritt stockte, ebenso wie der Herzog stehen blieb und auf die Frauengestalt schaute, die dort so seltsam starr und fremd am Tische stand in dem dunklen nonnenhaften Kleide.

Sie sah ihrem Gemahl in die Augen, als wollte sie ihm bis auf den Grund der Seele schauen. Unten begann eben das Ständchen; durch das offene Fenster scholl es feierlich: „Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren.“

Einen Augenblick schien es, als könne sie die Fassung nicht bewahren; sie schwankte und preßte ihr Gesicht in das Haar des Erbprinzen.

„Mama, gratulire mir doch!“ bat der Knabe ungeduldig; er durfte erst nach dem Handkuß zu seinen Gaben.

„Gott segne Dich!“ flüsterte sie und setzte sich in den Stuhl, den ihr der Herzog jetzt herzurollte.

Claudine hatte sich zurückgezogen, als dieser eingetreten war; sie mußte es thun, es war Familienfeier im engeren Kreise und niemand hatte sie gebeten zu bleiben. Sie stand im Nebenzimmer am Fenster. Das Jubeln der fürstlichen Kinder vermischte sich mit dem lustigen Marsch, der von unten herauf tönte. „Was, um Gotteswillen, war es mit der Herzogin?“ fragte sie bang.

„Die Großmama! Die Großmama!“ scholl es jauchzend. Ein freudiger Schreck durchfuhr das Mädchen, ihre geliebte verehrte Herrin, die immer Gütige war gekommen. Es zuckte ihr in den Füßen, sie hätte hinfliegen mögen, um ihr die Hand zu küssen. Und jetzt klang die milde Frauenstimme herüber; aber bebte sie nicht seltsam schmerzlich heute?

„Mein liebes Kind, meine gute Elisabeth, wie geht es Dir?“

Lange blieb es still dort drüben. Dann sprach dieselbe schmerzbebende Stimme: „Altenstein scheint Dir nicht gutgethan zu haben, Elisabeth; ich nehme Dich mit nach Bayern.“

„O, ich bin ganz gesund,“ erwiderte jetzt die Herzogin laut, „so gesund! Du glaubst nicht, Mama, was ich ertragen kann!“

Die lärmende Musik draußen verschlang die fernere Unterhaltung.

Claudine stand wie auf Kohlen. Fragte denn Ihre Hoheit nicht nach ihr? Sie wußte doch, daß sie bei der Herzogin weilte, sie hatte es ihr ja selbst geschrieben. Freilich, eine Antwort hatte sie nicht erhalten; es fiel ihr erst jetzt bedeutungsvoll auf. Jene unerklärliche Bangigkeit von heute früh kam wieder über sie.

Dort innen war es allmählich still geworden; die Herzogin-Mutter mochte sich entfernt haben, um nach der langen Fahrt zu ruhen; die Kinder waren in ihre Gemächer zurückgekehrt. Man hörte nur die Schritte Sr. Hoheit, der ungeduldig im Zimmer auf und ab ging.

„Claudine!“ rief die Herzogin. Sie wollte es ertragen lernen, die Beiden zusammen zu sehen. Und als die Gerufene erschien, blickte sie von ihr zu dem Herzog hinüber. Wie gut sie sich in der Gewalt hatten! Se. Hoheit streifte dieses schöne Mädchen kaum mit einem Blick.

Sie mußten sich brillant eingeübt haben im Verstellen! Ach nein, sie hatten so leichtes Spiel ihr, der vertrauenden gläubigen Thörin, gegenüber! Einen Moment kam eine brennende Eifersucht über sie; eine Lust, diejenige, die jetzt neben ihr stand, mit einem Schlage zu vernichten.

„Präsentiren Sie Sr. Hoheit jenes Glas Wein, Claudine,“ sagte sie. „Se. Hoheit vergaß, daß ich es ihm vorhin reichte.“

Claudine that, wie ihr geheißen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_310.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)