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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

ein kleines Gütchen hoch oben in den Bergen; aber da die beiden sich von ganzem Herzen liebten und gegen die Persönlichkeit des Freiers nichts einzuwenden war, so ließ sich die Zustimmung nicht verweigern.

Das Ehepaar lebte zwar in bescheidenen Verhältnissen, aber auch in einem Familienglück, das dem reichen Nordheimschen Hause fehlte, und das einzige Kind, die kleine Erna, wuchs im vollen Sonnenschein dieser Liebe und dieses Glückes empor. Leider verlor Thurgau seine Frau schon nach sechsjähriger Ehe, und ihn, den Gemüthsmenschen, warf der unerwartete Schlag so vollständig nieder, daß er nun auch nichts mehr von der Welt wissen wollte, sondern seinen Abschied zu nehmen beschloß. Nordheim, der in seinem rastlosen Ehrgeiz und Thatendrang einen solchen Entschluß überhaupt nicht begriff, bekämpfte ihn aufs heftigste, aber vergebens; sein Schwager hielt mit der ganzen Hartnäckigkeit seines Charakters daran fest. Er quittirte wirklich den Dienst, in dem er bis zum Major vorgerückt war, nahm sein Kind und zog sich mit ihm nach dem Wolkensteiner Hofe zurück, dessen geringe Einkünfte, im Verein mit der Pension, für seine einfachen Bedürfnisse genügten.

Seitdem war eine gewisse Entfremdung zwischen den beiden Schwägern eingetreten; der vermittelnde Einfluß der Gattin und Schwester fehlte und dazu kam noch die räumliche Entfernung. Sie sahen sich immer seltener und schrieben sich auch nur selten, bis der Bau der Gebirgsbahn und die Nothwendigkeit, Thurgaus Besitzung dafür zu erwerben, wieder eine persönliche Annäherung veranlaßte…

(Fortsetzung folgt.)




Aus der Reichshauptstadt.
3. Im Thiergarten.
Von Paul Lindenberg.       Mit Illustrationen von P. Bauer. u. a.

Am Brandenburger Thor. 

Berlin und der Thiergarten – für jeden, der nur die kürzeste Frist in der Hauptstadt zugebracht hat, ist dies ein untrennbarer Begriff. Berlin ohne den Thiergarten und umgekehrt, dieser ohne die kaiserliche Residenz: das ist thatsächlich undenkbar, es ist unmöglich, eine solche Idee ernsthaft weiterzuspinnen. Das fröhliche Lächeln von Berlin, ein Stückchen Poesie im rauschenden Trubel der nimmer rastenden Weltstadt: so erscheint uns stets dieser schöne Park, welcher in seinem Umfang und seinen Anlagen nicht so leicht seinesgleichen findet und dessen Werth ein großer Theil der Einwohnerschaft auch wohl zu würdigen weiß. Wie freut sich das ermüdete Auge, wie heben sich die vom Staub der Straßen bedrückten Lungen, wenn wir, von den Linden kommend, das Brandenburger Thor, jenen herrlichen, den atheniensischen Propyläen nachgebildeten Bau, durchschritten haben und sich nun die lockenden grünen Hallen des Thiergartens vor uns ausdehnen! Hinter uns liegt die Stadt, aus deren Häusermeer das neue Reichstagsgebäude fest emporstrebt und die Siegessäule, von goldenen Sonnenstrahlen umfluthet, aufragt – ein froheres, freieres Treiben umfängt uns hier. Freilich in diesem Frühjahr trug die Straße, die von hier aus nach Charlottenburg führt, ein anderes Gepräge. Das frohe Treiben des Alltags war ernsteren Aufzügen gewichen. Durch dieses Thor hinaus schritt der Trauerkondukt, der die sterbliche Hülle des großen Kaisers zu dem Mausoleum in dem weihevollen Schloßparke von Charlottenburg geleitete; auf dieser Straße wogten Volksmassen, um in Charlottenburg Kaiser Friedrich zu huldigen, hier standen sie dichtgedrängt und grüßten ihn mit lautem Jubel, da er nach einer schweren Krise endlich hinausfahren und in der Reichshauptstadt Berlin erscheinen durfte.

Dieser Platz vor dem Brandenburger Thor bildete nicht immer den Eingang zum Thiergarten, o nein; dieser erstreckte sich früher bis mitten in die heutige Stadt; aus den Fenstern des kurfürstlichen Schlosses an der Spree konnte man zu Anfang des 16. Jahrhunderts auf seine wogenden Baumwipfel herabsehen, und der weidlustige Kurfürst Joachim I. hatte es bequem, auf die Birsch zu gehen. Hirsche, Auerhähne, Fasanen und allerlei anderes jagdbares Gethier hielt sich in dem sorgsam umzäunten Wildpark auf, der jedoch, mit dem Wachsthum der Stadt, mehr und mehr zurückwich, zunächst bis zum jetzigen Zeughause, dann, zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, bis zur Wilhelmstraße, schließlich, nachdem in den Jahren 1789 bis 1793 der Baurath Langhans das Brandenburger Thor errichtet, bis zur heutigen Grenze. Die Berliner der früheren Zeiten haben sich herzlich wenig um den mit Morästen durchsetzten, schwer passirbaren Wald gekümmert; erst als Friedrich der Große sich seiner Pflege widmete und ihn durch seinen genialen Baumeister und Freund Knobelsdorff gänzlich umgestalten ließ, da fanden sie Geschmack an ihm und wandelten in hellen Scharen zu ihm hin. Zwei kolossale Statuen, der pythische Apoll mit dem Bogen und Herkules Musagetes mit der Leyer, hüteten damals den Eingang und gaben einzelnen prüden Gemüthern, die übrigens zu jener Zeit seltener waren als heute, Anlaß zu energischen Beschwerden. Jenseit des Thores hielten kleine Korbwagen, welche den schnellen Verkehr mit Charlottenburg vermittelten und die Person

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_415.jpg&oldid=- (Version vom 29.2.2024)