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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Er hatte sich hoch aufgerichtet; die dunklen Augen blitzten, und die schönen Züge spannten sich in energischer Willenskraft. Man glaubte es dem Manne, daß er fähig war, einen Flug zu unternehmen, von dem andere nicht einmal zu träumen wagten.

Da rauschte es in dem Lärchenwalde, der zur Seite der Straße anstieg. In großen Sätzen kam Greif von der Höhe herab und begrüßte den jungen Arzt, von dem er wedelnd die gewohnte Liebkosung forderte. Jetzt wurde oben zwischen den Bäumen auch seine junge Herrin sichtbar, die den gleichen Weg nahm. Das ging im vollen Lauf über Steine und Baumwurzeln, mitten durch das Gestrüpp, bis sie endlich mit glühenden Wangen unten anlangte.

Frau von Lasberg würde trotzdem eine gewisse Genugthuung empfunden haben, wenn sie gesehen hätte, wie die Verbeugung des Herrn Oberingenieurs erwidert wurde, kühl und fremd, ganz wie es einer Baroneß Thurgau zukam, und dabei streifte ein halb verächtlicher Blick die elegante Erscheinung des jungen Mannes.

Elmhorst trug heute einen leichten, bequemen Anzug, der sich einigermaßen der Gebirgstracht näherte und dem seines Freundes sehr ähnlich war, aber ihm stand das ausgezeichnet; er sah darin aus wie ein vornehmer Tourist, der in Begleitung seines Führers einen Ausflug macht. Doktor Reinsfeld mit seiner nachlässigen Haltung verlor allerdings sehr neben dieser schlanken, hochgewachsenen Gestalt; seine graue Joppe und sein Hut hatten inzwischen noch einen Regenguß mehr ausgehalten, was sie nicht grade verschönte; aber ihn schien das wenig zu kümmern. Seine Augen leuchteten in heller Freude, als er das junge Mädchen erblickte, das sich ihm mit gewohnter Zutraulichkeit näherte.

„Sie wollen zu uns, Herr Doktor, nicht wahr?“ fragte sie.

„Gewiß, Fräulein Erna,“ bestätigte er. „Es ist doch alles wohl daheim?“

„Papa war heute morgen gar nicht wohl,“ sagte Erna; „trotzdem ist er auf die Jagd gegangen. Ich wollte ihm mit Greif entgegen, aber wir haben ihn nicht getroffen, er muß einen anderen Rückweg genommen haben.“

Sie schloß sich den beiden Herren an, die jetzt die Bergstraße verließen und den ziemlich steilen Weg nach dem Wolkensteiner Hofe einschlugen. Greif schien jedoch mit der Anwesenheit des jungen Oberingenieurs durchaus nicht einverstanden zu sein; er begrüßte ihn mit dem üblichen Knurren und wies ihm freundschaftlich die Zähne.

„Was hat denn Greif?“ fragte Reinsfeld verwundert. „Er ist doch sonst gutmüthig und zutraulich gegen alle Welt.“

„Ich scheine aber in seine allgemeine Menschenliebe nicht eingeschlossen zu sein,“ sagte Elmhorst achselzuckend. „Er hat mir schon verschiedene Male eine derartige Kriegserklärung gemacht, und seine Gutmüthigkeit scheint auch nicht überall Stand zu halten; in Heilborn veranlaßte er einen wahren Aufruhr im Salon des Herrn Präsidenten. Fräulein von Thurgau unternahm eine förmliche Heldenthat, um ein kleines Kind zu beruhigen, das er in Todesangst gejagt hatte.“

„Und Herr Elmhorst gab sich inzwischen mit den ohnmächtigen Damen ab,“ spottete Erna. „Ich sah es noch, als ich zurückkam, wie ritterlich er von Alice zu Frau von Lasberg lief und wahre Fluthen von kölnischem Wasser über beide ausgoß. O, es war zum Todtlachen!“

Sie lachte laut und übermütig. Wolfgang preßte einen Moment die Lippen zusammen und warf einen sehr gereizten Blick aus das junge Mädchen, dann aber erwiderte er mit voller Artigkeit:

„Sie nahmen die Heldenrolle so entschieden für sich selbst in Anspruch, mein gnädiges Fräulein, daß mir nur dieser bescheidene Ritterdienst übrig blieb. Daß ich nicht grade furchtsam bin, haben Sie wohl kürzlich am Wolkenstein gesehen, wenn ich auch bei meiner völligen Unbekanntschaft mit Weg und Steg den Gipfel nicht erreichte.“

„Den erreichst Du überhaupt nicht,“ mischte sich Reinsfeld ein. „Der Gipfel ist unersteiglich; selbst die kühnsten Bergfahrer machen Halt vor diesen senkrechten Wänden und mehr als einer hat den tollkühnen Versuch mit dem Leben bezahlen müssen.“

„Hütet die Alpenfee ihren Thron so eifersüchtig?“ fragte Elmhorst lachend. „Es scheint überhaupt eine sehr energische Dame zu sein, die mit den Lawinen um sich wirft wie mit Schneebällen und ganz wie die heidnischen Gottheiten sich jährlich so und so viele Menschenopfer schlachten läßt.“

Er blickte nach dem Wolkenstein hinauf, der auch heute seinem Namen Rechnung trug: während all die anderen Berge sich in voller Klarheit zeigten, war seine Spitze allein von weißem Gewölk umlagert.

