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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

fortzugeben; aber er war von jeher ein schwacher Vater gewesen, dessen Ueberzeugungen leider oft genug den Wünschen seiner schönen und verwöhnten Tochter hatten weichen müssen. Diesmal wollte durchaus das Töchterlein verheirathet werden. Nur ein wenig scharfsichtiger hätte er sein müssen, und der gute Papa hätte gar leicht sein Töchterlein festhalten können. Die ruhige Zustimmung allein: „Reise glücklich und grüße mir den trefflichen Mr. Howard,“ würde das Wunder zu stande gebracht haben. Das geschah indeß nicht und so gab es eine erregte Scene, in welcher der alternde Vater mit feuchten Augen seine Tochter beschwor, den Boden von Alt- England nicht zu verlassen, Miß Ellen aber, durch den Widerspruch gereizt, erklärte, Mr. Howard in Bangkok werde ihr Gatte oder kein männliches Wesen auf dem Erdenrund werde je ihr Antlitz wieder schauen. Sie hatte ihren Willen durchgesetzt, war nach Indien gereist und Mr. Howards Frau geworden.

Nun war der Vater gestorben und kurz darauf auch ihr Gatte, Mr. Howard, der verdienstvolle, humane und gerechte Förderer europäischer Kultur in Hinterindien, plötzlich dahingerafft worden.

Frau Ellen war Witwe; und da das indische Leben, aus dem raffinirtesten Luxus und der erschütterndsten Dürftigkeit zusammensetzt, ihren im Grunde gesunden Sinnen nicht behagte, wollte sie nach Europa zurückkehren. Der nächste Dampfer von Singapore nach London ging erst in zwei Monaten; die eigenwillige Frau wollte aber sofort die Reise antreten und so wählte sie den „Wotan“, ein deutsches Segelschiff erster Klasse, welches auf der Außenrhede seine Reisladung empfing, zur Reise nach London.

Der gesunden Schönheit von Frau Ellen Howard hatten die Fieberdünste Indiens nichts anhaben können. Wohl war das röthliche Kolorit ihrer Wangen einem durchsichtigen, plastisch wirkenden Blaßgelb gewichen und das köstliche goldblonde Haar hatte um ein weniges von seinem Glanz verloren – sonst blieb sie ganz die alte Ellen. Ja, vielleicht war die Dame im leichten weißen Batistkleide, die da im bequemen Bambusstuhl ruhte, noch selbstbewußter als die ehemalige Ellen von Alt-England; denn ein hoher Name und ein großes Vermögen stärken das Bewußtsein.

„Ho hoi! Vorsichtig! Fangt das Tau! Da fliegt es über die Reeling! Ho hoi! Habt Ihr etwas für den ‚Wotan‘?“

„Yes, da sind Briefe, Zeitungen und ein Packet Schiffspapiere; überdies ein Passagier; nein drei! He, Madam, wollen Sie gefälligst hier die Strickleiter hinansteigen?“

Die gelbbraunen Gestalten der malayischen Mannschaft bemächtigten sich des Gepäcks der Engländerin; einige Matrosen halfen ihr das Füßchen auf die erste Sprosse der Strickleiter bringen.

Die beiden braunen Dienerinnen, welche Frau Howard mitgebracht hatte, schauten melancholisch auf den schwachen dunklen Streif zurück, der nördlich den Horizont kränzte, ihr Heimathland. Als Frau Ellen Howard einige Sprossen der steilen Strickleiter erklommen, ward sie durch ein Rauschen und Wellenschlagen veranlaßt, den Kopf rückwärts zu wenden. Ein kleiner Schleppdampfer, in dessen Schlepptau drei der fruchtbeladenen Lichterfahrzeuge sich befanden, fuhr heran und wartete nur auf den Abgang des Postbootes, um bei dem „Wotan“ anzulegen. Auf dem Deck des Schleppers aber – und das war es, was Frau Ellen mit gerechtem Ingrimm erfüllte – stand ein schwarzbärtiger Herr in hellem Seidenanzug, den breitrandigen Palmenhut auf dem Haupte, offenbar im Begriff, ebenfalls den „Wotan“ als Reisekutsche zu benutzen. Mit leichter Lüftung des Hutes grüßte er sogar die am „Wotan“ emporklimmende weibliche Gestalt.

Ellen drückte das Haupt in den Nacken; sie fand es unverschämt, daß noch ein Mensch den Einfall hatte, mit dem „Wotan“ reisen zu wollen, und – „meine Kajüte!“ herrschte sie dem Mann zu, der, in würdiger Ruhe Befehle gebend, der Führer des „Wotan“ sein mußte.

„Steward, führe Madame zu ihrer Kabine, Nummer Zwei,“ befahl der Seemann einem vorübergehenden Schiffsjungen und schaute danach wieder in die Papiere, welche er in der Hand trug.

„Mein Name ist Mistreß Howard, Gattin des jüngst verstorbenen Konsuls Ihrer Majestät der Königin von England und Kaiserin von Indien,“ sagte die Dame mit einiger Schärfe.

„Bin mir der Ehre bewußt,“ antwortete der Kapitän, ohne mehr als flüchtig sich zu verneigen.

Frau Ellen verschwand in Nummer Zwei und die beiden dunklen Mädchen in Nummer Drei der längs der stattlichen Kajüte hergerichteten Passagierkabinen.

Das Postboot stieß ab, der Schlepper legte an und gleich danach schaute ein bärtiger Manneskopf über den Bord des „Wotan“.

„Walter Iversen“ begrüßte der Kapitän den neuen Ankömmling. Zwei Männerhände lagen für einen Moment kräftig in einander.

„Kabine Nummer Eins, Steuerbord,“ rief der Kapitän, und mit einem verständnißvollen Kopfnicken verschwand der neue Reisende unter Deck; er wußte offenbar auf Schiffen Bescheid.

Hoi ho, der letzte Sack Reis ist im Schiff, die Luken dicht! Die Anker auf, die Segel herunter!

Mit stolzer Wendung dreht das Schiff nach Südwesten; der Wind faßt die schräg gestellten Leinwandflächen, und dahin rauscht der „Wotan“ in freier Fahrt. Ade, du wunderbare indische Erde; ade, du ewiger Sonnenschein, ihr immergrünen Cedern und Palmen; ade, du entnervendes Schlaraffenthum und du altewige Sklaverei! Der Kiel folgt dem Zuge nach Westen, nach dem alten Europa. Sie jauchzen schon jetzt der Atlantik entgegen, die deutschen Seeleute des „Wotan“, obwohl kein anderer Laut an die freie Luft dringt, als das Kommando des befehlenden Kapitäns oder der eintönig rhythmische Gesang, mit welchem abendländische Seeleute schwere



Die Waldlilie. Statue von Hans Brandstetter.
Nach einer Photographie von M. Frankenstein u. Comp. in Wien.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_368.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2018)