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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

als ich noch nicht wußte, was Liebe ist; als halbes Kind schon habe ich ihn geliebt!“

Die Herzogin schwieg, aber sie athmete rasch.

„Glaubst Du mir nicht, Elisabeth?“ fragte Claudine leise.

„Ja, ich glaube Dir, Dina; aber liebt er Dich? Sage, liebt er Dich auch?“ flüsterte die Herzogin.

Sie senkte die Wimper. „Ich weiß es nicht,“ stammelte sie.

„Und wenn Du wüßtest, er liebt Dich nicht, würdest Du trotzdem sein Weib werden wollen?“

„Nein, Elisabeth!“

„Und Du würdest Dich nie entschließen können, einem Andern Deine Hand zu schenken, der Dich unsäglich liebt?“

Das schöne Mädchen saß wie ein Steinbild, ohne zu antworten.

„Claudine, weißt Du, weshalb ich gekommen bin?“ fragte die Herzogin leidenschaftlich erregt – „um mit der letzten Lebenskraft demjenigen, der mir am theuersten ist auf dieser Welt, ein heißersehntes Glück zu retten. Als ich fortging nach Cannes,“ sprach sie weiter, „da kämpfte noch meine thörichte Schwachheit, mein verwundetes eitles Herz mit der besseren Einsicht. Claudine, der Herzog liebt Dich – mich hat er nie geliebt. Er liebt Dich mit aller Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, deren sein edles Herz fähig ist. Ich habe während der Jahre unserer Ehe in jedem Zuge seines Gesichtes lesen gelernt – er liebt Dich, Dina! Und er wird Dich nie vergessen. Sitze nicht so stumm da; um Gotteswillen, antworte!“

„Du irrst Dich!“ rief Claudine angstvoll und streckte abwehrend ihre Hand gegen die Herzogin aus. „Du irrst Dich; Se. Hoheit liebt mich nicht mehr, es ist ein Wahn von Dir! Du darfst nicht grübeln über solche Hirngespinste, Du durftest deshalb nicht kommen.“

„O, glaubst Du, Dina, daß man die Liebe auszieht wie ein Kleid?“ fragte die Herzogin bitter, „daß man sich vornehmen kann, etwa als wolle man einen Spaziergang machen: von heute ab wird nicht mehr geliebt – Punktum!? So ist das Herz nicht beschaffen.“

Claudine schwieg. „Ich werde mich nie verheirathen,“ sagte sie dann leise und bestimmt, „wenn nicht beider Herzen sich einander zuneigen, nie! Verzeihe, Elisabeth, ich darf Dir keine trügerischen Versprechungen machen. Verfüge über alles, alles! Ueber mein Leben, wenn es sein muß, nur verlange das nicht!“

Die Herzogin blickte mit weinenden Augen an Claudine vorüber. Ein Weilchen blieb es ganz still im Gemach.

„Armer Mann! Ich hatte es mir so schön gedacht für Dich,“ sagte sie dann mehr zu sich selbst. „Es soll nicht sein!“ Und etwas lauter: „Welche Verwirrung – Du liebst Lothar, und er – arme kleine Prinzessin!“

„Elisabeth!“ schrie Claudine auf und ihre erblaßten Lippen zitterten. „Ich will ja sein Glück nicht hindern – was denkst Du von mir? Nie! Nie! Erweise mir eine Liebe,“ fuhr sie hastig fort, „gieb ihm in meinem Namen seine Freiheit zurück – ich weiß, Du sprichst mit ihm über diesen Punkt.“

„Morgen,“ sagte die Herzogin.

„So gieb ihm das!“ Sie zog heftig den Brautring von ihrem Finger. „Hier ist das Glück der Prinzessin, nimm es und – laß mich meine eigenen Wege gehen, allein, fern von allem, was mich an ihn erinnert!“

Sie sprang empor und ging zur Thür hinüber.

„Claudine,“ bat die Herzogin mit ihrer schwachen Stimme und ihre kranken Hände umschlossen den Ring, „Dina, geh’ nicht so von mir! Wer ist die Aermere von uns beiden? Hilf mir lieber, daß noch etwas Segen aus alledem werde.“

Claudine kam zurück. „Was soll ich noch thun?“ fragte sie resignirt.

Die Herzogin bat um Wasser. Dann hieß sie Claudine eine Schatulle bringen, öffnete dieselbe und reichte dem Mädchen ein Stück Papier.

„Es ist ein Verzeichniß der kleinen Andenken, die ich nach meinem Tode vertheilt wissen will. Bewahre es – es ist eine Abschrift, das Original hat der Herzog.“

„Du sollst Dich nicht so entsetzlich aufregen, Elisabeth.“

„O, ich werde ruhiger sein, wenn alles geordnet ist, Dina. Lies noch einmal laut, ob ich auch nichts versäumte. Es soll niemand sagen: Sie vergaß mich!“

Mit bebender Stimme las Claudine. Zuweilen machte ein Thränenflor ihren Augen die Schrift unleserlich; es war alles so zart ausgewählt, es zeugte jedes Einzelne von einem so innigen tiefen Gemüth.