„Du solltest nicht darüber spotten, Wolfgang,“ sagte der junge Arzt halb unwillig. „Du hast noch keinen Herbst und Winter hier durchlebt und kennst sie noch nicht, unsere wilde Alpenfee, die furchtbare Elementargewalt der Alpen, die nur zu oft das Leben und die Hütten der armen Gebirgsleute bedroht. Man fürchtet sie nicht umsonst hier in ihrem Reiche, aber Du scheinst ja schon ganz vertraut zu sein mit der Sage.“

„Fräulein von Thurgau hatte die Güte, meine Bekanntschaft mit der gestrengen Dame zu vermitteln,“ sagte Wolfgang. „Freilich empfing sie uns sehr ungnädig an der Schwelle ihres Bergpalastes – mit einem Hochgewitter, und einer persönlichen Vorstellung bin ich überhaupt nicht gewürdigt worden.“

„Hüten Sie sich nur davor, das möchte Ihnen theuer zu stehen kommen!“ rief Erna, gereizt durch den Spott. Elmhorst lächelte, mit einer Ueberlegenheit, die allerdings etwas Verletzendes hatte.

„Mein gnädiges Fräulein, von mir dürfen Sie keinen Respekt vor den Berggeistern verlangen; ich bin ja eigens gekommen, um den Kampf mit ihnen zu unternehmen. Die Arbeiten des neunzehnten Jahrhunderts vertragen sich nicht mit der Gespensterfurcht. – Bitte, sehen Sie nicht so empört aus. Unsere Bahnzüge gehen ja nicht über den Wolkenstein und Ihre Alpenfee bleibt vorläufig unangefochten auf dem Thron sitzen. Allerdings muß sie es von dort mit ansehen, wie wir Besitz von ihrem Reiche nehmen und es in unsere Fesseln schlagen. – Aber ich beabsichtige nicht entfernt, Ihnen Ihren ‚kindlichen‘ Glauben zu nehmen. In Ihrem Alter ist das noch vollkommen begreiflich.“

Er hätte seine jugendliche Gegnerin nicht schlimmer reizen können, als durch diese Worte, die sie so vollständig zu den Kindern wiesen; es war das die schwerste Beleidigung, die man einem sechzehnjährigen Fräulein anthun konnte, und sie that auch ihre Wirkung. Erna fuhr auf, so zornig und leidenschaftlich, als habe man gedroht, sie selbst in Fesseln zu schlagen; ihre Augen sprühten, und während der kleine Fuß heftig den Boden stampfte, brach sie im vollen Kindertrotze aus:

„Nun, so wollte ich, die Alpenfee käme einmal im Sturme hernieder vom Wolkenstein und zeigte Ihnen ihr Antlitz – Sie verlangten sicher nicht zum zweiten Male danach!“

Damit wandte sie ihm den Rücken und flog, ohne sich weiter um ihn und Reinsfeld zu kümmern, über die Matte hin, Greif ihr nach. Schon nach wenigen Minuten verschwand die schlanke Gestalt mit den heut wieder fessellos wehenden Locken in der Thür des Hauses. Wolfgang blieb stehen und sah ihr nach; das spöttische Lächeln weilte noch auf seinen Lippen, aber seine Stimme hatte einen scharfen Klang.

„Was denkt sich Baron Thurgau eigentlich dabei, wenn er seine Tochter so aufwachsen läßt? Sie ist ja unmöglich für civilisirte Verhältnisse, sie paßt höchstens für diese Bergwildniß.“

„Ja, wild und frei ist sie aufgewachsen, wie eine Alpenrose!“ sagte Benno, dessen Augen ebenfalls an der Thür hingen. Elmhorst wandte sich bei diesen Worten plötzlich um und sah den Freund forschend an.

„Du wirst ja förmlich poetisch! Hast Du vielleicht Feuer gefangen?“

„Ich?“ fragte Benno überrascht, fast bestürzt. „Was fällt Dir ein!“

„Nun, ich meinte nur, weil Du in Bildern sprichst; das ist doch sonst nicht Deine Art. Vorläufig ist Deine ‚Alpenrose‘ noch ein sehr eigensinniges und ungezogenes Kind, Du wirst sie erst erziehen müssen.“

Es lag nicht etwa eine harmlose Neckerei in den Worten; sie hatten einen höhnischen, herben Beigeschmack und verletzten offenbar den jungen Arzt, welcher ärgerlich erwiderte:

„Laß doch die Possen! Sage mir lieber, was Du eigentlich im Wolkensteiner Hofe zu thun hast – Du willst den Freiherrn sprechen?“

„Jawohl, aber unsere Erörterungen werden nicht grade freundschaftlicher Natur sein. Du weißt ja, daß wir die Besitzung nothwendig brauchen für unsere Bahnlinie, daß sie uns verweigert wurde und wir von unserem Zwangsrechte Gebrauch machen mußten. Der alte Starrkopf da oben aber gab sich noch immer nicht zufrieden; er protestirte immer wieder von neuem und weigerte sich hartnäckig, auf seinem Grund und Boden irgend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_435.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)