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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

wie der kleine Hydriot, „hinaus auf das stürmische Meer.“ Häufig können die Dampfer kaum die Scharen befördern, die nach den hübsch gelegenen Vergnügungsorten an der Spree gelangen wollen, und ein buntfarbiges, unterhaltendes Bild ist es dann, welches der Fluß mit seinem regen Leben darbietet. Aber auch der Lastverkehr ist weit größer, als man glaubt: haben doch im verflossenen Jahr an 50 000 beladene Schiffe Berlin durchkreuzt, wie so auch die Spree und die mit ihr verbundenen Kanäle allein fünf geräumige Häfen bilden, in denen einige hundert Fahrzeuge nebeneinander liegen und gelöscht werden können. Da geht es rührig Tag für Tag her; die Dampfkrähne pfeifen und kreischen und winden spielend viele Centner schwere Lasten empor, um sie in die harrenden Wagen zu befördern; auf schwanken Brettern werden in klobigen Karren Sand und Steine und Kohlen und Holz an das Land gebracht; Geschrei, Rufen, Lärmen herrscht stets ringsum; denn die Lastträger und Schiffer sind hitzige Leute und das lange Warten, wie es oft geboten ist, ist nicht ihre Sache. Zumeist freilich lassen sie es am Schreien genügen und nur selten kommt es zu Tätlichkeiten: sie wissen recht gut, wie flink die zierlichen Polizeidampfer nahen und wie wenig die heilige Hermandad zögert, energisch Ruhe herzustellen!

Wo und zu welcher Stunde wir auch in Berlin weilen mögen, geschäftiges Leben und Treiben umgiebt uns überall vom frühesten Morgen an bis in die sinkende Nacht hinein. Selbst Abends, Wenn die Bureaus und Komptoirs, die Werkstätten und Ateliers geschlossen werden, wenn immer neue Menschenströme sich aus den Querstraßen in die großen Verkehrsadern ergießen, wenn für Unzählige die kurze Zeit der Erholung anfängt und sie sich freudig in das Vergnügen stürzen, beginnt wiederum für viele die Zeit angestrengter Thätigkeit; denn eine eigentliche Ruhepause in dem unermüdlichen Kreislauf der Weltstadt giebt es nicht. Die letzten schwankend ihren Penaten zusteuernden Kneipgenies, die ersten zu den frühesten Morgenzügen eilenden Reisenden, sie stoßen schon auf Arbeit: bei loderndem Feuer werden die Pferdebahnschienen ausgebessert, bei sprühendem Fackellicht wird das Pflaster erneuert, eilig fertigzustellende Bauten werden bei elektrischem Licht gefördert; in langen Reihen treten die Reinigungsmannschaften an und ihre Besen fegen taktgemäß über den Asphalt. Die Zettelankleber reißen in langen Strähnen das Papier von den Anschlagsäulen und versehen dieselben für den folgenden Tag mit einer neuen Vergnügungsspeisekarte. Dann, wenn das Frühlicht langsam herauf dämmert, rollen von den umliegenden Ortschaften die Wagen mit Lebensmitteln aller Art heran und steuern den Markthallen zu; Bäckerjungen streichen pfeifend an den Häusern entlang, und zuerst einzeln, darauf in kleinen Trupps, schließlich in dichten Mengen tauchen die Arbeiterkolonnen auf, die Maurer und Zimmerleute mit ihrem Handwerksgeräth in der Hand voran, ihr schweres Tagewerk beginnt so am ehesten. Bald nun erschallt das erste helle Läuten der Pferdebahn, die auf vielen Linien besondere Frühwaggons eingerichtet hat, und jetzt tritt auch schon der Tag mit seinem vielgliedrigen Räderwerk in sein Recht und die aufgehende Sonne begrüßt in Berlin bereits ein Heer fleißiger Menschen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_316.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)