„Meiner lieben Claudine gehöre der Schleier aus Brüsseler Spitzen, den ich getragen als Braut –.“

Eine flammende Röthe schlug über des Mädchens vergrämtes Gesicht – sie wußte, was die Herzogin gemeint.

„Nimm es zurück, nimm es zurück!“ schluchzte sie und knieete am Bette nieder.

„O wie schlimm! O wie schlimm!“ sagte die Herzogin, „Du und er – unglücklich. Ihr meine beiden liebsten Menschen!“

Claudine küßte die heißen Hände der Kranken und eilte hinaus; der Schmerz tobte zu heftig in ihr. Im Wintergarten unter den Magnolien und Palmen weinte sie sich aus; das leise Geplätscher des Springbrunnens zu ihren Füßen beschwichtigte ihre wilde Verzweiflung; sie war nach einigen Minuten so weit gefaßt, daß sie ruhig „Gute Nacht!“ wünschen konnte. Als sie durch die seidenen Vorhänge hinüber spähte zu dem Bette, lag die Kranke anscheinend im Schlummer, einen gramvollen Zug um den Mund.

Im Vorzimmer traf Claudine den alten Medizinalrath, er begrüßte sie freundlich.

„Ist es denn wirklich so nahe, das Ende?“ fragte das erschütterte Mädchen.

Er reichte ihr zutraulich die Hand. „So lange noch Athem ist, gnädiges Fräulein, ist auch Hoffnung. Aber nach menschlichem Ermessen – Hoheit wird auslöschen wie ein Licht, wird vor Erschöpfung einschlafen eines Tages.“

Claudine deutete unwillkürlich nach ihrem Arme – „Herr Rath?“

„Ach, gnädiges Fräulein,“ sagte der alte Mann gerührt, „das hilft nicht mehr. Hier ist’s vorbei, hier!“ Und er deutete auf die Brust. „Ich will noch zum Herzog, um Nachricht zu bringen von dem Befinden Ihrer Hoheit“, sprach er leise, indem er neben der jungen Dame den Korridor entlang ging. „Seine Hoheit hat übrigens gleich eine sehr unerfreuliche Ueberraschung hier vorgefunden. Sie wissen doch schon? Palmer ist verschwunden und hat eine große Konfusion hinterlassen.“

„Nach Frankfurt fuhr er diese vergangene Nacht,“ sagte Claudine betroffen „er wollte vermutlich den Herrschaften entgegen reisen; ich sah ihn auf dem Bahnhofe in Wehrburg.“

„Dieser Schuft,“ murmelte der alte Herr, „er ist längst jenseit der Grenze. Entgegenfahren? Wer hat Ihnen das vorgefabelt, gnädiges Fräulein?“

„Ich hörte, wie er zu Frau von Berg davon sprach.“ Und Claudine stand still; das ganze merkwürdige Erlebniß wurde ihr plötzlich klar.

„Die passen füreinander,“ lachte der Arzte „ich will’s aber doch beiläufig Seiner Hoheit erzählen. Da werden wir morgen die Nachricht erhalten, daß auch die Gnädige verreist ist, mit Hinterlassung von allerhand Allotriis und Konfusionen. Man soll nicht schadenfroh sein, aber Ihrer Durchlaucht gönnte ich es; sie hat auf eine wunderbare Art die Dame protegirt. Gute Nacht, gnädiges Fräulein!“

Es war so. Am andern Morgen erfuhr man im Schlosse, daß Frau von Berg plötzlich verschwunden sei. Sie hatte weiter keine „Allotria und Konfusionen“ hinterlassen, als ein Paket Briefe, an die Herzogin gerichtet, und einen Brief an Seine Hoheit. Aber der Schutzengel, der an der Schwelle des Krankenzimmers Wache hielt in Gestalt der Frau von Katzenstein, ahnte sofort, daß der Inhalt des Päckchens nicht geeignet sein könnte für Ihre Hoheit, sie übergab es daher resolut dem Herzog. Die alte Dame kam just in dem Moment, als Seine Hoheit mit der Zornader auf der Stirn einen Haufen Papiere durchstöberte; der Polizeidirektor war ebenfalls im Zimmer anwesend.

Der Herzog mochte glauben, Frau von Katzenstein bringe ihm Nachrichten von Ihrer Hoheit. Statt dessen reichte ihm die alte Dame nun ernsthaft ein mit himmelblauem Seidenbande umwundenes Päckchen Briefe hin, dessen oberster, unverkennbar von der Handschrift Seiner Hoheit, die Adresse der Frau von Berg trug.

Der Herzog ward blaß.

„Und das sollte man Ihrer Hoheit übergeben?“ fragte er bewegt und sah schier fassungslos die Zeugen einer lustigen Junggesellenzeit an, von damals, wo man so gern bei Herrn und Frau von Berg soupirte und Bakkarat spielte in dem blauen koketten Salon der schönen Frau. Dieses Weib, das niemals in einem Raume mit der Frau, deren Lebenszeit nur noch Tage zählte, der man diese Tage durch eine Infamie zu qualvollen

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